Leitsatz (amtlich)
1. Mängel bei der Bezeichnung des Urteils in der Revisionsschrift sind unschädlich, wenn die fehlenden Angaben bis zum Ende der Revisionsfrist beim Finanzgericht aus den vorinstanzlichen Akten entnommen werden können.
2. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß der Beklagte nicht eines besonderen rechtlichen Interesses für den Antrag auf Klageabweisung bedarf, wenn der Kläger nach unzulässig erhobener Klage die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt (Urteil des Senats vom 9. August 1977 VII R 123/74, BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697).
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2, § 138
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bat den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) um Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen, die aufgrund von Steuerrückständen in Höhe von mehr als 110 000 DM eingeleitet worden waren. Das FA lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Die Beschwerdeentscheidung wurde dem Kläger am 4. Februar 1974 zugestellt. Mit einem an die Oberfinanzdirektion (OFD) gerichteten Schreiben vom 27. März 1974 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die OFD leitete das Schreiben an das Finanzgericht (FG) weiter. Auf Anfrage der Geschäftsstelle des FG, ob das Schreiben vom 27. März 1974 als Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzufassen sei, teilte der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 1974 mit, daß er nur einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, aber noch keine Klage mit Begründung eingereicht habe. Falls dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprochen werde, folge eine Klage mit eingehender Begründung. Nachdem das FG den Kläger durch Schreiben vom 31. Mai 1974 darauf hingewiesen hatte, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig sein dürfte, weil die Klage als die versäumte Rechtshandlung nicht nach § 56 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb der Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags nachgeholt worden sei, führte der Kläger erneut aus, daß er zunächst um Prüfung seines Begehrens auf Wiedereinsetzung bitte und daß "alsdann" die Klage "nachgereicht" werde.
Am 19. Juni 1974 ging beim FG ein Schreiben ein, das dieses als Klage ansah. Das FG wies die Klage ab mit der Begründung, sie sei verspätet erhoben worden und deshalb unzulässig. Die Klagefrist sei bereits am 4. März 1974 abgelaufen gewesen. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unzulässig. Es könne zwar unterstellt werden, daß der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Klagefrist einzuhalten. Der Kläger habe aber versäumt, die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen. Das Hindernis sei spätestens am 27. März 1974 weggefallen. An diesem Tag habe der Kläger den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und damit gezeigt, daß er auch die Klage hätte erheben können. Die Zweiwochenfrist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO sei am 10. April 1974 abgelaufen gewesen.
Gegen das Urteil des FG wandte sich der Kläger innerhalb der Revisionsfrist mit Schriftsatz vom 22. August 1974 an das FG, in dem zur Identifizierung des Urteils - außer den Angaben über den Kläger und das FG - nur noch das Aktenzeichen der finanzgerichtlichen Entscheidung angegeben ist. In diesem Schriftsatz wird ausgeführt, daß er, der Kläger, seit 1938 ein Lungenleiden habe und daß im Jahre 1972 ein schwerer Rückfall eingetreten sei. Unter Hinweis auf beigefügte Ablichtungen ärztlicher Atteste wurde u. a. geltend gemacht, er sei vom Arzt am 3. Dezember 1973 bis auf weiteres für arbeitsunfähig erklärt worden und die Arbeitsunfähigkeit werde nach Auskunft des Arztes voraussichtlich bis Mai 1975 dauern. Die Arbeitsunfähigkeit werde durch häufige fieberhafte Schweißausbrüche, sehr schnelle Ermüdung, mangelnde Konzentration, hohe Vergeßlichkeit als Folge schwerwirkender Medikamente und zeitweilige schwere Erschöpfungszustände gekennzeichnet. Infolge der Arbeitsunfähigkeit habe er nicht alle Schriftsätze form- und fristgerecht einreichen können. Das FG habe bei seiner Entscheidung anscheinend seine - des Klägers - schwere Erkrankung und die dadurch bestehende Dauerarbeitsunfähigkeit als Nachsichtsgrund übersehen. Dieser Tatbestand werde "als Klage zur Weiterleitung an den Bundesfinanzhof" vorgetragen. Es werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Im weiteren Verfahren machte der Kläger geltend, er sei am 27. März 1974 nicht in der Lage gewesen, Klage zu erheben, da die aufgezeigte Arbeitsunfähigkeit fortbestanden habe. Ursache dieser Arbeitsunfähigkeit sei insbesondere das Versagen des Gedächtnisses und die Unfähigkeit zu geistiger Konzentration gewesen. Er habe deshalb zunächst bewußt auf eine Klageerhebung verzichtet, weil er um die Beeinträchtigung infolge seiner Krankheit insbesondere in geistiger Hinsicht gewußt habe. Er habe gewartet, bis er wieder gesund gewesen sei. Um seinen Kanzleibetrieb fortsetzen zu können, habe er zwar schon zuvor nach außen Arbeitsfähigkeit vorgetäuscht. Die Arbeiten seien aber von seiner Ehefrau und von seinem Bürovorsteher erledigt worden. Einen Bevollmächtigten habe er mit der Erhebung der Klage nicht beauftragt, weil er sich damals in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Außerdem habe ihn die Krankheit so beeinträchtigt, daß er alles andere beiseite geschoben habe.
Der Kläger beantragte zunächst, das Urteil des FG aufzuheben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 13. November 1979 erklärte er jedoch den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt mit der Begründung, die Streitigkeiten mit dem FA seien für ihn erfolgreich beendet worden. Er habe sein Geld zurückerhalten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, die Klage sei zu Recht abgewiesen worden. Sie sei von Anfang an unzulässig gewesen. Die Erledigungserklärung des Klägers sei deshalb ohne Wirkung. Die Erkrankung des Klägers sei ihm - dem FA - bekannt gewesen. Auch im März 1974 habe der Kläger laufend - zumindest wenige Stunden - arbeitstäglich in seiner Praxis gearbeitet. Abgesehen von den Zeiträumen, in denen er eine Kur gemacht habe, sei der Kläger stets in der Lage gewesen, Schreiben an das FA zu fertigen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Aus der Revisionsschrift geht zwar nur das FG, gegen dessen Entscheidung die Revision gerichtet ist, der Revisionskläger und das Aktenzeichen der angefochtenen Entscheidung hervor, während nach herrschender Auffassung zur Bezeichnung des Urteils darüber hinaus zumindest noch die Angabe des Datums der angefochtenen Entscheidung erforderlich ist (vgl. Gräber, FGO, § 120 Anm. 15). Für Rechtsmittel nach der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) außerdem erforderlich, daß die Rechtsmittelschrift auch den Rechtsmittelbeklagten erkennen läßt (vgl. Urteil des BGH vom 25. September 1975 VII ZB 9/75, BGHZ 65, 114, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis - AP -, § 518 ZPO Nr. 32), wobei das BAG für das arbeitsrechtliche Verfahren auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten für notwendig hält (vgl. Urteile vom 4. Dezember 1975 2 AZR 462/74, AP, § 518 ZPO Nr. 33, und vom 5. August 1976 3 AZR 340/75, AP, § 518 ZPO Nr. 37; a. A. insoweit BGH in AP, § 518 ZPO Nr. 32).
Unabhängig davon, wie weit man den Umfang des hiernach zur Bezeichnung des angefochtenen Urteils und des gegnerischen Verfahrensbeteiligten für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels Erforderlichen annimmt, muß doch - insoweit besteht in der Rechtsprechung Einheitlichkeit - genügen, daß die für erforderlich gehaltenen Angaben noch innerhalb der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels aus sonstigen Umständen, insbesondere den Akten der Vorinstanz, festgestellt werden können (vgl. z. B. BAG-Urteil vom 15. Februar 1973 5 AZR 554/72, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1973 S. 349 - HFR 1973, 349 -; BAG-Beschluß vom 23. Juli 1975 5 AZB 27/75, Betriebs-Berater 1975 S. 1439 - BB 1975, 1439 -) oder daß sie sonst gerichtsbekannt sind (BAG-Urteile vom 22. Mai 1975 3 AZR 363/74, HFR 1975, 584, und vom 7. Dezember 1978 3 AZR 995/77, BB 1979, 525; vgl. auch BGH-Urteil vom 19. Juni 1974 I ZR 62/73, Versicherungsrecht 1974 S. 1098 - VersR 1974, 1098 -). Das ist aber im finanzgerichtlichen Verfahren deshalb regelmäßig - und so auch hier - der Fall, weil die Revision beim FG (statt - wie im Zivilprozeß nach § 553 Abs. 1 ZPO - beim Rechtsmittelgericht) einzulegen ist und bei diesem die Akten vorliegen, aus denen sich - wann immer sich aus den Angaben in der Rechtsmittelschrift ermitteln läßt, welche Akten in Betracht kommen - alle erforderlichen Angaben ergeben, und zwar noch innerhalb der Rechtsmittelfrist.
Dafür, daß auch dem BFH bereits innerhalb dieser Frist alle maßgeblichen Angaben bekannt sein müßten, ergibt sich kein Anhaltspunkt. Die hierfür vom BAG ins Feld geführten Gesichtspunkte, die Einlegung des Rechtsmittels müsse möglichst schnell dem Gegner bekanntgegeben werden, deshalb müsse das Rechtsmittelgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist wissen, gegen welches Urteil sich das Rechtsmittel richtet und wem es somit zugestellt werden muß (Beschluß vom 4. Juli 1973 1 AZB 12/73, HFR 1973, 555), und der Gegner müsse genügend Zeit haben, sich über die Einlegung eines (selbständigen) Anschlußrechtsmittels schlüssig zu werden (Urteil vom 12. Juni 1975 3 AZR 267/74, HFR 1976, 74; hiergegen BGH-Urteil in AP, § 518 ZPO Nr. 32), können hier nicht zum Zuge kommen. Denn in dem Augenblick, in dem der BFH tätig wird, d. h. die Revision dem Gegner zustellen muß (§§ 121, 71 Abs. 1 FGO), hat ihm das FG bereits mit der Revisionsschrift seine Akten übersandt (§ 120 Abs. 3 FGO).
2. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Die während des Revisionsverfahrens abgegebene Erklärung des Klägers, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, macht eine sachliche Entscheidung über die Revision nicht entbehrlich. Der Erledigungserklärung ist zwar zu entnehmen, daß der Kläger seinen mit der Klage geltend gemachten Sachantrag nicht mehr weiterverfolgt und nur noch eine Entscheidung über die Kosten anstrebt. Dieses Ziel kann er jedoch nicht erreichen, da die Klage nicht zulässig erhoben worden ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 9. August 1977 VII R 123/74, BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697, mit weiteren Hinweisen).
Ist die Klage von Anfang an unzulässig, so kann sich der Rechtsstreit durch ein nachträgliches Ereignis nicht in der Hauptsache erledigen, weil der Kläger nicht erst durch dieses Ereignis gehindert wird, die von ihm erbetene Entscheidung durchzusetzen und demnach das nachträgliche Ereignis für die Erledigung des Rechtsstreits nicht ursächlich werden kann (vgl. Urteile des BGH vom 16. Mai 1962 IV ZR 215/61, BGHZ 37, 137, 142, und vom 8. Februar 1968 VII ZR 113/65, Wertpapier-Mitteilungen 1968 S. 452 - WM 1968, 452 -). Der Kläger kann vielmehr mit seiner Klage von Anfang an eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache deshalb nicht erreichen, weil die Hauptsache nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist und das Gericht demgemäß bei nicht zulässig erhobener Klage vom Beginn des gerichtlichen Verfahrens an nicht befugt ist, über die Hauptsache zu entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und das BAG haben allerdings die Auffassung vertreten, daß der Beklagte dann nicht weiterhin Klageabweisung beantragen dürfe, wenn der Kläger durch ein nachträgliches Ereignis klaglos gestellt worden sei und der Beklagte bei Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Klage vor Eintritt des erledigenden Ereignisses kein berechtigtes bzw. schutzwertes Interesse an der Klageabweisung habe (vgl. Entscheidungen des BVerwG vom 14. Januar 1965 I C 68.61, BVerwGE 20, 146; vom 30. Oktober 1969 VIII C 105.67, Buchholz 448.1, § 19 ErsDiG Nr. 2; vom 27. Februar 1969 VIII C 37 und 38.67, BVerwGE 31, 318; vom 5. Januar 1971 VII B 143.69, Buchholz 310, § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 32; vom 20. März 1974 IV C 48.71, Buchholz 310, § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 42; vom 28. November 1975 VII C 47.73, Buchholz 300, § 21 e GVG Nr. 2; vom 19. Dezember 1975 IV CB 28.74, Buchholz 448, O, § 26 WPflG Nr. 23; vom 7. Juni 1977 I C 20.74, Buchholz 310, § 40 VwGO, Nr. 164, und vom 7. Juni 1978 7 C 63.76, BVerwGE 56, 31; Urteile des BAG vom 4. August 1961 2 AZR 482/60, BAGE 11, 251, und vom 20. Dezember 1963 1 AZR 178/63, BAG in AP 91 a ZPO Nr. 11). Dieser Auffassung vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH ist der Senat der Auffassung, daß bei unzulässig erhobener Klage nicht ein besonderes rechtliches Interesse des Beklagten an der Klageabweisung erforderlich ist, um über die Zulässigkeit der Klage entscheiden zu können (Urteil des erkennenden Senats in BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697).
Diese von der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG und des BAG abweichende Auffassung zwingt den erkennenden Senat nicht zur Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes. Die Auffassungen des BVerwG und des BAG führen zu dem Ergebnis, daß nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden ist, wenn der Kläger bei unzulässig erhobener Klage wegen eines nachträglichen Ereignisses die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt und dem Beklagten ein berechtigtes oder schutzwertes Interesse fehlt, die Abweisung der Klage zu beantragen. Grundlage dieser Entscheidungen sind mit den §§ 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), § 91 a ZPO Vorschriften, die die Kostenentscheidung in das billige Ermessen des Gerichts stellen und dem Gericht die Möglichkeit geben, auch nach der Erledigungserklärung des Klägers in einem durch unzulässige Klage eingeleiteten Rechtsstreit für die beklagte Partei eine ihrer "nunmehrigen prozessualen Stellung entsprechende und sie befriedigende Entscheidung" zu treffen (vgl. Urteil des BVerwG in BVerwGE 20, 146). Im finanzgerichtlichen Verfahren ist die gesetzliche Regelung und damit die Rechtslage jedoch anders. Zumindest in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die beklagte Behörde nach unzulässig erhobener Klage den angefochtenen Verwaltungsakt zurückgenommen oder geändert hat, würde der Wortlaut des Gesetzes (§ 138 Abs. 2 FGO) zwingend vorsehen, der beklagten Behörde die Kosten aufzuerlegen, wenn diese entsprechend der Auffassung des BVerwG und des BAG sich der Erledigungserklärung des Klägers anschließen müßte, sofern ihr ein berechtigtes oder schutzwertes Interesse an der Klageabweisung - abgesehen vom Kosteninteresse - fehlt.
Der Kläger hat die Klage unzulässig erhoben, weil er sie - wie das FG dargelegt hat - nach Ablauf der Klagefrist erhoben hat und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann. (Wird ausgeführt.)
Fundstellen
BStBl II 1980, 588 |
BFHE 1980, 480 |