Entscheidungsstichwort (Thema)
Nacherhebung der Grunderwerbsteuer trotz Aufhebung eines fehlerhaften Bebauungsplans und dadurch bedingter Verzögerung des Bauvorhabens; Grenzen der Auslegung
Leitsatz (NV)
1. §§ 3 und 4 GrEStBBauG NdS sind nicht anwendbar, wenn die Bebauung deshalb nicht rechtzeitig erfolgt ist, weil ein Bebauungsplan wegen formeller Fehler aufgehoben wurde.
2. Eine erweiternde Auslegung ist nur möglich bei planwidrigen Unvollkommenheiten des Gesetzes. Eine allgemeine Regelung atypischer Sachverhalte kann dem Gesetzgeber nicht durch erweiternde Auslegung unterstellt werden. Hierfür kommt nur ein Erlaß der Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen in Frage.
Normenkette
GrEStBBauG NdS §§ 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 19. Februar 1971 erwarb die X-GmbH & Co. KG, aus der die Klägerin (eine GbR) hervorgegangen ist, ein unbebautes Grundstück der Gemarkung A zum Kaufpreis von . . . DM. Das Finanzamt (FA) stellte den Erwerb antragsgemäß gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer Niedersachsen (GrESWG NdS) von der Steuer frei. Das Grundstück war im Bereich eines Bebauungsplans belegen, der am 10. Juli 1969 vom Regierungspräsidium genehmigt, einige Zeit nach dem Erwerb wegen eines Formfehlers jedoch rückwirkend für unwirksam erklärt worden war. Da das Gundstück innerhalb von fünf Jahren nicht, wie beabsichtigt, bebaut worden war, erhob das FA mit Bescheid vom 6. Dezember 1977 gemäß § 5 GrESWG NdS Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM nach. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, der Ablauf der 5-Jahres-Frist sei unter entsprechender Anwendung der §§ 3 und 4 des Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes (GrEStBBauG NdS) bis zum Inkrafttreten des neuen Bebauungsplans unterbrochen, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, eine erweiternde Auslegung der §§ 3 und 4 GrEStBBauG sei nicht zulässig, weil mit Ausnahme der dort konkret bezeichneten Maßnahmen die Nachversteuerung unabhängig davon sei, aus welchen Gründen der Erwerber die 5-Jahres-Frist zur Erzielung des steuerbegünstigten Zweckes nicht einhalten konnte. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 3 und 4.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 5 GrESWG NdS (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - 1966, 64, BStBl II 1966, 81) werden Erwerbsvorgänge, die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrESWG von der Grunderwerbsteuer befreit sind, mit Ablauf von fünf Jahren nachträglich der Grunderwerbsteuer unterworfen, wenn das Grundstück nicht innerhalb dieses Zeitraums zu dem begünstigten Zweck verwendet worden ist. Die Nachversteuerung hängt grundsätzlich lediglich davon ab, daß ein im Gesetz vorgesehener Tatbestand erfüllt wird, und findet ohne Rücksicht darauf statt, ob der Steuerpflichtige die Nichterfüllung des steuerbegünstigten Zwecks zu vertreten hat. Die Klägerin hat den steuerbegünstigten Zweck unstreitig innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums nicht erfüllt. Entgegen ihrer Auffassung kann die Nacherhebung der Grunderwerbsteuer nicht unterbleiben, denn die in §§ 3 und 4 GrEStBBauG NdS (GVBl 217 BStBl II 1963, 2) bezeichneten Vorraussetzungen sind nicht erfüllt.
Unterliegt ein gemäß § 1 GrESWG von der Grunderwerbsteuer befreiter Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer, wenn das Grundstück nicht innerbalb des 5-Jahres-Zeitraums zu dem begünstigten Zweck verwendet worden ist, und fällt in diesen Zeitraum eine der Maßnahmen der § 14 Abs. 1, § 15 oder § 51 des Bundesbaugesetzes (BBauG), so beginnt gemäß § 3 GrEStBBauG die Frist mit dem Wegfall des Hindernisses erneut zu laufen. Gemäß § 4 GrEStBBauG wird von der Nachversteuerung dann abgesehen, wenn der begünstigte Zweck infolge der in einem Bebauungsplan enthaltenen rechtsverbindlichen Festsetzungen aufgegeben werden muß. Unstreitig sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die Frist verlängert (§ 3 GrEStBBauG) oder von der Nachversteuerung abgesehen (§ 4 GrEStBBauG) werden kann, nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen die Voraussetzungen für eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung nicht vor. Eine analoge Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, der auch nach einer durch den möglichen Wortsinn begrenzten Auslegung nicht erfaßt ist, setzt voraus, daß das Gesetz lückenhaft ist. Eine Lücke im Sinne einer ,,planwidrigen Unvollständigkeit des positiven Rechts" (Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 30) liegt überall, aber auch nur da vor, ,,wo es, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung (auf bestimmte Tatbestände) widerspricht" (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 357 ff.). Dabei ist unter ,,immanenter Teleologie" des Gesetzes auch und insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstehen (Canaris, a.a.O., S. 34). Ausgangspunkt und Grenze für die Beurteilung sind die in der betreffenden Vorschrift und deren systematischen Kontext zum Ausdruck gekommenen Regelungszwecke und die in der rechtlichen Aussage des Steuertatbestandes erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers. Eine Analogie ist jedoch dann nicht möglich, wenn das Gesetz ausdrücklich oder doch dem Sinn nach sagt, eine bestimmte Rechtsfolge solle ,,nur" in den durch das Gesetz bestimmten Fällen eintreten (Canaris, a.a.O., S. 183 ff.). In beiden Vorschriften ist die Abweichung von der Regel der Nachversteuerung, anders als in anderen Landesgesetzen (z. B. § 4 Abs. 11 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG HE - : ,,. . . ein auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis"), abhängig von konkreten im BBauG vorgesehenen Maßnahmen. § 3 GrEStBBauG sieht eine Fristverlängerung vor, wenn durch die - zeitlich begrenzten - in §§ 14, 15 und 51 BBauG aufgeführten Maßnahmen eine ansonsten zulässige Veränderung des Grundstücks versagt ist. § 4 GrEStBBauG setzt voraus, daß ein rechtsverbindlicher Bebauungsplan Festsetzungen trifft, die den steuerbegünstigten Zweck vereiteln. Da der Gesetzgeber nicht jede, sondern nur ausgewählte hoheitliche Maßnahmen, die die Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks verzögert oder verhindert haben, berücksichtigt hat, ist eine erweiternde Auslegung nicht zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 1973 II R 131/72, BFHE 110, 140, BStBl II 1973, 802).
Im Streitfall verbietet sich eine erweiternde Auslegung darüber hinaus bereits deshalb, weil es sich um einen atypischen Einzelsachverhalt handelt; denn auch, wenn die Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplanes eine aus dem vermeintlich rechtskräftigen Bebauungsplan begründete rechtliche Position beseitigt und damit vergleichbar ist mit den in §§ 3 und 4 GrEStBBauG ausschließlich aus dem BBauG begründeten Maßnahmen der öffentlichen Hand, handelt es sich bei der Verletzung von Formfehlern bei der Aufstellung des Bebauungsplans doch um einen atypischen Einzelsachverhalt, nicht eine planwidrige Unvollkommenheit des Gesetzes. Eine allgemeine Regelung atypischer Sachverhalte kann dem Gesetzgeber nicht durch erweiternde Auslegung unterstellt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414547 |
BFH/NV 1987, 600 |