Leitsatz (amtlich)
Die Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 setzt bei Zuwendungen aufgrund Erbrechts unter anderem voraus, daß die Verwendung des Zugewendeten durch eine Anordnung des Erblassers zu dem oder den dort genannten steuerbegünstigten Zwecken gesichert ist.
Normenkette
BGB § 133; ErbStG 1959 § 18 Abs. 1 Nrn. 20, 18, 19b; StAnpG § 17 ff.
Tatbestand
Die Erblasserin H hat durch eigenhändiges Testament letztwillig über ihr Vermögen wie folgt verfügt:
"B ... - L ... d....
Mein Testament!
Hiermit bestimme ich Frau H ... geb. am ..., daß nach meinem Tode meine Hinterlassenschaft wie folgt aufgeteilt wird:
5 000 Mk. (fünf tausend) erhält die Jüdische Gemeinde J für meine Beerdigung und den Rest von diesen 5 000 DM sollen alte und kranke jüdische Menschen erhalten. Mein weiteres Vermögen soll der Staat Israel erhalten. Mein Geld ist auf folgenden Banken angelegt.... H ... L ... d...."
Die Erblasserin ist am 28. Oktober 1963 gestorben. Das Amtsgericht W hat dem Staat Israel - Kläger und Revisionsbeklagter - den Erbschein erteilt. Der "Administrator General of Israel" im Justizministerium in Jerusalem als Vertreter des Staates Israel hat in einer eidesstattlichen Erklärung versichert, daß der Nachlaß ausschließlich einem gemeinnützigen Zweck zugute kommen werde.
Auf Grund der vom Kläger abgegebenen Erbschaftsteuererklärung hat das FA die Erbschaftsteuer nach einem Reinerwerb von 60 800 DM vorläufig auf 14 612 DM festgesetzt.
Der Kläger hat Einspruch erhoben. Das Testament sei auch ohne ausdrückliche Festlegung der Erblasserin gemäß der jüdischen Tradition so zu verstehen, daß die Zuwendung als zur Durchführung von gemeinnützigen Zwecken durch den israelischen Fiskus bestimmt gedacht sei. Der Erwerb sei steuerfrei gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959.
Der Einspruch ist ohne Erfolg geblieben.
Auf die Klage hat das FG die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufgehoben. Die Zuwendung der Verstorbenen sei gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 steuerfrei, weil die im Jahre 1894 geborene Erblasserin mit der Zuwendung die Vorstellung verbunden habe, ihr Vermögen solle dem Staate Israel zur Verwendung für gemeinnützige Zwecke zufließen, auch wenn sie ihrer Zuwendung nicht eine Auflage zugunsten eines bestimmten Zwecks im Sinne von § 4 Nr. 1 ErbStG 1959 beigefügt habe. Bei der Erforschung des wirklichen Willens der Erblasserin seien auch Anhaltspunkte außerhalb des Testaments oder aus der allgemeinen Lebenserfahrung zu berücksichtigen. Zu diesen Erfahrungen gehöre es, daß ein Erblasser, der den Staat als Erben einsetze, an die Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf dem Gebiete des Sozialwesens im weitesten Sinne denke.
Mit der Revision wird gerügt, das FG habe gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze durch die Annahme verstoßen, das Testament enthalte eine gedachte Auflage, ohne daß dies im Testament einen Ausdruck gefunden habe (§ 133 BGB).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die Zuwendung der Erblasserin an den Kläger ist nicht gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 von der Erbschaftsteuer befreit. Die Auslegung des Testaments durch das FG ist mit § 133 BGB und mit § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 nicht vereinbar. Das Testament entkält keine Zweckwidmung im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959. Nach dieser Vorschrift bleiben steuerfrei Zuwendungen, die ausschließlich kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet sind, sofern die Verwendung zu dem bestimmten Zweck gesichert ist. Die Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 setzt u. a. voraus, daß auf Anordnung des Erblassers ein Vermögen für den oder die steuerbegünstigten Zwecke zu verwenden ist; der Empfänger des Vermögens darf nicht bereichert werden, sondern nur die Stellung eines Verwalters oder Treuhänders des dem Zweck gewidmeten Vermögens erhalten. Unterläßt der Erblasser die ausdrückliche Widmung, so tritt keine Steuerfreiheit ein. Die Widmung muß vom Erblasser angegeben sein, und zwar auch dann, wenn die Zuwendung einer ausländischen kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Einrichtung gewährt wird. Das ist auch dann erforderlich, wenn der Empfänger ein Staat ist.
Die Voraussetzung, daß die Zuwendung der Erblasserin ausschließlich bestimmten kirchlichen oder gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet wurde, ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Das FG hat das Testament der Erblasserin dahin ausgelegt, es enthalte eine Zweckwidmung im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959. Maßgebend ist im vorliegenden Falle, wovon auch das FG zutreffend ausgegangen ist, der im Testament vom 7. November 1959 niedergelegte Wille der Erblasserin. Der Wortlaut des Testaments bestimmt den Kläger als Erben. Er enthält darüber hinaus keine Erklärung, daß das Vermögen im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 gemeinnützigen Zwecken gewidmet sein solle. Eine solche Zweckwidmung kann dem Testament auch nicht im Wege der Auslegung entnommen werden.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist zwar der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB), und diese Auslegungsregel gilt auch für die in einem Testament zum Ausdruck gebrachte Willenserklärung (vgl. Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., Bd. I 1. Teil, § 133 Anm 17). Maßgebend aber bleibt der "erklärte" Wille (der "Erklärungstatbestand").
Beim Erfassen des Inhalts eines Testaments muß davon ausgegangen werden, wie der Wortlaut der Erklärung nach den Verhältnissen dessen, der das Testament errichtet hat, und nach seiner Ausdrucksweise aufzufassen ist. Dabei sind zwar alle Begleitumstände - ggf. auch solche außerhalb des Testaments - zu würdigen, jedoch nur insoweit, als sie der Ermittlung des "erklärten" Willens dienen. Ein rein innerlich gebliebener Wille, der keinen Ausdruck gefunden hat, kann dem erklärten Willen nicht hinzugefügt werden. Deshalb muß außer Betracht bleiben, was der Erklärende außerhalb der Erklärung beabsichtigte (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 35. Aufl., 1976, § 133 Anm. 4 a). Denn nur einem irgendwie zum Ausdruck gekommenen Willen kann entnommen werden, ob er vorhanden war, welchen Inhalt er hatte und was durch ihn zum Ausdruck gebracht werden sollte. Mit anderen Worten, nur der zum Ausdruck gekommene Wille ist, wie auch der Kläger zugesteht, auslegbar.
Die Erklärung der Erblasserin ist im Hinblick darauf, wer Erbe sein soll - der Staat Israel, der Kläger - und hinsichtlich des Fehlens einer bestimmten Zweckwidmung eindeutig. Für eine Auslegung ist daher kein Raum.
Das FG hat im vorliegenden Fall nicht einen erklärten Willen ausgelegt, sondern einen angeblichen inneren, aber unerklärt gebliebenen Willen angenommen, d. h. mit anderen Worten, der testamentarischen Willenserklärung eine weitere Willenserklärung hinzugefügt, ohne daß hierfür objektive Anhaltspunkte bestanden haben.
Daß das FG das Testament nicht auslegte, sondern ergänzte, hat es auch erkannt; denn es hat seine "Annahme", eine Zweckbindung sei dem Wortlaut des Testaments hinzuzudenken, auf keine irgendwie nach außen erkennbar gewordenen Umstände gestützt, sondern auf eigene Erwägungen und die Behauptung des Bestehens von Lebenserfahrungen. Dieser Art der Gedankenführung entspricht auch die Ausdrucksweise in der Vorentscheidung ("Die Erblasserin hat ... nicht an die Verwendung zu einem kirchlichen Zweck gedacht..." ..."Sie hat ... angenommen, daß .... Auch wenn das Testament keine ausdrückliche Auflage enthält, so darf doch nach allgemeinen Auslegungsregeln angenommen werden, daß das Testament eine gedachte Auflage enthält").
Unbelegt ist der Satz des FG, zu den allgemeinen Lebenserfahrungen gehöre es, "daß ein Erblasser, der den Staat als Erben einsetzt, an die Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf dem Gebiete des Sozialwesens (im weitesten Sinne) und nicht an die Erfüllung staatlicher Aufgaben auf den Gebieten der Verteidigung, der Finanzen, der Justiz, des Strafvollzugs oder anderer notwendiger Aufgaben denkt". Eine solche Lebenserfahrung besteht nicht. Aber selbst wenn man der Überlegung des FG beitreten könnte, verbliebe gleichwohl noch eine Reihe von Aufgaben, die nicht im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 begünstigt wären.
Unter diesen Umständen kommt es nicht mehr darauf an, daß die Vorinstanz unterstellt hat, die Erblasserin habe in der jüdischen Tradition gelebt, ohne dargetan zu haben, auf welche objektiv nachprüfbaren Umstände der Spruchkörper seine Auffassung gestützt hat.
Dadurch, daß das FG nicht den erklärten Willen, sondern einen von ihm angenommenen - möglicherweise innerlich vorhandenen, aber unerklärt gebliebenen Willen - seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat das FG die Grundsätze für die Auslegung letztwilliger Verfügungen verletzt.
Das angefochtene Urteil ist auch nicht etwa durch die Annahme gerechtfertigt, die Einsetzung eines Staates als Erben enthalte unausgesprochen die Erklärung, eine solche Zuwendung sei einem gemeinnützigen oder mildtätigen Zweck gewidmet.
Der Staat erfüllt zwar Aufgaben, die dem gemeinen Nutzen dienen. Gemeinnützigkeit im Sinne der Vorschriften des StAnpG und hier des § 18 Abs. 1 Nr. 19 Buchst. b und Nr. 20 ErbStG 1959 einerseits und die Tätigkeit zum gemeinen Nutzen durch einen Staat oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts andererseits sind, was das Finanzgericht verkannt hat, nicht ein und dasselbe. Der Begriff der Gemeinnützigkeit im Sinne des Steuerrechts und auch im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 ist enger als der des gemeinen Wohles oder Nutzens (vgl. Urteil des BFH vom 5. Juli 1972 II R 133/68, BFHE 107, 49, BStBl II 1972, 911). Gemeinnützig sind solche Zwecke, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird (§ 17 Abs. 1 StAnpG). Eine solche Förderung der Allgemeinheit liegt nur vor, wenn die Tätigkeit dem allgemeinen Besten auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet nutzt (§ 17 Abs. 2 StAnpG). Die als Tätigkeit des Staates in Erscheinung tretenden Handlungen erschöpfen sich nicht darin.
Die Einsetzung des Staates als Erben enthält auch nicht unausgesprochen die Erklärung, die Zuwendung sei einem mildtätigen Zweck gewidmet. Mildtätig sind solche Zwecke, die ausschließlich und unmittelbar darauf gerichtet sind, bedürftige Personen zu unterstützen (§ 18 Abs. 1 StAnpG). Die staatliche Tätigkeit ist - wie keiner näheren Darlegung bedarf - nicht auf die Erfüllung mildtätiger Zwecke beschränkt, und auch nicht auf die Erfüllung gemeinnütziger und zugleich mildtätiger Zwekke.
Wie immer die staatliche Tätigkeit auch umschrieben werden mag, so ist der Staat u. a. auch eine Institution zur Ausübung von Politik unter Einhaltung von Regeln, ohne daß deshalb jede ihm zuzurechnende Tätigkeit bereits als "gemeinnützige Tätigkeit" oder/und als Tätigkeit zur Erfüllung mildtätiger Zwecke im Sinne von § 17 StAnpG und der Vorschriften des Erbschaftsteuergesetzes 1959 angesprochen werden kann.
Sollten Zuwendungen an einen Staat erbschaftsteuerfrei bleiben, mußte dies der Gesetzgeber - entgegen der Auffassung des Finanzgerichts - ausdrücklich bestimmen. Das hat er in § 18 Abs. 1 Nr. 18 ErbStG 1959 getan, soweit es sich um "Anfälle an den Bund, ein Land, eine inländische Gemeinde" oder einen inländischen Gemeindeverband handelt. Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 18 ErbStG 1959 war erforderlich, wenn der Staat oder die anderen genannten inländischen Gebietskörperschaften begünstigt werden sollten, denn mit der Regelung zugunsten von Zuwendungen an gemeinnützig Tätige (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 19 Buchst. b ErbStG 1959) konnte ein solches Ziel nicht erreicht werden. Auch die Anwendung der Auslegungsregel des § 2072 BGB setzt voraus, daß der Erblasser eine Willenserklärung abgegeben hat, die Armen bedenken zu wollen, dies aber ohne nähere Bestimmung der Armen geschah. Diese Überlegungen zeigen, daß die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 nicht etwa bewirkt, Zuwendungen an einen ausländischen Staat könnten ohne eine in dieser Bestimmung vorgeschriebene ausschließliche Zweckwidmung als gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet angesehen werden. Würde die Bundesrepublik Deutschland oder ein Land als Erbe eingesetzt und enthielte das Testament keine Zweckwidmung, träte eine Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 nicht ein; in diesem Fall führte nur die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 18 ErbStG 1959 zur Steuerfreiheit. Für die Frage, ob Zuwendungen an ausländische Staaten steuerfrei sind oder nicht, gelten die gleichen Erwägungen wie für Zuwendungen an inländische Gebietskörperschaften.
Das israelische Erbgesetz (1965), auf das sich der Kläger beruft, trat neun Monate nach seiner Veröffentlichung in Kraft (§ 161); auf seine Bedeutung - insbesondere die des § 17 Abs. b des Zweiten Abschnitts - für den vorliegenden, vor diesem Zeitpunkt liegenden Erbfall ist daher nicht einzugehen. Nach dem israelischen Erbrecht, das vor dem Inkrafttreten des Erbgesetzes 1965 in Israel zur Zeit des Erbfalls galt, war ein Erbrecht des Staates nicht vorgesehen. Der Administrator General war jedoch ermächtigt, einen Betrag, den er bei einer Nachlaßverwaltung in seiner Hand behielt, ohne daß sich ein Berechtigter fand, an die Staatskasse abzuführen, und der Justizminister konnte den Betrag nach seinem Ermessen zugunsten von Verwandten des Erblassers oder anderer möglicherweise anspruchsberechtigter Personen verwenden (vgl. Ferid-Firsching, Internationales Erbrecht, München, Bd. IV, Übersicht Israel, Grundzüge E V. Rdnr. 103 dort Anm. 4). § 18 Abs. 1 Nr. 20 ErbStG 1959 schreibt aber die ausdrückliche Zweckwidmung durch den Erblasser vor, so daß es nicht darauf ankommt, ob der Kläger eine gedachte Auflage erfüllt hat oder ob er auch ohne ausdrückliche Zweckwidmung zu einer entsprechenden Verwendung verpflichtet gewesen wäre.
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 10. Februar 1976 1 BvL 8/73 (Der Betriebs-Berater 1976 S. 353, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B (Eildienst) 1976 S. 112) für Recht erkannt, daß § 23 Abs. 1 ErbStG 1959 bis einschließlich 1973 mit dem Grundgesetz vereinbar war. Der Steuerbescheid ist daher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch hinsichtlich der Höhe der Steuerfestsetzung nicht rechtswidrig.
Fundstellen
Haufe-Index 72195 |
BStBl II 1977, 213 |
BFHE 1977, 553 |