Leitsatz (amtlich)
Die Belegenheit eines Zweifamilienhauses im Zonenrandgebiet rechtfertigt nicht generell eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts wegen der Lage des Grundstücks (§ 88 Abs. 2 BewG). Ob eine solche Ermäßigung ausnahmsweise in Betracht kommt, hängt davon ab, ob ein Grundstück durch die unmittelbare Nähe der Grenze und ihrer Einrichtungen in besonderem Maße beeinträchtigt ist.
Normenkette
BewG § 88
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines Zweifamilienhauses, das im Zonenrandgebiet belegen ist. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ermittelte den Wert des Grundstücks im Wege des Sachwertverfahrens und stellte den Einheitswert zum 1. Januar 1977 fest. Nach erfolglosem Einspruch begehrte der Kläger im Klageverfahren, den Einheitswert unter Anwendung des Ertragswertverfahrens zu ermitteln.
Das Finanzgericht (FG) ermäßigte den Einheitswert. Es war der Auffassung, das Grundstück sei im Sachwertverfahren zu bewerten. Es unterscheide sich durch eine besondere Ausstattung (gediegene Deckenverkleidungen, Sanitär- und Elektroinstallation, offener Kamin, Schwimmhalle) und eine besondere Gestaltung (größere Wohnfläche, die sich auf nur wenige Räume verteile) wesentlich von den üblichen Zweifamilienhäusern der Umgebung. Das FG gewährte u. a. wegen der von einem Truppenübungsplatz ausgehenden Beeinträchtigungen eine Ermäßigung von 5 % und wegen der Lage des Grundstücks im Zonengrenzgebiet einen weiteren Abschlag von 5 % (§ 88 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Hierzu führte es aus: Die abseitige Lage des Grundstücks habe sich zwar bereits im Ansatz eines sehr niedrigen Bodenwerts ausgewirkt. Sie beeinflusse darüber hinaus auch den Wert des Gebäudes. Insbesondere bei einem größeren, gut ausgestatteten Zweifamilienhaus, für das von vornherein nur ein kleinerer Interessentenkreis in Frage komme, falle die etwas abgelegene Lage im Zonenrandgebiet im Verkaufsfall stark ins Gewicht. Bei der Bemessung des Abschlags wegen der Lage des Grundstücks dürfe nicht ganz außer Betracht bleiben, daß in Sichtweite des Gebäudes die gemeindliche Kläranlage liege (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Oktober 1972 III R 145/71, BFHE 108, 244, BStBl II 1973, 258).
Das FA rügt mit der Revision Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, eine Ermäßigung wegen der Lage des Grundstücks im Zonenrandgebiet lasse sich nicht auf § 88 BewG stützen. Sinn dieser Vorschrift sei es, die besonderen Verhältnisse eines Gebäudes im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Lage im Zonenrandgebiet betreffe alle in dieser Region belegenen Grundstükke.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und bei der Feststellung des Einheitswerts eine Ermäßigung wegen der Lage des Grundstücks im Zonenrandgebiet nicht zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der Kläger hat im Revisionsverfahren keine Einwendungen dagegen erhoben, daß das FA das streitige Grundstück nach dem Sachwertverfahren (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) bewertet hat. Das FG hat die Anwendung des Sachwertverfahrens unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (BFH-Urteile vom 23. Juli 1971 III R 86/69, BFHE 103, 213, BStBl II 1971, 797 und vom 10. Februar 1978 III R 107/76, BFHE 124, 370, BStBl II 1978, 294) gebilligt. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen.
2. Der Einheitswert eines bebauten Grundstücks wird im Sachwertverfahren in der Weise ermittelt, daß der aus der Summe von Bodenwert, Gebäudewert und Wert der Außenanlagen sich ergebende Ausgangswert durch Anwendung einer Wertzahl an den gemeinen Wert angeglichen wird (§§ 83, 90 BewG). Dabei ist der Grund und Boden mit dem Wert anzusetzen, der sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre (§ 84 BewG). Zur Ermittlung des Gebäudewerts (§ 85 BewG) ist zunächst der Gebäudenormalherstellungswert zu berechnen. Dieser ist wegen des Alters des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt (§ 86 BewG) und wegen etwa vorhandener baulicher Mängel und Schäden (§ 87 BewG) zu mindern. Es ergibt sich der sogenannte Gebäudesachwert, der in besonderen Fällen ermäßigt oder erhöht werden kann (§ 85 Satz 4 BewG i. V. m. § 88 BewG).
3. Eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts nach § 88 BewG setzt voraus, daß Umstände tatsächlicher Art vorliegen, die bei seiner Ermittlung nicht berücksichtigt worden sind. Solche Umstände können u. a. in der Lage des Grundstücks begründet sein (§ 88 Abs. 2 BewG).
a) Im Schrifttum werden als Beispiele für eine den Gebäudesachwert mindernde Lage des Grundstücks u. a. die Belegenheit eines Einfamilienhauses in der Einflugschneise eines Flugplatzes, in der unmittelbaren Nähe eines Müllabladeplatzes oder einer Fabrik mit starker Ruß-, Staub- und Lärmverursachung genannt (vgl. z. B. Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 88 BewG Anm. 5; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 88 BewG, Anm. 4; Steinhardt, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 88 BewG, Rdnr. 2). Als möglicher Grund für eine Ermäßigung des Gebäudewerts wegen der ungünstigen Lage des Grundstücks wird auch dessen Belegenheit in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zonengrenze angesehen (Gürsching/Stenger, a. a. O.). Rössler/Troll/Langner (a. a. O.) vertreten hierzu die Ansicht, ein Abschlag wegen unmittelbarer Nähe des Grundstücks zur Zonengrenze komme gemäß § 88 Abs. 2 BewG nur bei Wohngrundstücken und sonstigen bebauten Grundstücken in Betracht, da § 4 der Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG vom 2. September 1966 (BGBl I 1966, 553) in der Fassung vom 25. Februar 1970 (BGBl I 1970, 216) für Geschäfts- und gemischtgenutzte Grundstücke im Zonenrandgebiet eine Sonderregelung enthalte (vgl. auch Rössler/Troll/Langner, a. a. O., § 90 BewG Anm. 17).
b) Nach Auffassung des erkennenden Senats kann die Lage eines Zweifamilienhauses im Zonenrandgebiet nicht generell eine Ermäßigung des Gebäudesachwerts nach § 88 BewG rechtfertigen. Zweck des § 88 BewG ist es, wertbeeinflussende Umstände, die sich auf den Gebäudewert auswirken, jedoch bei der Ermittlung des Gebäudesachwerts gemäß §§ 85 bis 87 BewG außer acht gelassen worden sind, in Einzelfällen zu berücksichtigen. Dies folgt aus § 85 Satz 4 BewG, wonach der Gebäudesachwert in "besonderen" Fällen ermäßigt oder erhöht werden kann. Der Senat braucht im Streitfall nicht abschließend zu entscheiden, ob unter den Begriff der "besonderen" Fälle i. S. des § 85 Satz 4 BewG auch eine Vielzahl von Grundstücken gleicher Grundstücksart fallen kann. Der Begriff der "besonderen" Fälle ist jedenfalls nicht dahin zu verstehen, daß hierunter sämtliche im Zonenrandgebiet belegenen Grundstücke der Grundstücksarten Ein-, Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke und sonstige bebaute Grundstücke fallen.
Diese Auffassung wird bestätigt durch § 90 BewG im Zusammenhang mit der zu dieser Vorschrift ergangenen Verordnung sowie durch § 122 Abs. 3 BewG. Nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BewG können für einzelne Grundstücksarten oder Grundstücksgruppen in bestimmten Gebieten, Gemeinden oder Gemeindeteilen besondere Wertzahlen festgesetzt werden, wenn es die örtlichen Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt erfordern. Ob und in welchem Umfang diese Voraussetzungen vorlagen, wurde - und zwar u. a. auch für aufwendig gebaute Ein- und Zweifamilienhäuser - bei der Vorbereitung der Hauptfeststellung 1964 anhand von Probebewertungen untersucht (vgl. die Begründung zu § 53g der Regierungsvorlage zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BewG, Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 71f. sowie die Begründung zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG, Bundesrats-Drucksache 255/66 S. 2f.). Aufgrund dieser Untersuchungen bestimmt § 4 der Verordnung zu § 90 BewG, daß die Wertzahlen, die sich nach den §§ 2 und 3 der Verordnung ergeben, für Geschäfts- und gemischtgenutzte Grundstücke im Zonenrandgebiet zu ermäßigen sind. Für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Mietwohngrundstücke und sonstige bebaute Grundstücke wurde eine Ermäßigung der Wertzahl nicht zugelassen, da regional bedingte Abweichungen der Verkehrswerte dieser Grundstücksarten für das Zonenrandgebiet - im Gegensatz zu den in Berlin-West belegenen Grundstücken - nicht festgestellt wurden (vgl. die Begründung zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG, a. a. O., S. 2 und S. 6 sowie § 122 Abs. 3 BewG). Hiermit wäre es unvereinbar, eine generelle Ermäßigung des Gebäudesachwerts gemäß § 88 BewG allein wegen der Lage eines Zweifamilienhauses im Zonenrandgebiet zu gewähren. Dies schließt allerdings nicht aus, daß aufgrund ganz besonderer Umstände im Einzelfall auch wegen der Lage eines Zweifamilienhauses in unmittelbarer Nähe der Grenze ein Abschlag gemäß § 88 Abs. 2 BewG in Betracht kommen kann, etwa wenn das Grundstück durch die unmittelbare Nähe der Grenze und ihrer Einrichtungen in besonderem Maße beeinträchtigt ist.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die nicht spruchreife Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Die Vorinstanz wird Feststellungen zu treffen haben, ob im Streitfall ein Ausnahmefall in dem vorstehend bezeichneten Sinne gegeben ist, und ob, ggf. in welchem Umfange, wegen der Lage des Grundstücks in unmittelbarer Nähe der gemeindlichen Kläranlage eine Ermäßigung gemäß § 88 Abs. 2 BewG gerechtfertigt erscheint.
Fundstellen
Haufe-Index 73650 |
BStBl II 1980, 738 |
BFHE 1981, 391 |