Leitsatz (amtlich)

Die Regelung der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung oder -ermäßigung für im Innergemeinschaftlichen Verkehr eingeführte Rückwaren verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Es ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, daß Umsatzsteuer, die in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt und bei der Ausfuhr nicht erstattet worden ist, auf die (ermäßigte) Einfuhrumsatzsteuer nicht angerechnet und bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer in diese einbezogen wird.

 

Normenkette

EUStBefrO § 1 Abs. 1; AZO § 57; UStG 1967 §§ 10-11; EWGV Art. 48 ff.; EWGVtr Art. 95; Erste und Zweite Richtlinie des Rates der EG vom 11. April 1967 zur Umsatzsteuerharmonisierung

 

Tatbestand

I.

Am 16. August 1973 erlitt der Kläger und Revisionskläger (Kläger) in Frankreich mit seinem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zugelassenen PKW einen Verkehrsunfall. Die Reparaturkosten betrugen 1 620,64 ffr. für Material und Arbeitslohn. Für die Ersatzteile im Wert von 1 034,25 ffr. zahlte der Kläger die französische Mehrwertsteuer (TVA) in Höhe von 206,85 ffr. Die französische Zollbehörde lehnte bei der Ausfuhr am 14. September 1973 die Erstattung der TVA ab. Die deutsche Eingangszollstelle (Zollamt – ZA –) erhob Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 77,80 DM, indem es in den Einfuhrumsatzsteuerwert die Kosten für die Ersatzteile und die darauf entfallende TVA einbezog. Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Finanzgerichts – FG – Baden-Württemberg vom 21. Mai 1974 II 2/74 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 457 – EFG 1974, 457 –).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die – vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ausdrücklich zugelassene – Revision. Der Kläger macht geltend, die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer sei mit dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem nicht vereinbar, das jede Doppelbesteuerung der Umsätze in zwei Mitgliedstaaten vermeide. Der Annahme einer Doppelbesteuerung stehe nicht entgegen, daß die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen einerseits und die Einfuhr von Gegenständen andererseits gesetzestechnisch als zwei selbständige, voneinander unabhängige Steuertatbestände geregelt seien. Die bei der Einfuhr erhobene Einfuhrumsatzsteuer stelle im System der Mehrwertsteuer eine notwendige Ergänzung für die anderenfalls von der Mehrwertsteuer freigestellten Einfuhren dar. Die Einfuhrumsatzsteuer habe demnach nur den Zweck, Wettbewerbsvorteile, die bei der Einfuhr unversteuerter Waren entstehen könnten, auszugleichen. Sei die Ware bereits bei der Einfuhr mit Mehrwertsteuer belastet, so stelle die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer einen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Mehrwertsteuersystem dar, da sie zu einer Doppelbesteuerung führen würde.

Zugleich liege seitens der Bundesrepublik ein Verstoß gegen Art. 95 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vor; wirtschaftlich führe nämlich die Erhebung von Einfuhrumsatzsteuer für bereits im Ausland zulässigerweise umsatzbesteuerte Ware zu einer Belastung der Ware, die höher sei als die inländische Belastung; obwohl dieser Fall nicht der Kern des Art. 95 Abs. 1 EWGV sei, dürften keine Bedenken bestehen, ihn unter den beabsichtigten weiten, nämlich funktional zu verstehenden Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu fassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Wie das FG zutreffend dargelegt hat, entspricht die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer im vorliegenden Fall dem innerdeutschen Recht. Die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1967. Nach dieser Bestimmung unterliegt die Einfuhr von Gegenständen in das Zollgebiet allgemein der Umsatzsteuer (Einfuhrumsatzsteuer). Von diesem Grundsatz gibt es jedoch in sinngemäßer Anwendung einiger Vorschriften der Allgemeinen Zollordnung (AZO) über die Zollfreiheit für eingeführte Waren Ausnahmen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsordnung – EUStBefrO –). Im vorliegenden Fall führt die sinngemäße Anwendung des § 57 AZO zu einer teilweisen Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer.

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AZO sind Waren grundsätzlich zollfrei, die aus dem freien Verkehr des Zollgebiets ohne Erlaß, Erstattung oder Vergütung von Zoll ausgeführt und von demjenigen wieder eingeführt werden, der sie ausgeführt hat. Wenn den Waren jedoch bei einer Ausbesserung außerhalb des Zollgebiets nicht nur geringfügige Zutaten zugefügt worden sind, wird keine volle Zollfreiheit gewährt, sondern der Zoll auf den Betrag ermäßigt, der bei der Einfuhr der zugefügten Waren zu entrichten wäre (§ 57 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 6 AZO). Ohne Rechtsverstoß ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, daß in sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmungen die bei der Einfuhr des PKW des Klägers grundsätzlich zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer in der genannten Weise zu ermäßigen war.

Zu Recht hat das FG in Übereinstimmung mit dem ZA als Bemessungsgrundlage der ermäßigten Einfuhrumsatzsteuer das vom Kläger für die in den PKW eingebauten Zutaten gezahlte Entgelt einschließlich der in Frankreich gezahlten TVA zugrunde gelegt. Die Rechtsgrundlage dafür ergibt sich aus §§ 10, 11 UStG 1967. Nach § 11 Satz 2 UStG 1967 wird der Umsatz bei der Einfuhr nach dem Entgelt der Gegenstände bemessen, wenn diese einfuhrumsatzsteuerpflichtig sind, aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften (EG) stammen und nicht dem Wertzoll unterliegen. Diese Bestimmung findet im vorliegenden Fall Anwendung, da es sich bei dem in der Bundesrepublik zugelassenen PKW des Klägers um einen Gegenstand aus dem freien Verkehr eines EWG-Mitgliedstaates handelte. Als Entgelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 alles anzusehen, was der Empfänger einer Lieferung aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Als Umsatzsteuer in diesem Sinn kann dabei nur die Umsatzsteuer im Sinne des § 1 UStG 1967 angesehen werden, also die inländische Umsatzsteuer bzw. Einfuhrumsatzsteuer, nicht auch etwa eine in einem anderen Staat für denselben Gegenstand gezahlte Umsatzsteuer. Der Kläger hat, um die in seinem Wagen eingebauten Teile zu erhalten, sowohl die Materialkosten als auch die darauf ruhende TVA gezahlt. Die Summe des Gezahlten ist das Entgelt im Sinne der genannten Bestimmungen. Es ist daher zu Recht der Erhebung die ermäßigte Einfuhrumsatzsteuer zugrunde gelegt worden.

Daran ändert nichts der Umstand, daß § 57 Abs. 6 AZO von einer Fiktion ausgeht, indem er der Steuerermäßigung den Betrag zugrunde legt, der bei der Einfuhr der zugefügten Waren zu entrichten wäre. Diese Fiktion findet ihren Grund darin, daß in Wirklichkeit ein Fahrzeug eingeführt wird, nicht aber eine Zutat. Gegenstand der Besteuerung ist dementsprechend das Fahrzeug, nicht die Zutat. Nur für die Berechnung der für das Fahrzeug zu entrichtenden ermäßigten Einfuhrumsatzsteuer wird von der Steuerbelastung der zugefügten Teile ausgegangen. Die Bestimmung kann daher nicht dahin verstanden werden, daß bei der Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer von einer theoretischen Einfuhr der zugefügten Teile auszugehen ist und diese Teile unter Außerachtlassung des nach § 11 Satz 2 UStG 1967 maßgebenden, konkret gezahlten Entgelts theoretisch nach § 11 Satz 1 UStG 1967 i. V. m. den sinngemäß anzuwendenden Art. 1 bis 9 der Verordnung (EWG) Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über den Zollwert der Waren (ZWVO) zu bewerten sind. Schon allein die Tatsache, daß eine solche Auslegung zu praktisch kaum zu überwindenden Schwierigkeiten führen würde, spricht dagegen, daß der Verordnungsgeber der genannten Bestimmung diesen Sinn geben wollte.

2. Diese innerstaatliche Regelung, auf welcher der angefochtene Steuerbescheid beruht, verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen das Gemeinschaftsrecht.

a) Soweit der Kläger vorträgt, die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer verstoße gegen das „gemeinsame Mehrwertsteuersystem”, macht er im Ergebnis geltend, die deutsche Regelung verletze die Erste und Zweite Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer vom 11. April 1967 (ABlEG 1967, 1301 und 1303). Der Kläger kann sich jedoch auf eine etwaige Verletzung dieser Richtlinien durch den deutschen Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nur berufen, wenn den Richtlinien eine unmittelbare Wirkung zukommt.

Der EGH hat auch in der Tat in seinen Urteilen vom 6. Oktober 1970 Rs. 9/70 (EGHE 1970, 825) und vom 17. Dezember 1970 Rs. 33/70 (EGHE 1970, 1213) bestimmten Richtlinien eine unmittelbare Wirkung zugesprochen. Er hat dabei aber zum Ausdruck gebracht, daß in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob die Bestimmung, um die es geht, nach Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut geeignet ist, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen dem Adressaten der Richtlinie (den Mitgliedstaaten) und Dritten zu begründen (vgl. Abs. 6 der Gründe des erstgenannten Urteils). Mißt man unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die beiden genannten Richtlinien, so bestehen im Hinblick auf ihre generalisierende, einer unmittelbaren und konkreten Anwendung im Einzelfall nicht ohne weiteres zugängliche Fassung erhebliche Zweifel daran, daß sich der einzelne Bürger gegenüber dem innerstaatlichen Gesetzgeber auf sie berufen kann. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da jedenfalls das deutsche Recht mit den beiden Richtlinien vereinbar ist.

Die Richtlinien verfolgen nicht die Absicht, bereits das angestrebte Endziel, d. h. ein einheitliches europäisches Umsatzsteuersystem unter Wegfall der steuerlichen Binnengrenzen zu verwirklichen. Die Erwägungsgründe der Ersten Richtlinie sagen ausdrücklich, daß ein „schrittweises Vorgehen notwendig” ist und „in einer ersten Stufe … die Annahme eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems durch alle Mitgliedstaaten vorzusehen (ist), ohne jedoch eine gleichzeitige Harmonisierung der Steuersätze und -befreiungen vorzuschreiben”. In den Erwägungsgründen der Zweiten Richtlinie heißt es weiter, daß bis zur „Beseitigung der Besteuerung der Einfuhr und der steuerlichen Entlastung der Ausfuhr … den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung des Steuersatzes oder der differenzierten Steuersätze eine weitgehende Autonomie belassen werden” kann; vorübergehend könnten „in den Mitgliedstaaten auch gewisse Unterschiede bei den Modalitäten für die Anwendung der Steuer zugelassen werden”. Die beiden Richtlinien stellen also entgegen der Auffassung des Klägers noch kein abgeschlossenes gemeinschaftliches Mehrwertsteuersystem dar, aus dem sich weitergehende Folgerungen, als der Wortlaut dies zuläßt, für die Erhebung der Umsatzsteuer bei der Einfuhr ziehen lassen; die Richtlinien haben lediglich gewisse Mindestgrundsätze festgelegt, an die sich die Mitgliedstaaten in ihrer nationalen Gesetzgebung zu halten haben und die durch weitere Harmonisierungsmaßnahmen ergänzt werden sollen.

Ob die deutsche Regelung der Einfuhrumsatzsteuererhebung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, kann also nicht an jenem gemeinschaftlichen Umsatzsteuersystem gemessen werden, das künftig im Endstadium der Harmonisierung zweckmäßigerweise zu beschließen sein wird. Die Frage kann vielmehr nur nach Prüfung der einzelnen Bestimmungen der beiden genannten Richtlinien entschieden werden. Der Kläger hat es an der konkreten Bezeichnung jener Bestimmungen der Richtlinien fehlen lassen, die er für verletzt hält. Eine solche Verletzung liegt auch nicht vor.

Die Erste Richtlinie enthält keine einschlägigen Vorschriften. Aus ihrem Art. 2 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 ist lediglich zu entnehmen, daß es bei der Besteuerung der Einfuhr und der steuerlichen Entlastung bei der Ausfuhr durch die einzelnen Mitgliedstaaten zunächst bleibt. Die Zweite Richtlinie regelt nur einige Grundsätze der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer. In Art. 2 Buchst. b der Zweiten Richtlinie wird bestimmt, daß die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer unterliegt. Art. 3 der Zweiten Richtlinie definiert den Begriff „Inland”, Art. 7 Abs. 1 den Begriff „Einfuhr”. Im übrigen enthalten Art. 7 und Art. 8 Buchst. c der Zweiten Richtlinie Bestimmungen über die Verwirklichung des Steuerentstehungstatbestandes und über die Bemessungsgrundlage der Einfuhrumsatzsteuer. In bezug auf letztere läßt die Richtlinie den Mitgliedstaaten weitgehend freie Hand, soweit es sich um die Einfuhr im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr handelt (vgl. Art. 13 Abs. 1 und Anhang A zu Art. 8 Buchst. c). Im übrigen enthält die Richtlinie weder Bestimmungen über die Entlastung von der Umsatzsteuer bei der Ausfuhr noch über die Belastung bei der Einfuhr. Das bedeutet nach dem oben geschilderten Grundsatz (schrittweise Harmonisierung), daß die Mitgliedstaaten insoweit in ihrer Gesetzgebung noch frei sind. Das wird bestätigt durch den Vorschlag der Sechsten Richtlinie des Rates zur Umsatzsteuerharmonisierung vom 29. Juni 1973 (ABlEG Nr. C 80, 1 vom 5. Oktober 1973), in dessen Art. 15 erstmals eine Regelung für die bei der Einfuhr zu gewährenden Befreiungen von der Einfuhrumsatzsteuer vorgesehen ist, deren steuerliche Regelung Gegenstand dieses Rechtsstreits ist. Diese Richtlinie ist aber über das Vorschlagsstadium noch nicht hinausgekommen.

Ein Widerspruch zwischen der Regelung des § 1 Abs. 1 EUStBefrO i. V. m. § 57 AZO und den Regelungen der beiden Richtlinien ist danach nicht erkennbar. Daß es in den Richtlinien an einer Befreiungsvorschrift für Fälle wie dem vorliegenden fehlt, kann in Anbetracht dessen, daß es sich um eine Richtlinie handelt, die nur Grundsätze festlegt, nicht dahin ausgelegt werden, daß die in den genannten deutschen Vorschriften vorgesehene teilweise Einfuhrumsatzsteuerfreiheit den Richtlinien widerspricht. Der Kläger sieht den Verstoß gegen diese Richtlinien insbesondere in der Tatsache, daß für die in sein Fahrzeug eingebauten Teile sowohl TVA als auch deutsche Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten ist. Es ist schon fraglich, ob man trotz der unterschiedlichen Steuerentstehungstatbestände in beiden Staaten darin die vom Kläger behauptete Doppelbesteuerung sehen kann. Jedenfalls widerspräche eine doppelte Besteuerung in einem marginalen Fall wie dem vorliegenden im gegenwärtigen Stadium der Harmonisierung nicht der Regelung der Richtlinien. Die beiden Richtlinien haben sich damit begnügt, Grundsätze festzulegen, und darauf verzichtet, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für die Ausfuhrentlastung und die Einfuhrbelastung zu harmonisieren. Sie haben damit in Kauf genommen, daß die Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten insoweit unterschiedlich sind und Ausfuhrentlastungen in einem Mitgliedstaat nicht unbedingt deckungsgleich mit Einfuhrbelastungen in einem anderen Mitgliedstaat (und umgekehrt) sein müssen. Daß dem so ist, erweist auch die Richtlinie des Rates vom 28. Mai 1969 zum grenzüberschreitenden Reiseverkehr (ABlEG Nr. L 133, 6 vom 4. Juni 1969), die, wie auch ihre Erwägungsgründe zeigen, von der Existenz von Doppelbesteuerungen auch nach Erlaß der beiden ersten Harmonisierungsrichtlinien ausgeht und nur für einen bestimmten – für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden – Teilbereichen (nichtkommerzieller Reiseverkehr, Wertbegrenzung), die noch ausstehende Harmonisierung für Ausfuhrentlastung und Einfuhrbelastung vorwegnimmt.

Auch die deutsche Regelung, daß nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 nur die inländische Umsatzsteuer nicht in das Entgelt einzubeziehen ist, widerspricht den Richtlinien nicht. Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie bestimmt, daß Besteuerungsgrundlage das Entgelt „mit Ausnahme der Mehrwertsteuer” ist. Auch damit ist die jeweilige inländische Mehrwertsteuer gemeint. Das belegt die Regelung des Art. 8 Buchst. c der Zweiten Richtlinie, die als Bemessungsgrundlage bei der Einfuhr grundsätzlich den Zollwert bestimmt (der nach Art. 7 der bereits zitierten ZWVO alle außerhalb des Zollgebiets – bei entsprechender Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer außerhalb des Umsatzsteuergebietes – geschuldeten Abgaben umfaßt); dieser Wert wird nach der genannten Bestimmung „erhöht um alle aufgrund der Einfuhr geschuldeten Abgaben, mit Ausnahme der Mehrwertsteuer”. Gemeint ist also die aufgrund der Einfuhr geschuldeten Mehrwertsteuer, d. h. nicht die bereits vorher im Ausland etwa gezahlte Umsatzsteuer. Schließlich ist auch insoweit auf die bereits erwähnte Richtlinie zum grenzüberschreitenden Reiseverkehr zu verweisen, deren Regelung des innergemeinschaftlichen Reiseverkehrs weitgehend ins Leere ginge, wenn bereits nach der Zweiten Richtlinie die ausländische Umsatzsteuer, die für die von Reisenden eingeführten Waren gezahlt worden ist, bei der im Inland zu zahlenden Einfuhrumsatzsteuer angerechnet werden müßte.

b) Die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer im vorliegenden Fall bedeutet entgegen der Auffassung des Klägers auch keinen Verstoß gegen Art. 95 EWGV. Nach dessen Abs. 1 erheben die Mitgliedstaaten auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Der Kläger sieht einen Verstoß dagegen wohl darin, daß durch die Einbeziehung der TVA in die Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer die Belastung höher ist als die einer entsprechenden inländischen Ware. Er übersieht dabei zunächst, daß der Grundsatz des Mehrwertsteuersystems, wonach Besteuerungsgrundlage das Entgelt (einschließlich der Kosten und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer; vgl. Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie) ist, zwar eine Gleichbehandlung der Waren sicherstellt, aber nicht zwangsläufig zur genau gleichen steuerlichen Belastung gleicher Waren führt. Denn das Entgelt für gleiche Waren ist nicht immer gleich hoch, so daß auch gleiche inländische Waren im Ergebnis nicht unbedingt der gleichen umsatzsteuerlichen Belastung unterliegen. Das wird noch deutlicher beim Vergleich der für gleiche inländische und ausländische Waren gezahlten Entgelte; denn in das Entgelt gehen auch die direkten und indirekten steuerlichen Belastungen ein, die im Inland und Ausland im Regelfall verschieden hoch sind. Eine Diskriminierung im Sinne des Art. 95 EWGV kann also nicht schon dann vorliegen, wenn der endgültig zu zahlende Steuerbetrag für eine aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Ware höher ist als für eine gleiche inländische, wobei nicht erkennbar ist, wie das gemessen werden könnte. Eine Diskriminierung läge vielmehr nur dann vor, wenn unterschiedliche Bemessungsgrundlagen angewendet würden, je nachdem, ob es sich um eine inländische oder um eine ausländische Ware handelt. Das ist aber nicht der Fall, da in jedem Falle Bemessungsgrundlage das Entgelt abzüglich der inländischen Umsatzsteuer ist.

Dem widerspricht auch nicht das EGH-Urteil vom 20. Februar 1973 Rs. 54/72 (EGHE 1973, 193). Der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Es handelte sich dort darum, daß eine aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Ware im Inland sowohl bei der Einfuhr als nochmals bei ihrer Montage mit der Umsatzsteuer belastet worden war, während inländische Waren bei gleicher Fallgestaltung der Umsatzsteuer nur einmal unterlagen. Das hat der EGH als einen Verstoß gegen Art. 95 EWGV angesehen. Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, der EGH habe die Einbeziehung ausländischer Steuern in die Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer als mit dieser Bestimmung nicht vereinbar angesehen.

c) Auch die Vorschriften des EWGV über den Dienstleistungsverkehr (vgl. Art. 48 ff.) sind entgegen der Auffassung des Klägers nicht verletzt. Allenfalls kann in der noch mangelnden Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften für die Ausfuhrentlastung und die Einfuhrbelastung die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung gesehen werden. Diese durch weitere Harmonisierungsmaßnahmen künftig zu vermeiden, ist Ziel der Gemeinschaften, wie z. B. der Vorschlag einer Sechsten Richtlinie zeigt. Die Frage der Niederlassungsfreiheit ist davon aber nicht berührt.

3. Da danach das deutsche Recht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht steht, braucht auf die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht weiter eingegangen zu werden, ob Rechtsverordnungen, die die Bindungen an das Gemeinschaftsrecht nicht beachten, nicht mehr ermächtigungskonform erlassen und daher rechtsunwirksam sind.

4. Der Anregung des Klägers, eine Vorabentscheidung des EGH einzuholen, ist der erkennende Senat nicht gefolgt. In ständiger Rechtsprechung hat der Senat die Auffassung vertreten, daß er nach Art. 177 Abs. 3 EWGV zur Vorlage an den EGH nur dann verpflichtet ist, wenn sich Zweifel an der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen ergeben (Urteil des Senats vom 22. Oktober 1975 VII R 105/73, BFHE 117, 313). Diese Auslegung des Art. 177 Abs. 3 EWGV ergibt sich zwingend aus seinem Sinn. Das Vorabentscheidungsverfahren soll die Einheitlichkeit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts im gesamten Gebiet der Gemeinschaft sicherstellen. Lassen aber die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unzweifelhaft nur eine einzige Entscheidung zu, so ist eine abweichende Anwendung dieses Rechts in den Mitgliedstaaten praktisch ausgeschlossen; zur Wahrung der Rechtseinheit bedarf es daher einer Vorabentscheidung des EGH nicht. Im vorliegenden Fall ergeben sich für den Senat keine Zweifelsfragen in diesem Sinne, so daß eine Vorlage an den EGH nicht geboten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510592

BFHE 1977, 240

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