Leitsatz (amtlich)
Die Grunderwerbsteuerbefreiung nach der Verordnung des ehemaligen Reichsministers der Finanzen über Erlaß von Grunderwerbsteuer auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft vom 22. August 1922 ist nicht gegeben, wenn eine Stadt ein Grundstück erwirbt, um darauf zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser ein Wasserreservoir zu schaffen.
Normenkette
WWVO 1
Tatbestand
Die Bfin. kaufte durch notariell beurkundete Verträge vom 1. Juli 1954 und 27. Juli 1954 drei Grundstücke in der Größe von rund 6,5 ha.
Streitig ist, ob die Befreiungsvorschrift der Verordnung über Erlaß von Grunderwerbsteuer auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft vom 22. August 1922 angewendet werden kann oder nicht. Diese Vorschrift lautet im § 1:
"Der Erwerb von Grundstücken ist von der Grunderwerbsteuer nebst Zuschlägen befreit, soweit er der einheitlichen Erfüllung von wasserwirtschaftlichen Aufgaben in bestimmten Gebieten des Reichs durch die hierzu berufenen Körperschaften des öffentlichen Rechtes dient."
Die Bfin. hat geltend gemacht: Es handele sich bei den gekauften Grundstücken um eine zum größten Teil bis zu 20 m Tiefe ausgebaggerte Kiesgrube, die heute einen See bilde. Sie, die Bfin., habe sich zu dem Kauf entschließen müssen, um durch dieses Wasserreservoir die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung der Stadt und des Amtes X. sicherzustellen, zumal das vorhandene Wasserwerk der Stadt C. nicht mehr in der Lage sei, die Bevölkerung ausreichend mit Wasser zu versorgen. Das erfaßte Gebiet sei von erheblichem Ausmaß und gehe bei weitem über den engeren örtlichen Bezirk hinaus. Es sei nicht erforderlich, daß die wasserwirtschaftlichen Aufgaben durch eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufene Körperschaften durchgeführt würden.
Demgegenüber ist das Finanzamt der Auffassung, daß die Steuerbefreiung gemäß § 1 a. a. O. nur anwendbar sei, wenn Grundstücke zur Durchführung großräumiger und überörtlicher wasserwirtschaftlicher Aufgaben erworben würden und zur Wahrnehmung dieser Aufgaben eigens Körperschaften des öffentlichen Rechtes ins Leben gerufen oder bereits vorhandene Körperschaften mit derartigen Sonderaufgaben betraut worden seien. Die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung einer einzelnen Stadtgemeinde könne nicht als einheitliche Erfüllung von wasserwirtschaftlichen Aufgaben in bestimmten Gebieten des Reiches (Bundes) angesehen werden; eine einzelne Stadtgemeinde sei keine Behörde zur Erfüllung wasserwirtschaftlicher Aufgaben im Sinne der Verordnung.
Das Finanzamt hat den Grundstückserwerb durch vorläufigen Steuerbescheid zu einer Grunderwerbsteuer herangezogen. Die Steuerfestsetzung war deshalb eine vorläufige, weil der Wert der von der Bfin. zu bestellenden Grunddienstbarkeit noch nicht endgültig festgestellt worden war.
Einspruch und Berufung wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Auch die Rechtsbeschwerde ist ohne Erfolg.
Der Reichsfinanzhof hat in dem Urteil II A 42/30 vom 4. März 1930 (Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 820 = Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz 1919/1927, § 8 Allgemeines, Rechtsspruch 19) ausgeführt, Voraussetzung für die Anwendbarkeit der in Betracht kommenden Befreiungsvorschrift sei,
daß der Grundstückserwerb nicht lediglich dazu diene, das Trinkwasserquellengebiet einer einzelnen Stadtgemeinde etwas zu vergrößern; vielmehr sei erforderlich, daß der Grundstückserwerb Zwecken dient, die über den damals mit dem Erwerb verbundenen Zweck "weit hinausgehen";
daß als Grundstückserwerber keine Gemeinde auftrete; denn im Sinn der Verordnung vom 22. August 1922 seien Gemeinden keine Behörden zur Erfüllung wasserwirtschaftlicher Aufgaben.
Der Senat sieht keine Bedenken, dem vorerwähnten Urteil des Reichsfinanzhofs vom 4. März 1930 beizutreten. In der Verordnung wird von der "einheitlichen Erfüllung wasserwirtschaftlicher Aufgaben" "in bestimmten Gebieten des Reichs" durch die "hierzu berufenen" Körperschaften des öffentlichen Rechtes gesprochen. Wie auch das Finanzgericht ausführt, folgt schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, daß nur daran gedacht war, solche Körperschaften des öffentlichen Rechtes zu begünstigen, die besonders dazu bestimmt sind, wasserwirtschaftliche Aufgaben als Sonderaufgaben zu erfüllen. Als eine solche Körperschaft ist die Bfin. nicht anzusprechen. Dabei wird nicht verkannt, daß die Trinkwasserversorgung eine besonders wichtige Versorgungsaufgabe der Gemeinden darstellt; dennoch ist sie lediglich eine Teilaufgabe, die nicht vergleichbar ist mit den einem Wasserverband obliegenden wasserwirtschaftlichen Aufgaben. Welche weitergehenden Aufgaben einem wasserwirtschaftlichen Verbande zufallen, ergibt sich aus einem erläuternden Erlaß des ehemaligen Reichsministers der Finanzen vom 11. November 1922 (Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1923 S. 26). Darin ist zu der Verordnung über Erlaß von Grunderwerbsteuer auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft vom 22. August 1922 inhaltlich ausgeführt:
Das Grunderwerbsteuergesetz bietet an sich keine rechtliche Handhabe zu einer Freistellung von der Grunderwerbsteuer für Grundstückserwerbe der in der Verordnung behandelten Art. Es wird auch grundsätzlich an dem in ständiger Verwaltungsübung vertretenen Standpunkte festgehalten werden müssen, einen Steuererlaß im Billigkeitswege für gemeinnützige oder wohltätige Zwecke oder für Unternehmungen im ausschließlich öffentlichen Interesse zu versagen, weil durch Gewährung des Steuererlasses eine im Gesetz nicht vorgesehene Befreiung für den Einzelfall geschaffen würde, die zu zahlreichen Berufungen Anlaß geben müßte. Eine Abweichung von dieser Regel erscheint jedoch unter Umständen dann geboten, wenn besondere volkswirtschaftliche oder sonstige höhere Interessen des Reichs in Frage stehen. Das Vorliegen derartiger Interessen ist anzuerkennen für Grundstückserwerbe, welche von den auf Grund besonderer Gesetze gebildeten Körperschaften des öffentlichen Rechts im rheinisch-westfälischen Industriebezirk (des Ruhrtalsperrenvereins, der Emschergenossenschaft, des Ruhrverbandes der Sefekegenossenschaft, der linksniederrheinischen Entwässerungsgenossenschaft und der Niersgenossenschaft) zur Erfüllung der ihnen auf Grund der einzelnen preußischen Sondergesetze obliegenden wasserwirtschaftlichen Aufgaben vorgenommen werden.
Die genannten Wassergenossenschaften verfolgen keine gewerblichen Interessen. Sie haben keine Einkünfte, abgesehen von Umlagen, die auf Grund eines in den Gesetzen geordneten Verfahrens festgestellt und wie öffentliche Abgaben eingezogen werden. Durch eine geordnete umfassende und weitsichtige Wasserwirtschaft im rheinisch-westfälischen Industriebezirk führen sie der Industrie den unentbehrlichen Gebrauchswasserstrom zu. Sie versorgen überdies die Bevölkerung des Industriegebiets durch Reinhaltung der Wasserläufe mit gebrauchsfähigem Trinkwasser. Daneben wird durch Regelung der Vorflut, Errichtung von Talsperren und auf dem Gebiete der Wasserabführung durch Beseitigung der Mißstände, die durch Bodensenkungen des Bergbaus, durch die Entwicklung der Industrie und die starke Zunahme der Bevölkerung und der Bebauung entstanden sind oder entstehen werden, eine planmäßige Entwässerung erzielt, das Land vor den Folgen des Hochwassers bewahrt und besiedelungsfähig und seuchenfrei erhalten. Ohne dieses auf eine gesicherte Wasserversorgung und geordnete Wasserabführung gerichtete Wirken der Wassergenossenschaften würde aber weder die Industrie noch die Bevölkerung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets lebensfähig erhalten werden können. Damit gewinnen aber die Aufgaben dieser Genossenschaften eine weit über die Grenzen des Industriegebiets hinausgehende Bedeutung. Sie kommen mittelbar den Lebensinteressen des gesamten Deutschen Reichs in erheblichem Maße zugute.
Es liegt in der Billigkeit, die Steuerbefreiung auch auf die Wassergenossenschaften anderer Gebietsteile mit gleichliegenden Aufgaben auszudehnen, jedoch nur auf Körperschaften des öffentlichen Rechts, damit vermieden wird, daß auch Genossenschaften privaten Charakters, die z. B. nur der Berieselung von Wiesenflächen dienen, eine Steuerbefreiung genießen.
Dieser Ministerialerlaß bestätigt zugleich die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung. Zutreffend ist allerdings, daß erläuternde Ministerialerlasse für die Gerichte nicht verbindlich sind. Sie sind aber dennoch ein wichtiges Hilfsmittel bei der Auslegung von Rechtsvorschriften. Im Streitfalle kommt hinzu, daß der in Betracht kommende Ministerialerlaß offenbar von der Dienststelle gefertigt wurde, auf die auch die Verordnung vom 22. August 1922 zurückgeht, und daß der Erlaß zeitlich unmittelbar im Anschluß an die Verordnung bekanntgegeben wurde. Daraus kann gefolgert werden, daß der Erlaß die Absichten, die dem Verordnungsgeber vorschwebten, besonders zuverlässig wiedergibt.
Sonstige Gründe, die die Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Diese ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409510 |
BStBl III 1959, 483 |
BFHE 1960, 595 |
BFHE 69, 595 |