Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung der Einkommensteuer als Massekosten gegenüber dem Konkursverwalter; nachträgliche Betriebsausgaben
Leitsatz (NV)
1. Auch nach der Eröffnung eines Konkursverfahrens richtet sich die Entstehung von Steueransprüchen, die Art der Einkünfte und die Berechnung deren Höhe unverändert nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Lediglich die Geltendmachung der Steuerforderung richtet sich nach den Regeln des Konkursrechts.
2. Soweit Handlungen des Konkursverwalters zu Einkünften der Konkursmasse im steuerrechtlichen Sinne führen, hat dieser die darauf entfallende Einkommensteuer verursacht mit der Folge, daß sie als Massekosten vorweg aus der Masse zu begleichen ist.
3. Die aus der Verwertung der Konkursmasse sich ergebende Einkommensteuerschuld ist in einem auf den Zeitraum nach Konkurseröffnung beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Konkursverwalter festzusetzen.
4. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist gegebenenfalls in eine Konkurs-, Masse- und konkursfreie Forderung aufzuteilen.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2, § 24 Nr. 2; FGO § 79a Abs. 3; KO §§ 57, 58 Nr. 2, § 59 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des Gemeinschuldners X. Der Gemeinschuldner betrieb bis zur Konkurseröffnung im Juni 1984 ein ... unternehmen. Das Konkursverfahren ist noch nicht aufgehoben. Der Gemeinschuldner hat sich im März 1986 ins Ausland abgemeldet. Die Ehefrau hat getrennte Veranlagung beantragt. Der Konkursverwalter veräußerte das ... unternehmen noch im Jahr 1984. Den Erlös legte der Kläger verzinslich, u. a. als Festgeld an.
Für die Streitjahre 1985 und 1986 reichte der Steuerberater Jahresabschlüsse ein und in Fotokopie Einkommensteuererklärungen ohne die Unterschrift eines Steuerpflichtigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) setzte die Einkommensteuer nach der Grundtabelle mit an den Kläger gerichteten Bescheiden vom 4. Juli 1988 abweichend von der Erklärung auf 1 948 DM für 1985 und auf 2 589 DM für 1986 fest. Die Einsprüche wies das FA als unbegründet ab.
Während des Klageverfahrens erließ das FA gegen den Kläger für 1985 einen gemäß § 10d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geänderten Einkommensteuerbescheid über eine festgesetzte Steuer von 1 390 DM, den der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat.
In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 1992 wurden die Verfahren bezüglich Einkommensteuer 1984 einerseits und 1985 sowie 1986 andererseits zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Die Streitsachen wegen Einkommensteuer 1985 und 1986 wurden jedoch vertagt, um dem FA die Prüfung der erst in der mündlichen Verhandlung mit dem klägerischen Schriftsatz vom 29. Juni 1992 übergebenen umfangreichen Unterlagen zu ermöglichen.
Der Vorsitzende des Senats gab der Klage mit Urteil vom 22. Oktober 1993 statt und hob die ergangenen Einkommensteuerbescheide für 1985 und 1986 nebst Einspruchsentscheidung ersatzlos auf, nachdem die Beteiligten auf erneute mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung nach § 79a Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt hatten. Zur Begründung führt das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage zum Erlaß von Einkommensteuerbescheiden gegen den Kläger. Im einzelnen nimmt es auf seine in Finanz- Rundschau (FR) 1993, 305 veröffentlichte Entscheidung bezüglich Einkommensteuer 1984 Bezug. Nachkonkursliche Einkünfte des Gemeinschuldners seien den Akten nicht zu entnehmen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (sinngemäß § 58 Nr. 2 der Konkursordnung -- KO --, §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 20 Abs. 1 Nr. 7, 24 Nr. 2 EStG).
Die Zinsen aus den Veräußerungserlösen beruhten auf Verwertungshandlungen des Konkursverwalters. Die darauf entfallende Einkommensteuer gehöre zu den Massekosten nach § 58 Nr. 2 KO (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 29. März 1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602). Die Behandlung der darauf anfallenden Einkommensteuer als Massekosten führe zu keiner Benachteiligung der Konkursgläubiger. Vielmehr wäre es widersprüchlich, wenn die Zinsen zwar die Konkursmasse vermehrten, die dadurch ausgelöste Einkommensteuer hingegen nicht hieraus beglichen werden dürfte.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer -- unter Abweisung der Klage im übrigen -- für 1985 auf 1 176 DM und für 1986 auf 1 615 DM festzusetzen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. a) Nach der Eröffnung des Konkursverfahrens richtet sich die Entstehung von Steueransprüchen, die Art der Einkünfte und die Berechnung deren Höhe unverändert nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Die Eröffnung des Konkursverfahrens bewirkt in steuerrechtlicher Hinsicht keine Trennung des Vermögens des Gemeinschuldners und der Konkursmasse und berührt nicht die Stellung des Gemeinschuldners als Steuerschuldner. Es ist eine einheitliche Veranlagung durchzuführen, in die sämtliche Einkünfte einzubeziehen sind, die der Gemeinschuldner im Veranlagungszeitraum bezogen hat.
b) Lediglich die Geltendmachung der Steuerforderung nach Eröffnung des Konkursverfahrens richtet sich nach den Regeln des Konkursrechts (BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477, 478 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; ferner Frotscher, Steuern im Konkurs, 3. Aufl., S. 89f., 95, 115).
c) Soweit Handlungen des Konkursverwalters zu Einkünften der Konkursmasse im steuerrechtlichen Sinne führen, hat er die darauf entfallende Einkommensteuer verursacht mit der Folge, daß sie als Massekosten vorweg aus der Masse zu begleichen ist (vgl. §§ 57, 58 Nr. 2, 59 Abs. 1 Nr. 1 KO; BFH in BFH/NV 1994, 477, 478 mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung; ferner BFH-Urteile vom 9. November 1994 I R 5/94, BFHE 176, 248, BStBl II 1995, 255, 257 sub Ziff. II 4a m. w. N.; vom 15. März 1995 I R 82/93, BFHE 177, 257; zustimmend Frotscher, a. a. O., S. 117, insbesondere Fn. 68 zu abweichenden Meinungen und S. 124).
Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser ständigen und vom XI. Senat nach erneuter Überprüfung bestätigten Rechtsprechung abzuweichen.
Die aus der Verwertung der Konkursmasse sich ergebende Einkommensteuerschuld ist in einem auf den Zeitraum nach Konkurseröffnung und auf die Masseschuld beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Konkursverwalter festzusetzen (vgl. auch BFH-Urteile in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602, 603; vom 16. Juli 1987 V R 2/81, BFHE 150, 215, BStBl II 1988, 190, 191 betreffend Umsatzsteuer; zustimmend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 Rz. 23b, c; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 251 Anm. 2a; Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 251 AO 1977 Rz. 33; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 251 Rz. 6/2; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 251 Rz. 41 m. w. N.).
d) Eine Aufteilung der einheitlichen Einkommensteuerschuld ist gegebenenfalls in eine Konkurs-, Masse- und konkursfreie Forderung vorzunehmen (vgl. BFH in BFH/NV 1994, 477; Frotscher, a. a. O., S. 125f.).
e) Der XI. Senat hat bereits für den Veranlagungszeitraum 1984 entschieden, daß die Kapitaleinkünfte vom Konkursverwalter erzielt und die darauf beruhende Einkommensteuer deshalb einen Masseanspruch darstellt (BFH in BFH/NV 1994, 477, 478). Diese rechtliche Beurteilung trifft in gleicher Weise für die Streitjahre 1985 und 1986 zu.
Der im Streitjahr 1985 vom FA anerkannte gewerbliche Verlust in Höhe von 395 DM ist mit den postiven Einkünften aus Kapitalvermögen im Rahmen der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte zu saldieren (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621, und vom 4. September 1969 IV R 288/66, BFHE 97, 16, BStBl II 1969, 726).
Der zu nachträglichen gewerblichen Einkünften führende außerordentliche Ertrag im Streitjahr 1986 ist gleichfalls erst nach Konkurseröffnung entstanden, so daß auch die darauf entfallende Einkommensteuerschuld einen Masseanspruch begründet.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) hat der Gemeinschuldner in den Streitjahren keine nachkonkurslichen Einkünfte erzielt. Eine Aufteilung der einheitlichen Einkommensteuerschuld kommt mithin nicht in Betracht.
2. Der erkennende Senat kann jedoch über die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 1985 und 1986 nicht abschließend entscheiden, da das FG -- von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht -- zu Grund und Höhe der weiteren, vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen getroffen hat. Das FG hat zwar die erstmals mit Schriftsatz vom 29. Juni 1992 nebst Anlagen vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen in Bezug genommen, ebenso die Erwiderung des FA im Schriftsatz vom 30. November 1992. Dies vermag indessen ebensowenig tatsächliche Feststellungen hinsichtlich der einzelnen geltend gemachten Aufwendungen zu ersetzen wie die Bereitschaft des FA, einzelne steuermindernde Positionen anzuerkennen. Soweit das FA nachträgliche Betriebsausgaben (§ 24 Nr. 2 EStG) für 1985 in Höhe von 794 DM an Säumniszuschlägen für am 18. Oktober 1984 fällige Umsatzsteuer berücksichtigen will, weist der Senat auf folgendes hin: Veräußert ein Steuerpflichtiger den Betrieb und setzt er nicht sämtliche vorhandenen aktiven Wirtschaftsgüter zur Tilgung von Betriebsschulden ein, so sind die verbliebenen Verbindlichkeiten insoweit keine Betriebsschulden mehr, als sie durch Verwertung der aktiven Wirtschaftsgüter hätten getilgt werden können (vgl. BFH-Urteile vom 28. Februar 1990 I R 205/85, BFHE 159, 523, BStBl II 1990, 537, 538, und zugleich zu Ausnahmen im Urteil des BFH vom 21. November 1989 IX R 10/84, BFHE 159, 68, BStBl II 1990, 213, 214 m. w. N.).
Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 420867 |
BFH/NV 1996, 117 |