Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelbesteuerungsabkommen Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung des deutsch-finnischen und des deutsch- schwedischen DBA auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO betreffend die Erstattung von Steuern beginnt zu laufen, wenn der Steuerpflichtige die Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse erkannt hat. Ein vom Steuerpflichtigen verschuldetes Nichtkennen der Tatsachen steht aber der positiven Kenntnis gleich.
Steuererstattungsansprüche unterliegen nicht der Verjährung.
Zur Frage der Bildung von Gewohnheitsrecht im Steuerrecht.
Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der direkten Steuern Art. 5; Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Schweden zur Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung, insbesondere zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der direkten Steuern Art. 5; AO
Normenkette
DBA FIN Art. 5; DBA SWE Art. 5; AO §§ 144, 152 Abs. 2-3
Tatbestand
Der Steuerpflichtige, ein Ingenieur, wohnte in den Jahren 1953, 1955 und 1956 in der Bundesrepublik Deutschland, war jedoch als angestellter Ingenieur einer Baufirma jedes Jahr längere Zeit auf deren Baustellen in Finnland und Schweden beschäftigt. Seine Einkünfte im Ausland wurden dort versteuert. Seine deutsche Arbeitgeberin behielt trotzdem auch für die ausländischen Bezüge im Inland Lohnsteuer und Abgabe "Notopfer Berlin" (NOB) ein. Erst am 2. Mai 1960 beantragte der Steuerpflichtige, ihm die einbehaltenen und an das Finanzamt abgeführten Steuern in Höhe von 7.031,11 DM zu erstatten, weil sie zu Unrecht doppelt bezahlt worden seien. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Finnland und Schweden seien die in diesen Ländern erzielten Einkünfte nur dort zu versteuern gewesen. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, weil er nicht innerhalb der Frist des § 152 Abs. 3 AO gestellt worden sei; die Frist für das Jahr 1953 sei am 31. Dezember 1954, für das Jahr 1955 am 31. Dezember 1956 und für das Jahr 1956 am 31. Dezember 1957 abgelaufen gewesen. Nachsicht wegen der Fristversäumnis könne dem Steuerpflichtigen nicht gewährt werden. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1963 S. 276 veröffentlicht ist, gab der Berufung zum Teil statt und führte aus: Der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Steuern erlösche gemäß § 152 Abs. 3 AO, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahrs, das auf die Entrichtung folgt, geltend gemacht werde. Es handele sich um eine Ausschlußfrist. Nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs VI 136/55 U vom 5. April 1957 (BStBl 1960 III S. 318, Slg. Bd. 71 S. 187) und VI 240/59 vom 13. Dezember 1961 (Der Betrieb 1962 S. 291) beginne die Jahresfrist aber erst zu laufen, wenn der Erstattungsberechtigte die Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse voll erkannt habe. Diese Grundsätze seien bindendes Gewohnheitsrecht geworden. Der Steuerpflichtige, der kein Steuerfachmann sei, habe erst Anfang 1960 erfahren, daß Teile seines Arbeitslohnes zu Unrecht doppelt versteuert worden seien. Die tatsächlichen Feststellungen hätten ergeben, daß ihm die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) unbekannt gewesen seien. Er habe sich darauf verlassen, daß seine Firma nicht zu viel Steuern abführe. Wegen seines langen Auslandsaufenthalts habe er auch nicht die Rechtslage im Wege einer Anrufungsauskunft beim Finanzamt klären können. Der Steuerpflichtige habe auch durch die doppelte Steuerzahlung nicht stutzig zu werden brauchen; denn ihm sei die Doppelbelastung nicht unmittelbar bewußt geworden, weil auf Grund der Vereinbarung zwischen seiner Arbeitgeberin und den ausländischen Kunden diese die ausländischen Steuern getragen hätten. Nach allem sei anzunehmen, daß der Steuerpflichtige die Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse erst Anfang 1960 erkannt habe. Gehe man davon aus, so habe er den Erstattungsantrag rechtzeitig gestellt. Die für die Jahre 1955 und 1956 zuviel abgeführten 2.960,20 DM an Lohnsteuer und 236,85 DM an NOB seien deshalb zu erstatten. Nicht zu erstatten seien indessen die für das Jahr 1953 entrichtete Lohnsteuer von 3.669,57 DM und NOB von 164,49 DM. Erstattungsansprüche der Steuerpflichtigen verjährten in der gleichen Frist wie Steueransprüche des Fiskus. Der Erstattungsanspruch für das Jahr 1953 sei gemäß §§ 144 und 145 AO nach Ablauf von fünf Jahren, also Ende 1958, erloschen.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 152 Abs. 3 AO. Er hält den Erstattungsanspruch weiterhin für erloschen. Der Steuerpflichtige regt an, auch die Frage der Anspruchsverjährung für das Jahr 1953 zu prüfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Steuerpflichtige, der im Inland seinen Wohnsitz hat, ist gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig. Zutreffend hat das Finanzgericht angenommen, daß die unbeschränkte Lohnsteuerpflicht hier durch die DBA mit Finnland und Schweden eingeschränkt sei. Das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Finnland vom 25. September 1935 (RGBl 1936 II S. 28, RStBl 1936 S. 91) ist nach der Bekanntmachung des Bundesministers des Auswärtigen über die Wiederanwendung deutsch- finnischer Vorkriegsverträge vom 31. Juli 1954 (BGBl 1954 II S. 740, BStBl 1954 I S. 404) mit Wirkung ab 1. Januar 1953 wieder anzuwenden. Das Abkommen vom 25. April 1928 zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Schweden (RGBl 1928 III S. 522) - das zwischenzeitlich durch das Abkommen vom 17. April 1959 (BGBl 1960 II S. 1815, BStBl 1960 I S. 415) ersetzt wurde - ist nach der Bekanntmachung der Bundesregierung vom 27. Juni 1951 (BGBl 1951 II S. 151, BStBl 1951 I S. 284) ebenfalls in Kraft. Im Artikel 5 sehen beide Abkommen übereinstimmend vor, daß eine nichtselbständige Betätigung im Ausland nur der ausländischen Besteuerung unterliegt. Trotzdem sind die Arbeitseinkünfte des Steuerpflichtigen aus seiner Auslandstätigkeit auch im Inland versteuert worden, so daß der streitige Betrag zu Unrecht an das Finanzamt abgeführt wurde und darum grundsätzlich gemäß § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO zu erstatten ist, allerdings unter der Voraussetzung, daß nicht die Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO abgelaufen ist.
Das Finanzgericht hält den Erstattungsantrag für rechtzeitig gestellt. Seine Ausführungen tragen diese Entscheidung aber nicht. Das Finanzgericht stellt zwar mit der Rechtsprechung des Senats für den Beginn der Ausschlußfrist auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ab. Der Senat hat jedoch bereits im Urteil VI 240/59 a. a. O. das verschuldete Nichtkennen des Steuerpflichtigen der positiven Kenntnis gleichgestellt. Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat das Finanzgericht nicht ausreichend gewürdigt. Es ist nicht auszuschließen, daß sich der Steuerpflichtige um seine steuerlichen Angelegenheiten nicht mit der gebotenen Sorgfalt gekümmert hat, obwohl er dazu in der Lage war. Der Arbeitnehmer ist der eigentliche Steuerschuldner der Lohnsteuer. Als solchen trifft ihn auch eine gewisse Sorgfaltspflicht bei der überwachung der Steuerberechnung des Arbeitgebers. Berechnet der Arbeitgeber die laufende Lohnsteuer zu hoch, so muß der Arbeitnehmer grundsätzlich im Lohnsteuer- Jahresausgleichsverfahren oder im Erstattungsverfahren innerhalb der gesetzten Fristen die zu Unrecht abgeführte Steuer zurückverlangen. Er kann dieses sein Erstattungsrecht nur geltend machen, wenn er seine Lohnsteuer selbst prüft. Der Gesetzgeber will das etwas summarische Lohnsteuerverfahren möglichst schnell endgültig abgeschlossen wissen und hat darum allgemein verhältnismäßig kurze Fristen gesetzt. Auf diesen Gesichtspunkt hat der Senat z. B. bereits in der Grundsatzentscheidung VI 228/59 S vom 6. Mai 1960 (BStBl 1960 III S. 296, Slg. Bd. 71 S. 126) hingewiesen und hat auch auf diese überlegung die Entscheidung gestützt, daß die Finanzämter nur in engen Grenzen die im Lohnsteuer-Jahresausgleich erstattete Lohnsteuer vom Steuerpflichtigen zurückverlangen können. Diese Erwägung führt dazu, aber auch vom Arbeitnehmer zu verlangen, daß er in den Grenzen des ihm Zumutbaren selbst mit darüber wacht, daß der Arbeitgeber die Steuer nicht zu hoch einbehält. Er kann nicht die Dinge jahrelang laufen lassen und dann gelegentlich die - im übrigen kaum nachprüfbare - Behauptung aufstellen, daß er erst jetzt von seinem Recht zur Erstattung erfahren habe. Bei seiner Vorbildung und seiner leitenden Beschäftigung ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Steuerpflichtige bei einiger Sorgfalt die Steuererstattung schon vor 1960 hätte geltend machen können. Er hat nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht von dem Lohnsteuerabzug im Inland unverzüglich Kenntnis erhalten. Der Senat hat im übrigen bereits im Urteil VI 240/59a. a. O. betont, daß allein der Auslandsaufenthalt einen Steuerpflichtigen nicht von der Pflicht entbindet, sich um seine steuerlichen Angelegenheiten im Inland zu kümmern; gegebenenfalls muß er sich eines Bevollmächtigten bedienen.
Der Einwand des Steuerpflichtigen, er habe die DBA nicht gekannt, greift nicht durch. Ein Steuerpflichtiger von dem Bildungsgrad des Beschwerdegegners (Bg.) weiß normalerweise, daß gerade bei der Beschäftigung im Ausland besondere Steuerfragen auftreten und daß darum in solchen Fällen besondere Sorgfalt geboten ist. Der Bg. hat bisher nicht dargetan, in welcher Weise er dieser Sorgfaltspflicht zu genügen versucht hat.
Das Finanzgericht spricht im Zusammenhang mit § 152 Abs. 3 AO auch von einem Gewohnheitsrecht, ohne zu sagen, was nach seiner Vorstellung Inhalt eines solchen Gewohnheitsrechts sein soll. Der Senat sieht davon ab, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und in welchem Maß des Gewohnheitsrecht eine Quelle des Steuerrechtes sein kann, weil hier keinesfalls Gewohnheitsrecht in Betracht kommt, sondern es nur um die richterliche Auslegung des § 152 Abs. 3 AO geht. Auch eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hat nicht etwa den Charakter von Gewohnheitsrecht mit der Folge, daß sie wie ein Gesetz auch die Steuergerichte oder den Bundesfinanzhof selbst für die Zukunft bindet und nur vom Gesetzgeber durch einen Akt der Gesetzgebung für die Zukunft geändert werden kann.
Das Finanzgericht erkennt allerdings zutreffend, daß eine enge wortgemäße Anwendung des § 152 Abs. 3 AO bei der verhältnismäßig kurzen Ausschlußfrist zu unbilligen Ergebnissen führen würde, wenn der Erstattungsberechtigte ohne eigenes Verschulden erst spät von der Steuerentrichtung erfahren hat und darum den Erstattungsanspruch nicht früher geltend machen konnte. Der Senat berücksichtigt darum auch die subjektiven Verhältnisse bei dem Steuerpflichtigen. Weitet man aber den Anwendungsbereich des § 152 Abs. 3 AO in dieser Weise aus, so muß eine andere Grenze gefunden werden, um nicht entgegen der klaren Tendenz des Gesetzes zu einer zeitlich fast unbeschränkten Erstattung zu kommen. Diese Grenzen hat die Rechtsprechung darin gefunden, daß das verschuldete Nichtkennen dem positiven Kennen der anspruchsbegründenden Tatsache gleichgestellt wird.
Das Finanzgericht hat für das Jahr 1953 die Verjährungsvorschriften angewandt und hat deswegen für das Jahr 1953 die Erstattung abgelehnt. Diese Auffassung ist rechtlich nicht einwandfrei. Die Bestimmungen der AO über die Verjährung gelten nach einhelliger Auffassung nur für Ansprüche des Steuerfiskus gegen die Steuerpflichtigen (vgl. z. B. Hübschmann- Hepp-Spitaler- v. Wallis-Lademann-Hartung, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1. bis 4. Auflage, § 143, Anm. 2; Tipke- Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 143, Anm. 3; Barske, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 6. Aufl., S. 54). Sondervorschriften, die sich mit der Verjährung von Erstattungsansprüchen des Steuerpflichtigen gegen den Steuerfiskus befassen, finden sich in der AO nicht. Das Finanzgericht hat nicht beachtet, daß es für das Erstattungsverfahren einer Verjährung auch gar nicht bedarf, weil das Gesetz für Erstattungsansprüche die wesentlich kürzeren Ausschlußfristen festgesetzt hat. Legt man allerdings mit dem Finanzgericht § 152 Abs. 3 AO hinsichtlich des Beginns der Ausschlußfrist allzu weitherzig aus und führt man dadurch die Gefahr einer uferlosen zeitlichen Ausweitung der Erstattungsfrist herbei, so muß man nach einer neuen Grenze suchen, wie sie das Finanzgericht hier - entgegen dem Klaren Wortlaut des Gesetzes - in der Verjährungsfrist gefunden zu haben glaubt.
Die Entscheidung des Finanzgerichts war nach allem auf die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hin aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht an das Finanzgericht zurück, das den Streitfall unter den genannten rechtlichen Gesichtspunkten neu zu prüfen hat. Vor allem muß es feststellen, wann der Steuerpflichtige bei Anwendung gehöriger Sorgfalt die Doppelzahlung in den Jahren 1955 und 1956 hätte erkennen können. Auf das Jahr 1953 kann das Finanzgericht nicht mehr eingehen, weil die Sache insoweit rechtskräftig abgeschlossen ist. Der Steuerpflichtige hat gegen die Entscheidung des Finanzgerichts, soweit sie das Jahr 1953 betraf, nicht selbst rechtzeitig Rb. eingelegt. Der Senat sieht seine Anregung, auch das Jahr 1953 aufzugreifen, nicht als Anschlußbeschwerde an, weil er sie sonst als unzulässig verwerfen müßte; denn wie in dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 39/63 U vom 17. November 1964 (BStBl 1965 III S. 178) entschieden ist, kann der Anschluß an eine Rb., die in einem Verfahren, das mehrere Jahre betrifft, eingelegt worden ist, immer nur für die Jahre erklärt werden, die der andere Prozeßbeteiligte mit der Rb. angegriffen hat. Der Vorsteher des Finanzamts hatte aber hier nur die Jahre 1955 und 1956 mit der Rb. angegriffen.
Fundstellen
Haufe-Index 424143 |
BStBl III 1965, 251 |
BFHE 1965, 8 |
BFHE 82, 8 |
StRK, : 152 R 21 |