Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe eines einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheids
Leitsatz (NV)
Haben die Gesellschafter einer KG dem Finanzamt keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten benannt und gibt das Finanzamt den einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid gemäß § 219 Abs. 1 Satz 3 AO nur einem der Feststellungsbeteiligten bekannt, so muß deutlich sein, daß die Bekanntgabe mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten erfolgt; dem genügt auch ein Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids, daß dieser mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehe.
Normenkette
AO § 219 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1973 Kommanditist der X-GmbH & Co. KG (KG). Er war zugleich Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der KG, der X-GmbH. Zum 31. Dezember 1973 schied der Kläger als Geschäftsführer der GmbH aus und erhielt dafür eine Abfindung von . . . DM.
Bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns 1973 wurde dieser Betrag dem Anteil des Klägers an den laufenden Einkünften der KG hinzugerechnet, jedoch nicht unter den tarifbegünstigten Einkünften i. S. der §§ 24 Nr. 1, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgewiesen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den Gewinnfeststellungsbescheid 1973 vom 9. April 1975 dem Kommanditisten Z gemäß § 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zu. Die vorgedruckte Rechtsbehelfsbelehrung des zugestellten Bescheids enthielt folgenden Hinweis:
,,Der Feststellungsbescheid richtet sich gegen alle Feststellungsbeteiligten. Haben die Beteiligten einen Empfangsbevollmächtigten nicht benannt, so ist das Finanzamt berechtigt, den Feststellungsbescheid nur einem Beteiligten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten bekanntzugeben."
Der in den Akten des FA verbliebene Verfügungsteil des Bescheids (Vordruck ESt 2 B) enthielt keinen derartigen Hinweis. Der Kläger legte am 10. September 1976 Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1973 ein. Er beantragte wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Nachsicht gemäß § 86 Reichsabgabenordnung (AO) zu gewähren und die Gewinnfeststellung unter Berücksichtigung der Tarifbegünstigung für die Abfindung zu ändern.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte der Ansicht des Klägers, der angefochtene Feststellungsbescheid sei ihm gegenüber nicht wirksam geworden, da der Bescheid keinen ausreichenden Hinweis darauf enthalten habe, daß er mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter ergehen sollte.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 219 Abs. 1 AO.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger hat sich, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen, den Rechtsausführungen des FG angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Der Gewinnfeststellungsbescheid 1973 ist wirksam zugestellt worden.
Dieser Bescheid richtet sich gegen die Gesellschafter der KG, denen die festgestellten Einkünfte zur Besteuerung zuzurechnen waren (§ 215 Abs. 2, § 219 Abs. 1 AO). Er mußte diesen Gesellschaftern deshalb grundsätzlich einzeln bekanntgegeben werden (§ 91 Abs. 1 AO). Das FA hat demgegenüber von der Verfahrenserleichterung des § 219 Abs. 1 Satz 3 AO Gebrauch gemacht und den Feststellungsbescheid dem Kommanditisten Z mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter übersandt. Hierbei mußte das FA gegenüber dem Gesellschafter Z deutlich machen, daß es von der Verfahrenserleichterung des § 219 Abs. 1 AO Gebrauch machen und von einer gesonderten Bekanntgabe gegenüber allen Gesellschaftern absehen wollte; dies war schon deshalb erforderlich, damit der Gesellschafter Z die übrigen Feststellungsbeteiligten von der Bekanntgabe benachrichtigte. Deshalb verlangt die im Streitjahr maßgebliche Vorschrift des § 219 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz AO den Hinweis, daß der Feststellungsbescheid mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehe. Der im Gewinnfeststellungsbescheid 1973 enthaltene Hinweis genügt den Anforderungen des § 219 Abs. 1 Satz 3 AO.
Um den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts zu ermitteln, muß sein Empfänger den erkennbaren wirklichen Willen der Behörde erfassen, wobei nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks gehaftet werden darf; § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthält dazu eine auch für öffentlich-rechtliche Willenserklärungen geltende Auslegungsregel (Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 1961 I C 54.57, BVerwGE 12, 87, 91; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34). Im Streitfall konnte für den Gesellschafter Z kein Zweifel daran bestehen, daß das FA von der Verfahrenserleichterung des § 219 Abs. 1 Satz 3 AO Gebrauch machen wollte. Darauf deutet schon die Adressierung des Bescheides hin, der an die KG ,,z. Hd. Herrn Dr. Z" gerichtet war; darin kam zum Ausdruck, daß der Bescheid für die Gesellschafter der KG bestimmt war, die in den Anlagen zum Feststellungsbescheid aufgeführt waren. Auch der Hinweis, daß sich der Bescheid gegen alle Feststellungsbeteiligten richte, machte auf das vom FA gewollte Zustellungsverfahren aufmerksam. Eines solchen Hinweises hätte es nicht bedurft, wenn das FA gegen jeden Gesellschafter einen Feststellungsbescheid hätte erlassen wollen. Die Absicht des FA, den Feststellungsbescheid nur einem Gesellschafter mit Wirkung für und gegen alle anderen bekanntzugeben, kommt jedoch vor allem in dem erläuternden Nachsatz zum Ausdruck, in dem ausdrücklich auf die Befugnis des FA zu diesem Zustellungsverfahren und auf die damit verbundenen Rechtsfolgen hingewiesen wird.
Entgegen der Absicht des FG ist es auch nicht zu beanstanden, daß der Hinweis in die Rechtsbehelfsbelehrung einbezogen worden ist; ein Irrtum über den Sinn des Hinweises konnte sich daraus nicht ergeben (BFH-Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23).
Das FA hat erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen, der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheids habe nicht den vom FG festgestellten Inhalt gehabt, sondern wie folgt gelautet: ,,Der Feststellungsbescheid hat Wirkung für und gegen alle Beteiligten. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschaft (Gemeinschaft) dem Finanzamt einen Zustellungsvertreter nicht benannt hat und das Finanzamt den Bescheid nur einem der Beteiligten hat zugehen lassen." Der Senat kann dieses Vorbringen schon deshalb nicht berücksichtigen, weil er an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Davon abgesehen, entspricht der Hinweis auch mit diesem Inhalt den Anforderungen des § 219 Abs. 1 Satz 3 AO (vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1985 VIII R 315/82, BFHE 145, 104, BStBl II 1986, 123).
Die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids an den Kläger kann auch nicht mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, daß der Hinweis i. S. des § 219 Abs. 1 Satz 3 AO nur in der dem Z zugestellten Ausfertigung des Bescheids, nicht aber in der bei den Akten befindlichen Urschrift des Feststellungsbescheids enthalten war.
Zwar ist es richtig, daß nach der Konzeption der AO das Wesentliche an einem Steuerbescheid (Feststellungsbescheid) nicht seine Bekanntgabe, sondern die verwaltungsinterne Beschlußfassung über die Festsetzung der Steuer (der Besteuerungsgrundlagen) ist. Als Bescheid ist deshalb die bei den Akten befindliche Urschrift des Verwaltungsakts anzusehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1974 III R 94/73, BFHE 113, 164, BStBl II 1974, 725, und vom 7. Juli 1978 VI R 211/75, BFHE 125, 347, BStBl II 1978, 575, m. w. N.). Deckt sich der Inhalt der bekanntgegebenen Ausfertigung nicht mit der Urschrift, so ist der Inhalt der Aktenverfügung maßgeblich. Der Hinweis nach § 219 Abs. 1 AO gehört nicht zur Beschlußfassung über die einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen, sondern betrifft nur das Verfahren der Bekanntgabe. Es ist deshalb auch nicht erforderlich, daß dieser Hinweis in der Aktenverfügung enthalten ist. Es genügt, wenn sich aus der Aktenverfügung ergibt, wem der Gewinnfeststellungsbescheid zugestellt worden ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, da aus dem Verfügungsteil des Bescheids hervorgeht, daß der Feststellungsbescheid dem Z als Zustellungsvertreter bekanntgegeben werden sollte.
Zweifel an der Wirksamkeit der Bekanntgabe sind schließlich auch nicht im Hinblick auf die von Z zugunsten seines Beraters ausgestellte Zustellungsvollmacht begründet. Der Senat kann die vom FG unterlassene Auslegung der Vollmachtsurkunde selbst vornehmen, da das FG die dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat (BFH-Urteil vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475, m. w. N.).
In seinem Schreiben vom 29. November 1974, auf welches das FG Bezug genommen hat, teilte Z dem FA mit, er ernenne hiermit seinen Steuerberater S für seine steuerlichen Angelegenheiten zu seinem Zustellungsbevollmächtigten. Er bat, alle Aufforderungen zur Abgabe von Steuerbescheiden und alle Steuerbescheide direkt an seinen Steuerberater zu senden. Im Betreff des Schreibens ist nur die persönliche Steuernummer des Z angeführt. Nach dem Wortlaut der Zustellungsvollmacht ist davon auszugehen, daß sie sich nur auf die persönlichen Steuerangelegenheiten des Z bezog. Dafür spricht nicht nur die Angabe der persönlichen Steuernummer des Z in diesem Schreiben, sondern auch der Umstand, daß Z die Vollmacht nur für ,,seine" steuerlichen Angelegenheiten erteilte. Von den Gewinnfeststellungsbescheiden für die KG ist in diesem Schreiben nicht die Rede. Zwar mag es richtig sein, daß Z die Absicht hatte, seinen Steuerberater auch zur Entgegennahme von Gewinnfeststellungsbescheiden zu bevollmächtigen. Diese Absicht ist jedoch im Schreiben vom 29. November 1974 nicht hinreichend klar zum Ausdruck gekommen. Bestehen Unklarheiten über den Umfang einer Vollmacht, so gilt der Grundsatz, daß, soweit nicht der größere Umfang nachweisbar ist, nur der geringere angenommen werden kann (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 44. Aufl., § 167 Anm. 2, m. w. N.). Das FA war deshalb berechtigt, den Gewinnfeststellungsbescheid 1973 dem Gesellschafter Z zuzustellen.
2. Die Vorentscheidung, die auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung beruht, war aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif; sie wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht geprüft, ob dem Kläger, der die Einspruchsfrist versäumt hat, Nachsicht (§ 86 AO) hätte gewährt werden müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 414375 |
BFH/NV 1988, 749 |