Leitsatz (amtlich)
1. Abstandszahlungen, die der Eigentümer von Grundbesitz an den bisherigen Pächter leistet, um ihn zum Verzicht auf sein Pachtrecht vor Ablauf der vertraglich festgelegten Pachtzeit zu veranlassen, sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar.
2. Wird in einem solchen Fall die Abstandszahlung als Leibrente erbracht, so sind die einzelnen Tilgungsleistungen im Jahr ihres Abflusses abzuziehen.
Normenkette
EStG 1957/1958 § 9 S. 1 und Nr. 1 S. 2; EStG 1957/1958 § 11 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen 1957, 1958 und 1959 der Kläger und Revisionskläger (Kläger) - Eheleute -, ob und inwieweit jährliche Zahlungen für die vorzeitige Lösung eines Pachtvertrags als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar sind.
Der Kläger ist Eigentümer zweier landwirtschaftlicher Güter. Aufgrund des Testamentes seines Vaters war er verpflichtet, eines dieser Güter, das zum Privatvermögen gehört, an seinen Schwager und bei dessen Erstversterben an seine Schwester auf Lebenszeit zu verpachten. In Erfüllung dieser Verpflichtung übertrug er seinem Schwager am 1. April 1945 das Gut K zur lebenslänglichen Nutzung.
Nachdem die Pächter an den Kläger wegen einer eventuellen Aufhebung des Pachtvertrags herangetreten waren und dieser einen neuen Pächter gefunden hatte, der ihm einen höheren Pachtzins bezahlte, verpflichtete sich der Kläger in einer als "endgültige Erbauseinandersetzung" bezeichneten Vereinbarung, an diese als Abfindung für die vorzeitige Lösung des Pachtvertrages zum Ende des Wirtschaftsjahres 1955/56 jährlich nach ihrer Wahl entweder 16 000 DM oder einen Betrag in Höhe des Gehaltes eines Landrats auf Lebenszeit zu zahlen.
Aufgrund dieser Vereinbarung zahlte der Kläger in den Streitjahren je 16 000 DM. Er ist der Ansicht, es handele sich um Zahlungen, die er zur Erzielung eines höheren Pachtzinses habe aufwenden müssen und begehrte den Abzug dieser Beträge in voller Höhe bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah die Zahlungen als Leistungen aufgrund einer Erbauseinandersetzung an, behandelte sie als private Versorgungsrente und zog bei der Einkommensteuerermittlung nur den nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ermittelten Zinsanteil als Sonderausgaben ab.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG schloß sich der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung der Zahlungen durch das FA an.
Mit ihrer Revision beantragen die Kläger, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben. Sie rügen Verletzung materiellen Rechts (§§ 9 Nr. 1, 11 Abs. 2 EStG 1957/1958).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des Einkommensteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung des FA.
Die jährlichen Zahlungen sind in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen.
1. Abzug des Zinsanteils
Für die Berechnung des der Einkommensteuer unterliegenden Einkommens der Kläger ist es unerheblich, ob die in den Rentenzahlungen enthaltenen Zinsanteile als Werbungskosten nach § 9 Nr. 1 Satz 2 EStG oder als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG abziehbar sind. In beiden Fällen ist der als steuermindernd zu berücksichtigende Zinsanteil nach der in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG aufgeführten Tabelle zu ermitteln.
Die Zahlungen wurden aufgrund eines Leibrentenversprechens geleistet. Sie verlieren ihre Eigenschaft als R e n t e n zahlungen nicht deshalb, weil den Rentenberechtigten nach der vertraglichen Vereinbarung die Möglichkeit eingeräumt ist, entweder eine jährliche Zahlung in Höhe von 16 000 DM oder einen Betrag in Höhe des Gehalts eines Landrats zu wählen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß die Gleichmäßigkeit der Leistungen auch dann gewahrt ist, wenn sie von einer veränderlichen Bezugsgröße abhängen, die ihren wirtschaftlichen Wert erhalten sollen. Solche Bezugsgrößen sind insbesondere auch Beamtengehälter (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 11. Oktober 1963 VI 59/62 U, BFHE 77, 747, BStBl III 1963, 594, und vom 11. August 1967 VI R 80/66, BFHE 89, 443, BStBl III 1967, 699, sowie die weiteren Nachweise bei Jansen-Wrede, Renten, Raten, dauernde Lasten, 5. Aufl., 1974, S. 48). Unter diesem Gesichtspunkt ist die Auslegung des FG, auch das Wahlrecht solle die wirtschaftliche Wertbeständigkeit der dem Betrag nach festbestimmten Leibrentenzahlungen sichern, nicht zu beanstanden.
2. Abzug des Tilgungsanteils als Werbungskosten
Die in den jährlichen Zahlungen enthaltenen Tilgungsbeträge sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar.
a) Ihre Berücksichtigung als Werbungskosten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 EStG nur der Ertragsanteil der Leibrente abgezogen werden kann. Diese - fiktive - Regelung bezieht sich nur auf die in den Zahlungen enthaltenen Zinsen. § 9 Nr. 1 Satz 2 EStG regelt sowohl nach seinem Wortsinn als auch nach seiner systematischen Stellung nur die H ö h e des als Zins abziehbaren Ertragsanteils einer Leibrente. Darüber hinaus sind auch Tilgungsbeträge als Werbungskosten abziehbar, wenn sie Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen sind. Rechtsgrundlage für diesen Abzug ist § 9 Satz 1 EStG. Die Tilgungsbeträge sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG); eine Aufspaltung in einen nichtabziehbaren Tilgungs- und einen abziehbaren Zinsanteil kommt in diesen Fällen nicht in Betracht (vgl. Jansen-Wrede, a. a. O., S. 94 ff., zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG und die dort angegebenen Nachweise).
b) Die Abziehbarkeit der Rentenleistungen ist auch nicht - wie das FG meint - deshalb auf ihren Zinsanteil beschränkt, weil das Leibrentenversprechen noch im Zuge der Erbauseinandersetzung gegeben worden und schon aus diesem Grunde keiner Einkunftsart zuzurechnen ist. Das Bewirtschaftungsrecht der Pächter ist bürgerlich-rechtlich als Vermächtnis eines lebenslangen Nutzungsrechtes anzusehen (vgl. dazu z. B. Keidel in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 33. Aufl., 1974, Einführung 4 a vor § 2147 mit weiteren Nachweisen). Den mit dem Erbfall entstehenden schuldrechtlichen Anspruch (§§ 2174 und 2176 BGB) der Vermächtnisnehmer auf Abschluß eines Pachtvertrages und Überlassung des Gutes zur Nutzung hat der Kläger mit Anerkennung des Testaments und bedingungsgemäßer Verpachtung am 1. April 1945 erfüllt. In der Folgezeit bestimmen sich die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten hinsichtlich des Gutes K nach Pachtvertragsrecht.
Es besteht kein Anlaß für die Einkommensbesteuerung von dieser bürgerlich-rechtlichen Beurteilung abzuweichen. Zwar entspricht die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Erbauseinandersetzung nicht der bürgerlich-rechtlichen Regelung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 29. Mai 1969 IV R 238/66, BFHE 96, 182, BStBl II 1969, 614). Einkommensteuerrechtlich sind die im Wege der Erbauseinandersetzung zugeteilten Nachlaßgegenstände - auch wenn die Zuteilung in Erfüllung eines Vermächtnisses geschieht (BFH-Urteil vom 5. August 1971 IV 243/65, BFHE 103, 345, BStBl II 1972, 114) - als unmittelbar vom Erblasser erworben anzusehen. Dies gilt, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 18. Juli 1972 VIII R 17/68 (BFHE 106, 436, BStBl II 1972, 876) ausgeführt hat, auch für etwaige Abfindungen für solche Nachlaßgegenstände, ohne daß es auf Art und Form dieser Abfindungen ankäme. Werden solche Abfindungen an Stelle des Vermächtnisgegenstandes an den Vermächtnisnehmer geleistet, so dürfen diese Leistungen wegen des außerbetrieblichen Charakters der Erbauseinandersetzungen weder die Einkommensphäre des Leistenden noch diejenige des Empfängers berühren. Ist die Auseinandersetzung jedoch abgeschlossen, so sind spätere Vereinbarungen - wie im Streitfall die Einräumung einer Leibrente zur Abfindung des letztwillig zugewendeten Bewirtschaftungsrechts - nicht mehr nach diesen Grundsätzen zu beurteilen.
Ob in besonders gelagerten Fällen, insbesondere dann, wenn sich der durch das Vermächtnis Beschwerte und der Vermächtnisnehmer innerhalb einer nicht allzulangen Frist nach dem Erbfall auf einen entgeltlichen Verzicht einigen (wie z. B. im Falle des BFH-Urteils vom 7. August 1964 VI 165/63 U, BFHE 80, 282, BStBl III 1964, 576), anders zu entscheiden wäre, braucht nicht entschieden zu werden. Eine Frist von über 10 Jahren zwischen Erfüllung des Vermächtnisses und einer späteren Abfindungsvereinbarung schließt die Annahme eines vom Erblasser ausgesetzten Rentenvermächtnisses aus (vgl. auch BFH-Urteil vom 9. August 1973 IV R 133/68, BFHE 110, 509, BStBl II 1974, 84).
c) Der für den Abzug als Werbungskosten erforderliche Zusammenhang der Zahlungen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist gegeben.
aa) Nach den Feststellungen des FG war die Kapitalabfindung für das den Pächtern testamentarisch zugewendete Bewirtschaftungsrecht gedacht. Sie diente dazu, dem Kläger die Nutzung des Gutes K durch Weiterverpachtung zu ermöglichen. Eine solche Kapitalabfindung ist nicht anders zu beurteilen als die Abstandszahlung eines Gewerbetreibenden an einen Pächter, um diesen zur Räumung des gepachteten Grundstücks zu veranlassen (vgl. BFH-Beschluß vom 2. März 1970 GrS 1/69, BFHE 98, 360, BStBl II 1970, 382; vgl. auch Urteil des BFH vom 29. Juli 1970 I 130/65, BFHE 100, 32, BStBl II 1970, 810).
Auch die Einräumung des Leibrentenstammrechts diente demnach dem vorzeitigen Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über das Grundstück auf den Kläger. Sind aber beim Erwerb eines zur Erzielung von Einkünften bestimmten Gegenstandes oder Rechtes oder zur Ablösung eines dieser Zielsetzung ganz oder teilweise entgegenstehenden Rechtes Leistung und Gegenleistung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen, ist die Annahme einer privaten Versorgungsrente auf Lebenszeit, bei der nur der Zinsanteil - als Sonderausgaben - abziehbar ist, ausgeschlossen. Ob der in den einzelnen Zahlungen enthaltene Tilgungsanteil steuermindernd zu berücksichtigen ist, ist deshalb danach zu beurteilen, ob die Voraussetzungen der Abziehbarkeit als Werbungskosten erfüllt sind.
bb) Die Aufwendungen des Klägers sind auf den Ertrag, nicht auf die Einkunftsquelle selbst bezogen. Mit der Ablösung des einer anderweitigen Nutzung des Gutes K durch den Eigentümer entgegenstehenden Bewirtschaftungsrechtes hat dieser keine neue Einkunftsquelle geschaffen oder die bisherige verbessert. Zwar zählen zu den Einkunftsquellen im Sinne des Einkommensteuerrechts auch Rechte - gleichgültig ob sie zivilrechtlich den dinglichen oder den obligatorischen Rechten zuzuordnen sind -, die den Bezug von Einkünften nach § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG ermöglichen sollen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1971 VIII R 137/70, BFHE 104, 67, BStBl II 1972, 215). Aufwendungen für die Schaffung einer solchen Einkunftsquelle sind - wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 26. März 1974 VIII R 210/72 (BFHE 112, 165, BStBl II 1975, 6) ausgeführt hat - bei der gebotenen systemgerechten Auslegung des § 9 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.
Zahlungen des Eigentümers und Verpächters an den Pächter zur Wiedererlangung des Verfügungsrechts über die Pachtsache dienen jedoch nicht der S c h a f f u n g einer Einkunftsquelle; sie stehen in einem innneren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der - bisherigen - Verpachtung und damit dem Ertrag aus einer bereits bestehenden Einkunftsquelle. Insoweit gilt nichts anderes als für Aufwendungen, die einem Vermieter aus Anlaß der Räumung eines Mietwohngrundstücks entstehen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 25. Juli 1972 VIII R 56/68, BFHE 106, 532, BStBl II 1972, 880). Als nachträgliche Anschaffungskosten können die Abstandszahlungen - worauf bereits der Große Senat des BFH in der Entscheidung GrS 1/69 hingewiesen hat - nicht angesehen werden. Die Leibrentenzahlungen des Klägers sind deshalb in vollem Umfang nach § 9 Satz 1 und § 11 Abs. 2 EStG als Werbungskosten abziehbar.
Fundstellen
Haufe-Index 71493 |
BStBl II 1975, 730 |
BFHE 1975, 563 |