Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
"Einkünfte" im Sinne des § 34 c Abs. 4 Satz 2 EStG 1965 sind die Reineinkünfte nach Ausgleich aller im Handelsschiffsverkehr mit dem Ausland erzielten Gewinne und Verluste.
Normenkette
EStG § 34c/4
Tatbestand
Zu entscheiden ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1959 der beschwerdeführenden Eheleute, ob bei Ermittlung der Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr (§ 34 c Abs. 4 EStG 1958) Gewinne und Verluste aus dem Betrieb verschiedener Schiffe gegeneinander verrechnet werden müssen.
Der beschwerdeführende Ehemann (Bf.) bezog nach der Einkommensteuererklärung für 1959 Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr. Er war als Gesellschafter und Partenreeder an einer Anzahl von Unternehmen beteiligt. In verschiedenen Unternehmen wurden aus dem internationalen Verkehr von Handelsschiffen ausländische Gewinne (§ 34 c Abs. 4 EStG), in anderen Verluste erzielt.
Das Finanzamt verrechnet zur Ermittlung der nach § 34 c Abs. 4 EStG 1958 begünstigten Einkünfte die Gewinne und Verluste und versteuerte den Saldo von X DM wie in dem gemeinsamen Ländererlaß betreffend die Pauschalierung der Einkommensteuer bei ausländischen Einkünften aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr (BStBl 1959 II S. 95) vorgesehen mit 25 v. H. Mit seinem Einspruch beantragte der Bf., den ermäßigten Steuersatz nicht auf den Saldo, sondern auf die Auslandsgewinne aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr, aber ohne Verlustausgleich anzuwenden. Bei dieser Behandlung wären im Veranlagungszeitraum 1959 Gewinne in Höhe von Y DM bevorzugt zu besteuern gewesen.
Der Steuerausschuss gab dem Einspruch der Bf. statt, weil die Auslandsgewinne aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr nicht mit den entsprechenden Verlusten auszugleichen seien. Ein Ausgleich verstoße gegen den Sinn und Zweck des § 34 c Abs. 4 EStG, der keine neue Einkunftsart, sondern eine Steuerbegünstigung für bestimmte Einkünfte innerhalb einer Einkunftsart geschaffen habe. Insoweit entspreche diese Vorschrift dem § 34 EStG. Für § 34 EStG habe der Oberste Finanzgerichtshof in dem Urteil VI 3/46 S vom 16. April 1947 (Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen 1949/50 S. 325, Slg. Bd. 54 S. 204) verneint, daß Verluste zunächst mit Einkünften aus der gleichen Einkunftsart auszugleichen seien. Im vorliegenden Falle sei die Steuerbegünstigung deshalb auf die Gewinne in voller Höhe anzuwenden.
Die Berufung des Vorstehers des Finanzamts hatte Erfolg.
Das Finanzgericht begründete seine in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1964 S. 62 veröffentlichte Entscheidung wie folgt. Verluste und Gewinne seien gegeneinander auszugleichen, wenn ein Steuerpflichtiger mehrere Schiffe im internationalen Verkehr einsetze. Dem entspreche die Beteiligung an mehreren Partenreedereien, deren Schiffe im internationalen Verkehr führen. Grundsätzlich seien, wie sich aus § 2 Abs. 2 EStG ergebe, Einkünfte eines Steuerpflichtigen derselben Einkunftsart aus mehreren Unternehmen innerhalb der Einkunftsart zusammenzurechnen. Aus dem Sinn und Zweck des § 34 c Abs. 4 EStG lasse sich für den gegenteiligen Standpunkt des Bf. nichts herleiten. Diese Vorschrift erfasse nicht die Einkünfte eines Unternehmens, sondern die eines Steuerpflichtigen. Die Ansicht des Bf., es habe nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein können, die Begünstigung der ausländischen Gewinne durch Berücksichtigung von Verlusten zunichte zu machen, sei aus dem Gesetz nicht zu entnehmen. Vielmehr ergebe sich aus der vorgeschriebenen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich, daß der Gesetzgeber eine Verrechnung von ausländischen Gewinnen und Verlusten aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr gewollt habe.
Mit der Rb. verfolgen die Bf. ihre Rechtsansicht weiter.
Entscheidungsgründe
In der entscheidenden Rechtsfrage ist dem Finanzamt zwar zuzustimmen; doch führt die Rb. aus einem anderen Grunde zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung und zur Zurückverweisung an das Finanzamt zur Steuerberechnung.
Das Finanzamt versteuerte den Saldo (X DM) der nach § 34 c Abs. 4 EStG steuerbegünstigten Einkünfte mit einem Pauschsteuersatz von 25 v. H., wie es Abschnitt I des Erlasses betreffend Pauschalierung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer nach § 34 c Abs. 4 EStG 1958 vorsieht (BStBl 1959 II S. 95). Der Gesetzestext aus dem Jahre 1958 wurde durch das Steueränderungsgesetz vom 14. Mai 1965 - StändG 1965 - (BGBl 1965 I S. 377, BStBl 1965 I S. 217) Art. 1 Ziff. 16 in Verbindung mit Ziff. 13 und Ziff. 20 Abs. 21 rückwirkend für alle nicht rechtskräftigen Fälle ab 1959 geändert. Er sieht nunmehr für die begünstigten Einkünfte die Anwendung des halben Tarifsteuersatzes vor. Hierdurch ergibt sich für die Bf. eine niedrigere Steuer als 25 v. H. der begünstigten Einkünfte, die das Finanzamt zu berechnen haben wird.
Die rückwirkende änderung des § 34 c Abs. 4 EStG ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Es handelt sich um eine Ergänzung des Gesetzes, die statt des von der Verwaltung zu bestimmenden und deshalb verfassungsrechtlich möglicherweise nicht unbedenklichen Pauschalsteuersatzes einen sich aus dem Gesetz ergebenden Steuersatz vorsieht. Eine mit Rückwirkung ausgestattete Gesetzesergänzung ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn sie sich ohne Bruch dem ursprünglichen System des Gesetzes und seinem Sinn und Zweck harmonisch einfügt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Oktober 1957 1 BvL 13/56, 46/56, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 129 (152)). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die änderung des § 34 c Abs. 4 EStG durch das StändG 1965 gewährt in der weitaus überwiegenden Zahl aller Fälle den Steuerpflichtigen eine noch weitergehendere Vergünstigung als die frühere Regelung. Ein Nachteil ergibt sich nur für die kleine Zahl von Steuerpflichtigen, deren Einkommen mit über 50 v. H. bis zum Höchstsatz von 53 v. H. besteuert wird. Hier kann die Anwendung des halben Tarifsteuersatzes zu einer Mehrbelastung von höchstens 1 1/2 v. H. der begünstigten Einkünfte führen. Sie erscheint um so mehr vertretbar, als § 34 c Abs. 4 EStG ohnehin eine sehr erhebliche Steuervergünstigung gewährt.
Für die Bf. ergibt die Neuveranlagung eine geringfügige Steuerermäßigung. Trotzdem hat die Rb. im wesentlichen keinen Erfolg, weil in der entscheidenden Streitfrage der Rechtsansicht des Finanzgerichts zuzustimmen ist. Obwohl es sich bei § 34 c Abs. 4 EStG um eine Tarifvorschrift handelt, gelten für die Bestimmung des Begriffs "Einkünfte" mangels eines erkennbar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers die im Gesetz in den Vorschriften über die Einkommensermittlung enthaltenen allgemeinen steuerlichen Grundsätze (§ 2 Abs. 2 und 4 EStG). Danach sind als Einkünfte bei den einzelnen Einkunftsarten die Reineinkünfte anzusetzen (Begründung zum EStG 1934, Reichssteuerblatt 1935 S. 34; Gutachten des Bundesfinanzhofs I D 4/50 S vom 25. Januar 1951, BStBl 1951 III S. 68, Slg. Bd. 55 S. 182). Es besteht keine Veranlassung, den Begriff "Einkünfte" in § 34 c Abs. 4 EStG anders auszulegen. Nach der amtlichen Begründung zu § 34 c Abs. 4 EStG 1958 (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, zu Drucksache 448 vom 14. Juni 1958, Ziff. 56, S. 11) wurde diese Vorschrift geschaffen, um Feststellungen darüber zu vermeiden, welche Einkünfte aus Handelsschiffahrt im Einzelfall im Ausland erzielt wurden, und um der Schiffahrt gegenüber der ausländischen Konkurrenz (insbesondere den sogenannten "billigen Flaggen") zu helfen. Beide Zielsetzungen erfordern nicht, dem Begriff der Einkünfte einen besonderen, vom Sprachgebrauch des Gesetzes abweichenden Inhalt zu geben. Feststellungen über die Höhe der ausländischen Einkünfte sind auch dann nicht notwendig, wenn die Hälfte der Reineinkünfte als im Ausland erzielt gilt, und eine Subvention der Schiffahrt kann auch dadurch erfolgen, daß nur die nach Verrechnung mit Verlusten noch bestehenden Gewinne steuerlich begünstigt werden. Verzichtete man bei Anwendung der Tarifvorschrift des § 34 c Abs. 4 EStG auf eine Verrechnung der im Verkehr mit dem Ausland erzielten Gewinne mit entsprechenden Verlusten, so würde sich nach Ansicht des Senats sogar eine über den Gesetzeszweck hinausgehende ungewöhnliche Begünstigung ergeben. Es käme im Ergebnis weitgehend zu einer Anwendung des Vorzugstarifs auf normal zu versteuernde Einkünfte. Denn bei der Einkommensermittlung würden Gewinne in Höhe der Verluste aus Handelsschiffahrt mit dem Ausland durch die Verlustverrechnung aus dem normal zu versteuernden Einkommen ausgeschieden. Damit kämen gerade solche Steuerpflichtige in den Genuß einer besonderen Tarifvergünstigung, die neben Gewinnen aus Handelsschiffahrt im internationalen Verkehr andere, normal zu versteuernde Einkünfte beziehen, während die nach dem Gesetzeszweck besonders zu begünstigenden Steuerpflichtigen, die sich nur im internationalen Geschäft betätigen, ihre Verluste nur mit dem begünstigten Gewinn verrechnen könnten. § 34 c Abs. 4 EStG kann als Begünstigungsvorschrift nur so ausgelegt werden, daß wenigstens alle für seine Anwendung in Betracht kommenden Steuerpflichtigen möglichst gleichmäßig behandelt werden, unabhängig davon, ob sie daneben normal zu versteuernde Einkünfte beziehen oder nicht.
Zu Unrecht beruft sich der Bf. auf das Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs VI 3/46 S. Dort, wie auch in ähnlichen vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen (vgl. die Urteile IV 617/56 U vom 25. Juni 1959, BStBl 1959 III S. 404, Slg. Bd. 69 S. 381, und IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 72, Slg. Bd. 70 S. 195), ging es um die Frage, ob tarifbegünstigte Einkünfte dadurch gemindert werden könnten, daß in derselben Einkunftsart, aber nicht in derselben (begünstigten) "Abteilung" Verluste entstanden waren. Hier liegt der Fall aber anders. Hier geht es um den Ausgleich zwischen Gewinnen und Verlusten innerhalb derselben begünstigten Abteilung, die - wie ausgeführt - erforderlich ist.
Für den Verlustausgleich innerhalb der Abteilung ausländischer Einkünfte aus internationaler Schiffahrt ist es unerheblich, daß der Bf. an mehreren Partenreedereien beteiligt ist, von denen einzelne mit Gewinn, einzelne mit Verlust gearbeitet haben. Für den Bf. gehören Beteiligungen zum einheitlichen Betriebsvermögen seiner gewerblichen Tätigkeit. Durch diese Tätigkeit erzielt er gewerbliche Einkünfte und innerhalb derselben wiederum steuerbegünstigte Einkünfte aus internationaler Schiffahrt. Wie hoch diese letzteren Einkünfte sind, ergibt sich nach Ausgleich von Gewinnen und Verlusten. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die es gestatten, entgegen der sonstigen Systematik des Einkommensteuerrechts innerhalb der begünstigten Abteilung wiederum Unterabteilungen mit jeweils eigenen Gewinnen und Verlusten zu bilden.
Schließlich kann auch der Hinweis des Bf. auf § 34 c Abs. 1 EStG zu keiner anderen Entscheidung führen. Es besteht kein gesetzessystematischer Zusammenhang mit Abs. 4. Der Abs. 1 ist keine Tarifvorschrift, sondern eine Vorschrift über die Anrechnung gezahlter Steuern. Bei Abs. 1 kann die Frage eines Ausgleichs von Gewinnen und Verlusten nicht auftreten, da bestimmt ist, daß tatsächlich gezahlte Steuern anzurechnen sind. Im übrigen ist eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen durch hohe Gewinne und dementsprechend hohe Steuerzahlungen an einen ausländischen Staat bei Verlusten aus dem Verkehr mit einem anderen Staat ausgeschlossen, da der Steuerpflichtige jederzeit die Anwendung des Abs. 1 verlangen kann, wenn es ihm günstiger erscheint.
Fundstellen
Haufe-Index 411785 |
BStBl III 1966, 66 |
BFHE 1966, 179 |
BFHE 84, 179 |