Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildhauerarbeiten als "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst"
Leitsatz (NV)
Künstlerische Bildhauerarbeiten, die auch einem praktischen Zweck dienen, sind nicht schon dieserhalb als "Handelswaren" anzusehen. Ist ihr künstlerischer Eindruck vorherrschend und erscheinungsbildprägend, so stellen sie sich als -- umsatzsteuerbegünstigte -- "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst" im zolltariflichen Sinne dar (Ambo, Kirchenportal, Brunnenplastik).
Normenkette
UStG 1991 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; UStG 1991 Anlage Nr. 53 Buchst. c; KN Pos. 9703
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein akademischer Bildhauer, beanspruchte für von ihm 1991 erbrachte Werkleistungen, darunter folgende Werke: Geschichtsblätterbaum als Brunnenplastik; Adler-Ambo für die X-Kirche in Y (Rundplastik); Portal des Domes zu Z, in Relief und figürlich gearbeitet (Bronzeguß), die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst", die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) größtenteils abgelehnt wurde (Einspruchsentscheidung vom 24. März 1992, Änderungsbescheid vom 27. August 1993).
Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage teilweise -- hinsichtlich der drei vorbezeichneten Werkleistungen -- durch Herabsetzung der Umsatzsteuer ... statt. Insoweit führte das FG aus, bei den drei Werken handele es sich um steuerbegünstigte Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG 1991 -- mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage, Zolltarifposition 9703 der Kombinierten Nomenklatur -- KN --) ohne handelsgängigen Charakter. Dies gelte auch für den Geschichtsblätterbaum, bei dem die Gestaltung gegenüber seiner Eigenschaft als Brunnen bei weitem im Vordergrund stehe. Die Vorentscheidung ist im übrigen in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 945 abgedruckt; hierauf wird verwiesen.
Das FA wendet sich mit seiner Revision gegen die stattgebende Entscheidung des FG. Ob ein Gegenstand handelsgängigen Charakter habe, könne nur nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden. Hinsichtlich der äußerlichen Ähnlichkeit mit einem industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnis komme die praktische Funktion (Gebrauchswert) als Vergleichskriterium in Betracht. Könne bei einem von einem Künstler hergestellten Gegenstand eine praktische Funktion festgestellt werden, so ähnele der Gegenstand einem industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnis und habe handelsgängigen Charakter. Die Funktionen seien hier äußerlich erkennbar. Die Wertung des FG sei objektiv nicht überprüfbar. Insbesondere bei dem Kirchenportal sei eine Aufteilung in einen handwerklichen und einen künstlerischen Teil nicht möglich.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung (sinngemäß: soweit stattgebend) aufzuheben und die Klage (sinngemäß: insoweit) abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Rechtsauffassung des FA laufe der gesetzgeberischen Absicht, bildhauerische Werke von Künstlern zu fördern, zuwider. Fast jedem bildhauerischen Werk könne letztlich eine praktische Funktion, ein gewisser Gebrauchswert, zugeordnet werden. Die durch die Technik der künstlerischen Hervorbringung gekennzeichnete Bildhauerarbeit, die er -- Kläger -- nicht nach "Katalog" erbringe, erfordere eine lange Vorbereitungszeit und unterscheide sich von der Steinmetztätigkeit.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulassungsfrei statthaft gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- (vgl. etwa Senat, Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, 575, BStBl II 1990, 546), aber nicht begründet (§ 126 Abs. 2 FGO).
Das FG hat rechtsfehlerfrei die drei vorbezeichneten Werke des Klägers als (steuerbegünstigte) Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst aus Position 9703 KN gewertet, nicht als Bildhauerarbeiten mit dem Charakter von Handelswaren, die nicht zu dieser Position gehören (Anm. 3 zu Kap. 97 KN). Die Lieferungen dieser Werke unterfallen somit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1991 i. V. m. Nr. 53 Buchst. c der Anlage), und zwar auch dann, wenn die Arbeiten mit Grund und Boden fest verbunden sind.
Der Wortlaut der Position 9703 KN -- Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst (zum Begriff Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -- EuGH -- vom 15. Mai 1985 Rs. 155/84, EuGHE 1985, 1454, 1457) -- wird durch Anm. 3 zu Kap. 97 KN eingeschränkt bzw. klargestellt. Bildhauerarbeiten mit dem Charakter einer Handelsware (z. B. handwerkliche Erzeugnisse), d. h. Waren, die nach ihrer äußeren Gestaltung vergleichbaren industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnissen ähneln, mit denen sie zumindest potentiell in einem wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, fallen danach nicht unter die vorbezeichnete Position (EuGH, Urteil vom 18. September 1990 C-228/89, EuGHE 1990, I-3401, 3407). Letzteres gilt z. B. für Goldschmiedearbeiten (Senat, Urteile vom 20. Februar 1990 VII R 126/89, BFHE 160, 93, 95, BStBl II 1990, 763, und vom 28. April 1992 VII R 92/91, BFH/NV 1992, 851; vgl. auch Urteil vom 16. November 1993 VII R 28/93, BFH/NV 1994, 674 -- Schiffsmodelle --), auch für Steinmetz- und Bildhauerarbeiten ohne eigentlich künst lerischen Charakter (darunter Grabdenk mäler), die zu der -- nichtbegünstigten -- Position 6802 KN gehören, auch wenn sie gewisse Ornamente aufweisen (vgl. Erläuterungen Harmonisiertes System -- HS -- zu Position 6802 Rz. 03.0, 05.0, KN Rz. 14.0, 15.0; zu Position 9703 HS Rz. 07.0). Für Erzeugnisse, die hiernach einem Stoff-Kapitel zuzuordnen sind, scheidet die Position 9703 KN aus, so daß für die Anwendung der Konkurrenzregelung in Anm. 4a zu Kap. 97 KN kein Raum ist (BFHE 160, 93, 95). Für die Bildhauerkunst ist hingegen wesentlich -- was aufgrund der objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse zu prüfen ist --, daß es sich bei ihren Hervorbringungen um ganz persönliche Schöpfungen handelt, mit denen Künstler einem ästhetischen Ideal Ausdruck verleihen und die demzufolge nicht in einem wirtschaft lichen Wettbewerb stehen (EuGHE 1990, I-3401, 3407; BFH/NV 1994, 674 f.).
Von diesem rechtlichen Maßstab ist -- zutreffend -- die Vorinstanz ausgegangen. Sie hat bei Adler-Ambo und Geschichtsblätterbaum ein von dekorativen Bildhauerarbeiten abgehobenes individuelles Erscheinungsbild festgestellt, das gegenüber dem praktischen Zweck der Erzeugnisse (Lesepult, Brunnen) deutlich im Vordergrund steht, bei dem Kirchenportal ein Überwiegen der Reliefarbeiten, mit nur dienender Bedeutung der zweckbedingten Akzessorien (Türblatt, -rahmen, -einfassung). Die Feststellungen des FG einschließlich ihrer tatsächlichen Würdigung sind für das Revisionsgericht bindend, da diesbezügliche Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Entgegen der Ansicht des FA ist die Würdigung durch das FG auch angesichts des Gebrauchswerts der Erzeugnisse möglich. Ein mit ihrer Schaffung verfolgter praktischer Zweck zwingt dann nicht zu ihrer Einstufung als Handwerks erzeugnis, wenn das Werk auf den -- künstlerischen -- Eindruck der Plastik oder des Reliefs angelegt, dieser vorherrschend und erscheinungsbildprägend ist und die zweckentsprechende Nutzungsmöglichkeit zweitrangig erscheint. Ist dies zu bejahen -- und hiervon hat der Senat auszugehen --, so spielt der Gebrauchswert bei der Einordnung überhaupt keine Rolle mehr; vielmehr ist das gesamte Erzeugnis als ein solches der Bildhauerkunst anzusehen. Eine "Aufteilung in einen handwerklichen und einen künstlerischen Teil" kommt dann nicht mehr in Betracht.
Dem Antrag des FA auf Urteilsberichtigung gemäß § 107 FGO, sollte er durch eine vertretungsberechtigte Person (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs) gestellt worden sein, ist nicht zu folgen. Eine offenbare Unrichtigkeit kann jedenfalls in einem auf einem falschen Ansatz beruhenden Fehler bei der Steuerberechnung, der nicht bloßer Rechenfehler ist, nicht gesehen werden. Bei der Steuerberechnung laut Vorentscheidung vermag der Senat einen Fehler zum Nachteil des FA aufgrund der getroffenen Feststellungen über Art und Höhe der Besteuerung (durchgängig Regelsteuersatz, Änderungsbescheid vom 27. August 1993) nicht zu erkennen.
Die zolltarifliche Frage ist nach Auffassung des Senats aufgrund der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere der des EuGH, eindeutig im vorstehenden Sinne zu entscheiden. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH ist somit nicht geboten (vgl. dessen Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
Fundstellen