Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verwertungsbefugnis an einem Gebäude auf den Eigentümer des Grund und Bodens übertragen wird, das der Benutzer des fremden Grund und Bodens ausgebaut hat.
Normenkette
GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Stadtgemeinde M., Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -), hatte im Jahre 1946 (oder 1945) auf Anordnung der damaligen Besatzungsmacht, aber mit eigenen Kosten für die Dauer der Besatzungszeit einige Autoschuppen (-hallen) errichtet, teils auf eigenem, teils auf einem Grundstück des Nachbarn H. Die Stpfl. erwarb im Jahre 1955 von H. die angrenzende Grundstücksfläche, so daß sie nunmehr Eigentümerin des gesamten Grund und Bodens war, auf dem das streitige Gebäude steht.
Anfang November 1950 bat der Gewerbetreibende W. die Stpfl. um kostenlose überlassung eines der Schuppen. Der Gemeinderat beschloß am 13. November 1950:
"1. Um dem Metallwerk W. ... die Möglichkeit zu geben, seinen Betrieb hier zu verlegen und zu erweitern, wird ihm der westliche unausgebaute Autoschuppen kostenlos überlassen, sofern dieser auf Kosten der Firma ausgebaut wird. Bei einem Abbruch des Schuppens vor dessen Ausbau ist diese Zusage hinfällig. Falls die Firma ihren Betrieb an einen anderen Ort verlegt, kann sie wegen den vorgenommenen Einbauten keinerlei Ansprüche an die Stadtgemeinde stellen.
Die käufliche überlassung des erforderlichen Grund und Bodens kann Herrn W. erst in Aussicht gestellt werden, wenn die Verhandlungen mit H. abgeschlossen sind und der Betrieb angelaufen ist. Es wird von der hier üblichen Regelung ausgegangen, daß Grundstücke erst aufgelassen werden, wenn die Bauvorhaben erstellt sind."
Der Bürgermeister der Stpfl. bestätigt mit Schreiben vom 4. Dezember 1950, dieser Beschluß sei dahin zu verstehen, daß der Schuppen nach Ausbau durch W. vorbehaltlos und ohne Einschränkung in dessen Eigentum übergehe. Daraufhin baute W. den Schuppen zu einem Werkstattgebäude aus. Gleichwohl kam es nicht zur übertragung des Grund und Bodens; vielmehr klagte die Stpfl. Mitte 1959 auf Herausgabe des Grundstücks einschließlich des darauf befindlichen Gebäudes.
Am 19. April 1960 schlossen die Parteien den folgenden Vergleich:
"1. Die Stadt M. bezahlt zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche gleichgültig aus welchem Rechtsgrund, soweit sie durch überlassung des ehemaligen Schuppens ... lt. Beschluß des Gemeinderats der Stadt M. vom 13. 11. 1950 und etwaiger weiterer Erklärungen des Bürgermeisteramts M. für die durch den Ausbau des Schuppens zu dem jetzigen Werkstattgebäude erwachsen sind bzw. erwachsen sein könnten, an Herrn W. den Betrag von 28.500,00 DM. ...
Herr W. verpflichtet sich, den Besitz des Werkstattgebäudes im unveränderten Zustand sofort auf die Stadtgemeinde M. zu übertragen."
Das Finanzamt (FA) erblickte in der übertragung des Besitzers an dem Werkstattgebäude von W. auf die Stpfl. einen Erwerbsvorgang im Sinne von § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG und forderte durch Steuerbescheid vom 25. Januar 1962 aus einer Gegenleistung von 28.500 DM eine Grunderwerbsteuer von 1.995 DM an.
Mit der Sprungberufung erstrebte die Stpfl. Freistellung von der angeforderten Steuer. Da der ursprüngliche Schuppen bereits fest mit dem Grund und Boden verbunden gewesen sei, habe W. kein Eigentum daran und auch nicht an dem ausgebauten Werkstattgebäude erwerben und nur den Besitz auf die Stpfl. zurückübertragen können. Dementsprechend seien mit der Vergleichssumme nur Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und reine Schadensersatzansprüche abgegolten worden.
Das Finanzgericht (FG) wies mit dem auszugsweise in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1963 Nr. 140 S. 116 veröffentlichten Urteil vom 18. September 1962 die Berufung als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des RFH - Urteil II 161/41 vom 1. April 1943, RStBl 1943 S. 612, Slg. Bd. 53 S. 90 - nicht: S. 64 - und des BFH - Urteil II 87/55 U vom 18. Januar 1956, BStBl 1956 III S. 92, Slg. Bd. 62 S. 248 - vertrat es ebenfalls die Auffassung, daß durch den Vergleich vom 19. April 1960 mit Besitzübertragung gegen Ablösung der Gegenansprüche die Stpfl. die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis erlangt habe. Das FA habe auch die Gegenleistung zutreffend mit 28.500 DM angesetzt, da die Stpfl. diese Summe habe aufwenden müssen, um W. für seine Rechte am Gebäude abzufinden.
Mit der Rechtsbeschwerde rügt die Stpfl. Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und Verletzung des § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2 Ziff. 3, § 11 GrEStG. Unstreitig sei der ursprüngliche Autoschuppen wegen seiner festen Verbindung mit dem Grund und Boden bereits ein Gebäude gewesen, das - ebenso unstreitig - lediglich zu einem Werkstattgebäude ausgebaut worden sei. Wenn das FG ständig davon spreche, W. habe ein Gebäude errichtet, so verstoße dies gegen den klaren Inhalt der Akten. - Der Vertrag zwischen ihr und W. sei nicht als Leih-, sondern als Vertrag sui generis zu werten. Die Vergleichssumme sei nicht für den Erwerb des Gebäudes aufgewendet worden, sondern habe zur Abgeltung der Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und wegen Schadensersatzes gedient; zumindest müsse der Wert des ursprünglichen Schuppens mit 10.000 DM abgesetzt werden.
Entscheidungsgründe
Die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. führt unter Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Steuerbescheids zur Freistellung der Stpfl. von der angeforderten Grunderwerbsteuer.
Die Vorinstanz gründet ihr Urteil eindeutig und entscheidend darauf, daß W. selbst ein Werkstattgebäude als Gebäude auf fremdem Grund und Boden im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG "errichtet" habe. Demgegenüber weist die Stpfl. zutreffend darauf hin, daß nach dem insoweit unstreitigen Sachverhalt, wie er sich z. B. aus dem Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses vom 13. November 1950 und des Vergleichs vom 19. April 1960, aber auch aus dem Steuerbescheid und dem übrigen Akteninhalt ergibt, der ursprüngliche, mit dem Grund und Boden bereits fest verbundene Autoschuppen von der Stpfl. errichtet und durch W. zu einem Werkstattgebäude "ausgebaut" worden ist. Ob hierin, wie die Stpfl. rügt, ein entscheidungserheblicher Aktenverstoß des FG zu erblicken ist, kann unerörtert bleiben, da das Urteil des FG bereits aus materiellen Gründen aufzuheben war.
Die Vorinstanz hat sich mit der Frage, ob es grunderwerbsteuerrechtlich einen Unterschied machen könnte, ob W. das an die Stpfl. (zurück) übertragene Gebäude (selbst) errichtet oder nur ausgebaut habe, ebensowenig auseinandergesetzt wie damit, welcher dieser Fälle hier gegeben sein könnte. Wird ein bereits bestehendes (vom Eigentümer des Grund und Bodens selbst errichtetes) Gebäude z. B. auf Grund eines schuldrechtlichen Nutzungsvertrags (Miete, Pacht, Leihe) durch den Nutzenden lediglich verändert (z. B. durch Aus-, Ein-, Um- oder Zubau), so wird sich an den steuerrechtlichen Zurechnungsverhältnissen in der Regel nichts ändern (vgl. auch Gierschmann, Der Betriebs-Berater 1953 S. 172; Baltzer, Steuer und Wirtschaft 1953 Sp. 651, 657, und zum Grundsätzlichen BFH-Urteil III 62/52 U vom 23. Mai 1952, BStBl 1952 III S. 190, Slg. Bd. 56 S. 492). Auch grunderwerbsteuerrechtlich wird man - jeweils unter Würdigung aller Umstände eines solchen Einzelfalles - nur ausnahmsweise dann davon sprechen können, daß der Nutzende ein Gebäude auf ihm fremdem Grund und Boden selbst errichtet habe, wenn das Gebäude durch die Baumaßnahmen nach Art und Umfang derart umgestaltet worden ist, daß das Gebäude nunmehr praktisch als Neubau bezeichnet werden muß. Wenn auch der Senat zu der Annahme neigt, daß trotz der Wertverbesserungen an dem Gebäude eine solche Ausnahme im Streitfall noch nicht wird bejaht werden können, so erübrigen sich doch weitere Ermittlungen in dieser Richtung. Denn selbst wenn man unterstellen wollte - wie es das FA übrigens mit dieser Bestimmtheit erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz vorträgt -, daß W. mit seinen Mitteln - worauf es schon wegen seines Bereicherungsanspruchs (§§ 951, 946 BGB) letztlich nicht ankommt - im Ergebnis eine Art "Neubau" geschaffen hätte, so könnte auch dieses Gebäude im Streitfall - wie die folgenden Darlegungen zeigen werden - grunderwerbsteuerrechtlich nicht ihm in dem Sinne zugerechnet werden, daß er daran die Verwertungsbefugnis erworben hätte.
Das FG hat die Frage der grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnung nicht geprüft, sondern rechtsirrtümlich geglaubt, bereits die bloße Besitzübertragung löse die Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG aus. § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG bestimmt nicht, wann ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden vorliegt, sondern setzt voraus, daß bürgerlich- rechtlicher Eigentümer des Grund und Bodens und wirtschaftlich Verwertungsbefugter verschiedene Personen sind. Der Senat hat auch in neuerer Zeit ständig entschieden, daß die Befugnis zur Verwertung eines Grundstücks - entsprechend also auch eines Gebäudes im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG - über die einem Pächter (Mieter, Entleiher) eingeräumten Besitz- und Nutzungsrechte hinaus dem Berechtigten Einwirkungsmöglichkeiten auf den ganzen Substanzwert des Grundstücks gewähren müssen (Urteile des Senats II 60/60 U vom 27. Januar 1965 zu II 2, BStBl 1965 III S. 265, Slg. Bd. 82 S. 51; II 148/62 U vom 8. Dezember 1965, BStBl 1966 III S. 148). W. konnte nicht schon deshalb als Verwertungsbefugter am Gebäude angesehen werden, weil er zum Ausbau des Gebäudes berechtigt war. Darf ein Nutzender das Gebäude schon vor oder auch nach Ablauf der Nutzungszeit abreißen, so spricht dies für seine Verwertungsbefugnis (vgl. insoweit auch, allerdings zur Zurechnung gemäß § 80 Abs. 1 AO 1919 = § 11 Ziff. 4 StAnpG, RFH-Urteil III A 131/33 vom 30. November 1933 zu 2., RStBl 1934 S. 166). Darf er - wie im Ergebnis im Streitfall - das Gebäude nicht abreißen oder erst recht nicht veräußern, ohne seiner gesamten vereinbarten Rechte verlustig zu gehen, so wird in der Regel eine Substanzberechtigung im obigen Sinne nicht mehr angenommen werden können (vgl. insoweit auch BFH-Urteil III 163/58 vom 22. Juni 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 Nr. 159 S. 161). Es kommt im Streitfall noch hinzu, daß W. nach dem Gemeinderatsbeschluß vom 13. November 1950 für den Fall der Betriebsverlegung an einen anderen Ort wegen der vorgenommenen Einbauten keinerlei Ansprüche an die Gemeinde stellen konnte. Auf Grund dieser Vereinbarungen konnte W. auch an den Ein- bzw. Umbauten am ursprünglichen Gebäude, bzw. an dem Werkstattgebäude selbst keine Verwertungsbefugnis gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG erwerben (vgl. insoweit auch, allerdings wiederum zur Zurechnung gemäß § 80 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung 1919 § 11 Ziff. 4 StAnpG, RFH- Urteil III A 10/28 vom 31. Januar 1930, RStBl 1930 S. 184; ferner Urteil des Bundesgerichtshofs V ZR 36/51 vom 31. Oktober 1952, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 8 S. 1 ff., 5, 6). Aus den Umständen, die zu dem Gemeinderatsbeschluß führten, und aus diesem Beschluß selbst ergibt sich, daß die Beteiligten offenbar zunächst eine vorläufige, nicht zuletzt von der erhofften Betriebserweiterung abhängige Regelung mit vorerst bloßer Nutzungsüberlassung an Grundstück und Gebäude im Auge hatten und daß die uneingeschränkte Verwertungsbefugnis am Gebäude im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG erst mit der rechtlichen Eigentumsübertragung auch am Grund und Boden auf W. übergehen sollte. Hieran ändert - wie die spätere Entwicklung zeigt - auch nichts das ohnehin nicht in streng juristischer Form abgefaßte Schreiben des Bürgermeisters vom 4. Dezember 1950, mit dem dieser nach seiner Aussage im Zivilprozeß nur zum Ausdruck bringen wollte, daß der Schuppen nach dem Ausbau W. zusammen mit dem Grund und Boden übereignet werden sollte. Auch der Umstand, daß die Stpfl. im Jahre 1960 vergleichsweise und zur Abgeltung "sämtlicher Ansprüche, gleichgültig aus welchem Rechtsgrund" 28.500 DM an W. zahlte, ist für die Frage, ob W. zu einem früheren Zeitpunkt, mit überlassung und Ausbau des Gebäudes in 1950/51, die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis erworben habe, unerheblich. Da aber W. nach den Gesamtumständen des Einzelfalles (vgl. Urteil des Senats II 60/60 U vom 27. Januar 1965 und II 148/62 U vom 8. Dezember 1965, a. a. O.) selbst eine Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG an dem streitigen Gebäude nicht erworben hatte, konnte er eine solche auch nicht an die Stpfl. (zurück)übertragen. Die übertragung bloß des (unmittelbaren) Besitzes an einem Grundstück - entsprechend an einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden - ist aber kein grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 GrEStG.
Das Urteil des FG, das von anderen rechtlichen Erwägungen ausgeht, war wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Bei der dem Senat nunmehr zustehenden freien Beurteilung ist die Sache spruchreif. Die Stpfl. war von der angeforderten Grunderwerbsteuer freizustellen, ohne daß noch die weitere streitige Frage nach der Höhe der Gegenleistung zu erörtern war.
Fundstellen
Haufe-Index 412097 |
BStBl III 1966, 427 |
BFHE 1966, 477 |
BFHE 85, 477 |