Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei gemischter Nutzung des PKW: 50 % Begrenzung erst ab 4.3.2000 zulässig
Leitsatz (NV)
1. Ein Unternehmer, der einen PKW zur gemischten (teils unternehmerischen, teils nicht unternehmerischen) Nutzung erwirbt und diesen seinem Unternehmen zuordnet, kann im Besteuerungszeitraum 1999 den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen.
2. Der Unternehmer kann sich im Besteuerungszeitraum 1999 insoweit unmittelbar auf Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, weil Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG) zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von Art. 6 und Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig ist, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung ab dem 1. April 1999 vorsieht.
3. Zur Aufnahme eines infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Revisionsverfahrens auf Antrag des Finanzamts, wenn der Insolvenzverwalter die Aufnahme ablehnt.
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1b; EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 2, Art. 27; FGO § 155; ZPO § 240 S. 1, § 85
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb im Streitjahr 1999 ein Restaurant. Mit Rechnung vom 17. Juni 1999 erwarb er einen PKW zum Preis von 71 724,14 DM zuzüglich 16 v.H. Umsatzsteuer (11 475,86 DM). Er ordnete den PKW seinem Unternehmen zu und nutzte ihn zu 75 v.H. für unternehmerische und zu 25 v.H. für unternehmensfremde Zwecke. In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juni 1999 machte er die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juni 1999 unter Hinweis auf § 15 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) --im Folgenden UStG 1999-- lediglich 50 v.H. des Vorsteuerbetrages.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt mit der Begründung, die Beschränkung des Vorsteuerabzugs durch § 15 Abs. 1b UStG 1999 widerspreche dem Gemeinschaftsrecht; der Kläger könne sich auf die für ihn günstigere Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen. Hiergegen richtet sich die Revision des FA.
Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 30. November 2000 das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt bis zur Entscheidung in dem Verfahren V R 30/00.
Gegenstand des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 68 FGO der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 vom 9. Dezember 2002.
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 3. Mai 2005 erklärt, er nehme den Rechtsstreit nicht auf.
Das FA beantragt sinngemäß die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Rechtssache an das FG.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 127 FGO).
1. Der Senat ist durch das anhängige Insolvenzverfahren nicht gehindert, über die Revision zu entscheiden.
Der Rechtsstreit war zunächst infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, denn das Verfahren betraf die Insolvenzmasse (vgl. dazu Thomas/ Putzo, Zivilprozessordnung mit Nebengesetzen, 25. Aufl., § 240 Rz. 4 ff.; App in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 85 Rz. 4 ff.).
Die Unterbrechung eines gerichtlichen Verfahrens durch ein Insolvenzverfahren dauert solange, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird (§ 155 FGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO).
Im Streitfall wurde das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen. Lehnt --wie hier-- der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits (§ 85 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--) ab, so können gemäß § 85 Abs. 2 InsO sowohl der Schuldner --auf den die Prozessführungsbefugnis infolge der Ablehnung übergeht (Münchener Kommentar, § 85 InsO Rz. 24; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 63. Aufl., § 240 Rz. 24)-- als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Oktober 2003 V B 67/03, BFH/NV 2004, 349; vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 24. Juli 2003 IX ZR 333/00, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsreport 2004, 48). Hier hat das FA die Aufnahme des Rechtsstreits beantragt.
2. Das Verfahren war fortzusetzen, nachdem der Grund für die Aussetzung des Verfahrens durch die Entscheidung des erkennenden Senats in der Rechtssache V R 30/00 (Urteil vom 15. Juli 2004, BFHE 206, 465, BStBl II 2004, 1025) entfallen ist.
3. Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 127 FGO).
a) Zu Recht hat das FG entschieden, dass dem Kläger im Streitjahr 1999 abweichend von § 15 Abs. 1b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG 1999 der volle Vorsteuerabzug für das ganz seinem Unternehmen zugeordnete Fahrzeug zusteht. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, nachdem der angefochtene Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juni 1999 während des Revisionsverfahrens durch den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 vom 9. Dezember 2002 ersetzt worden ist.
aa) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1999 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Nach der durch das StEntlG 1999/2000/2002 eingeführten Neuregelung des § 15 Abs. 1b UStG 1999 sind abziehbar nur zu 50 v.H. Vorsteuerbeträge, die auf die Anschaffung oder Herstellung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen i.S. des § 1b Abs. 2 UStG 1999 entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden.
Der PKW des Klägers ist ein Fahrzeug i.S. des § 1b Abs. 2 UStG 1999.
bb) § 15 Abs. 1b UStG 1999 ist nach § 27 Abs. 3 UStG 1999 erstmals auf Fahrzeuge anzuwenden, die nach dem 31. März 1999 angeschafft oder hergestellt, eingeführt, innergemeinschaftlich erworben oder gemietet werden.
Im Streitfall lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1b UStG 1999 i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG 1999 vor, da der Kläger das Fahrzeug zu 75 v.H. für unternehmerische Zwecke genutzt und das Fahrzeug nach dem 31. März 1999 angeschafft hat.
b) Der Kläger, der das Fahrzeug insgesamt dem Unternehmen zugeordnet hat und den uneingeschränkten Vorsteuerabzug begehrt, kann sich jedoch unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
Der erkennende Senat hat im Urteil in BFHE 204, 465, BStBl II 2004, 1025 im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 29. April 2004 Rs. C-17/01 (Umsatzsteuer-Rundschau 2004, 315) entschieden: Ein Unternehmer, der einen PKW zur gemischten (teils unternehmerischen und teils nichtunternehmerischen) Nutzung erwirbt, und diesen seinem Unternehmen zuordnet, kann im Besteuerungszeitraum 1999 den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen. Der Steuerpflichtige kann sich im Besteuerungszeitraum 1999 gegenüber den Vorschriften des § 15 Abs. 1b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG 1999 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, weil Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG) zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von Art. 6 und Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig ist, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung ab dem 1. April 1999 vorsieht. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung dieses Urteils.
c) Hat der Steuerpflichtige das Fahrzeug --wie hier-- in vollem Umfang dem Unternehmen zugeordnet und deshalb den vollen Vorsteuerabzug geltend gemacht, unterliegt die private Verwendung des Fahrzeuges nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG 1999 dem Grunde nach der Umsatzsteuer. Danach werden einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes, der --wie hier-- zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens liegen.
Zwar bestimmt § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG 1999, dass dies nicht gilt u.a. bei der Verwendung eines Fahrzeuges, bei dessen Anschaffung Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1b UStG 1999 nur zu 50 v.H. abziehbar waren. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor, denn der Kläger erhält den vollen Vorsteuerabzug für die Anschaffung des Fahrzeuges.
4. Der Senat kann, nachdem während des Revisionsverfahrens der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 am 9. Dezember 2002 ergangen ist, nicht abschließend entscheiden und verweist die Sache gemäß § 127 FGO an das FG zurück; das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch berücksichtigen, ob der Kläger die private Verwendung des PKW versteuert hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1450580 |
BFH/NV 2006, 137 |
HFR 2006, 294 |