Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Rechtsfolgen einer vom FA versäumten notwendigen Hinzuziehung

 

Leitsatz (NV)

Ist eine notwendige Hinzuziehung zum außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 360 Abs. 3 AO 1977) unterblieben, darf das FG sich nicht auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken, wenn der Kläger sich gegen den Verwaltungsakt in der Fassung der Einspruchsentscheidung wendet (Anschluß an das BFH-Urteil vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21).

 

Normenkette

AO 1977 § 360 Abs. 3; FGO § 100 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Gesellschafterinnen S. S. und G. S. mit einer Stammeinlage von je 10 000 DM an ihr beteiligt sind.

Unter dem 10. März 1975 wurde von der Klägerin und der Gesellschafterin S. S. ein,,Atypisch-stiller Gesellschaftsvertrag" geschlossen, wonach zwischen der Klägerin und G. S. eine stille Gesellschaft bestehen sollte. Zur Geschäftsführerin dieser Gesellschaft wurde die Klägerin bestimmt. Die Einlagen wurden für die Klägerin gemäß ihrem Stammkapital auf 20 000 DM und für G. S. ebenfalls auf 20 000 DM festgesetzt. Am Gewinn und Verlust sollten die atypische stille Gesellschafterin G. S. zu 90% und die Klägerin zu 10% teilhaben.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hielt den der Klägerin zugewiesenen Gewinnanteil für unangemessen niedrig. Er änderte die Gewinnverteilung dahingehend, daß er G. S. für ihre Tätigkeit im Dienste der Klägerin eine Vorabvergütung zurechnete. Den Restgewinn verteilte das FA im Verhältnis der Kapitalanteile zu je 50%. Den der atypischen stillen Gesellschafterin zugewiesenen Mehrbetrag des Gewinns betrachtete es als verdeckte Gewinnausschüttung, die es für das Streitjahr 1976 auf 11 585 DM festsetzte.

Der von der Klägerin gegen die Gewinnfeststellung 1976 eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Eine Hinzuziehung der atypischen stillen Gesellschafterin zum Einspruchsverfahren nach § 360 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) ist nicht erfolgt. Die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1979 wurde nur der Klägerin bekanntgegeben und zugestellt.

Im Klageverfahren beantragte die Klägerin zunächst, die Gewinnfeststellung 1976 entsprechend den eingereichten Steuererklärungen durchzuführen. Auf Hinweis des Finanzgerichts (FG) beantragte die Klägerin, die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Sache an das FA zurückzuverweisen, weil die Hinzuziehung der atypischen stillen Gesellschafterin G. S. nach § 360 Abs. 3 AO 1977 unterblieben sei.

Das FG gab dem geänderten Klageantrag statt, hob die Einspruchsentscheidung auf und verwies die Sache an das FA zurück, weil die angegriffene Einspruchsentscheidung wegen Verstoßes gegen § 360 Abs. 3 AO 1977 unwirksam sei und außerdem der atypischen stillen Gesellschafterin gemäß § 359 Nr. 2 i.V.m. § 366 AO 1977 hätte zugestellt werden müssen. Die Nichtbeachtung dieser Vorschriften stelle einen wesentlichen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, der auch durch Beiladung der G. S. im Klageverfahren nicht geheilt werden könne. Das FG sah von einer Beiladung der atypischen stillen Gesellschafterin ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der erkennende Senat ist zwar mit dem FG der Auffassung, daß ein Fall unterbliebener notwendiger Hinzuziehung nach § 360 Abs. 3 AO 1977 vorlag. Dieser Mangel kann jedoch durch die vom FG nachzuholende notwendige Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) geheilt werden. Das FG durfte sich nicht auf die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken und hat daher gegen § 44 Abs. 2 und § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO verstoßen.

a) Die atypische stille Gesellschafterin war gemäß § 360 Abs. 3 i.V.m. § 360 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 notwendig hinzuzuziehen, weil es im Einspruchsverfahren auch um die Frage ging, wie der festgestellte Betrag sich auf die Beteiligten verteilt.

b) Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. August 1982 IV R 185/80 (BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21; bestätigt durch die nicht veröffentlichten Urteile vom 16. März 1984 III R 107/83, und vom 5. Mai 1983 IV R 120/82), dessen Grundsätzen der erkennende Senat sich anschließt (s. Urteil vom 23. April 1985 VIII R 282/81, BFHE 144, 326, BStBl II 1985, 711), darf das FG sich auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken, wenn dies von einem Prozeßbevollmächtigten beantragt ist und für diesen Antrag ein besonderes rechtliches Interesse besteht oder wenn die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO erfüllt sind.

aa) Eine Zurückverweisung an das FA unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung wäre nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO im Streitfall möglich gewesen, wenn die fehlende Hinzuziehung einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt und das FG seinerseits kosten- und zeitraubende Aufklärungsmaßnahmen für nötig hält. Auch wenn man die erste Voraussetzung bejaht, so läßt sich den Ausführungen des FG jedenfalls nicht entnehmen, daß es eine umfangreiche kostspielige Sachaufklärung für erforderlich hält (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 100 FGO Tz. 16).

bb) Zwar hat die Klägerin die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragt. Sie hat dies aber erst nach einem Hinweis des FG getan und ein besonderes rechtliches Interesse an der Aufhebung der Einspruchsentscheidung entgegen dem ursprünglichen Klageantrag, der auf Änderung der Gewinnfeststellung 1976 gerichtet war, nicht dargelegt. Ihr Schriftsatz vom 20. Januar 1982 mit dem geänderten Antrag enthielt lediglich die Bemerkung, daß die Hinzuziehung der G. S. unterblieben ist. Auch das FG hat keinerlei Ausführungen zu diesem Punkt gemacht.

cc) Das FG wird die unterlassene notwendige Beiladung der atypischen stillen Gesellschafterin G. S. nachzuholen haben. Es bleibt der Entscheidung dieser Gesellschafterin überlassen, ob sie wegen eines von ihr darzulegenden besonderen rechtlichen Interesses nur die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehren oder den zugrunde liegenden Verwaltungsakt anfechten und damit eine Sachentscheidung anstreben will.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413951

BFH/NV 1986, 70

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