Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirkung einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung. Insolvenz des vermietenden Gesellschafters
Leitsatz (amtlich)
Die Wirkung einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung, dass nämlich die Gesellschaft bzw. - im Falle ihrer Insolvenz - der Insolvenzverwalter das Grundstück unentgeltlich nutzen darf, endet, wenn über das Vermögen des vermietenden Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird, nach § 110 Abs. 1 InsO spätestens mit Ablauf des der Insolvenzeröffnung nachfolgenden Kalendermonats (Fortführung von BGHZ 140, 147 ff.; Klarstellung von BGH, BGH, Urt. v. 28.2.2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 ff.).
Normenkette
GmbHG § 32a a.F., § 32b; InsO § 110 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Brandenburg vom 12.7.2006 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] M. S. vermietete gemäß schriftlichem Mietvertrag vom 2.3.1998 der S. GmbH, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin sie war, in ihrem Eigentum stehende Büroflächen und Lagerräume für eine monatliche Nettokaltmiete von 3.500 DM zzgl. Mehrwertsteuer. Über das Vermögen der Mieterin S. GmbH hat das AG N. am 1.8.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und den Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt. Über das Vermögen der Vermieterin M. S. wurde am 1.1.2003 das Insolvenzverfahren unter Einsetzung des Klägers zum Verwalter eröffnet.
[2] Der Kläger hat vom Beklagten rückständige Miete für die Monate August 2002, Januar und April 2003 verlangt.
[3] Der Beklagte, der das Mietverhältnis mit Schreiben vom 27.12.2002 gekündigt hat, hat behauptet, er habe die Mieträume einvernehmlich am 31.1.2003 an den Kläger zurückgeben lassen, der sie ab dem 7.2.2003 an eine F. S. GmbH weiter vermietet habe. Aufgrund der Weitervermietung habe der Kläger seiner Gebrauchsüberlassungspflicht nicht genügen können, so dass er von der Mietzinszahlung frei sei. Darüber hinaus hat der Beklagte den Mietzinsforderungen des Klägers die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entgegengehalten.
[4] Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers in Höhe eines Teilbetrages der Miete für April 2003i.H.v. 1.446,22 EUR stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
[5] Die unbeschränkt zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
[6] I. Das Berufungsgericht (ZIP 2006, 1582) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:
[7] Die Kündigung des Beklagten habe den Mietvertrag gem. §§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO, 580a Abs. 2 BGB erst zum 30.6.2003 beendet. Auf die für April 2003 geltend gemachte Miete müsse sich der Kläger die Weitervermietung anrechnen lassen mit der Folge, dass die Mietforderung für April 2003 lediglich noch 1.446,22 EUR betrage. Mit dem Einwand, seine Mietzinszahlungspflicht sei nach § 537 Abs. 2 BGB entfallen, weil der Kläger wegen der Gebrauchsüberlassung an die F. S. GmbH außerstande gewesen sei, dem Beklagten den Gebrauch zu gewähren, dringe dieser wegen Rechtsmissbräuchlichkeit (§ 242 BGB) nicht durch. Auch der Einwand der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung greife im Hinblick auf § 110 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht durch.
[8] II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
[9] 1. a) Entgegen der Ansicht der Revision geht das Berufungsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf die gefestigte Rechtsprechung des BGH (BGHZ 122, 163 ff.; BGH, Urt. v. 22.12.1999 - XII ZR 339/97, WM 2000, 776 ff.; Urt. v. 19.12.2007 - XII ZR 13/06, NZM 2008, 206 ff.) davon aus, dass der Beklagte rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er sich ggü. dem Mietzinszahlungsanspruch des Klägers auf § 537 Abs. 2 BGB beruft. Ist der Mieter ohne Rücksicht auf den fortbestehenden Mietvertrag aus den gemieteten Räumen ausgezogen und hat keine Miete mehr gezahlt, und vermietet der Vermieter daraufhin das Mietobjekt zu einem niedrigeren Mietzins weiter, der dem erzielbaren Marktpreis entspricht, so bleibt der Mieter verpflichtet, die Mietdifferenz zu zahlen. Er kann sich ggü. dem Mietzinsanspruch des Vermieters nicht darauf berufen, der Vermieter sei wegen der Weitervermietung zur Gebrauchsüberlassung an ihn nicht mehr in der Lage gewesen.
[10] b) So liegt der Fall hier. Nach der von der Revision nicht angegriffenen, zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts endete der Mietvertrag mit Ablauf des 30.6.2003. Bis zu diesem Zeitpunkt traf den Beklagten gem. § 537 Abs. 1 BGB das Verwendungsrisiko, d.h. er wurde von seiner Verpflichtung zur Entrichtung des Mietzinses nicht dadurch befreit, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund, hier: die Aufgabe der Mieträume, an der Ausübung des Gebrauchsrechts gehindert war. Zwar war der Kläger seinerseits infolge der Überlassung der von dem Beklagten gemieteten Räume an die F. S. GmbH nicht (mehr) erfüllungsbereit, weshalb der Beklagte gem. § 537 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht mehr zur Zahlung der Miete verpflichtet gewesen wäre. Gegen die Wertung des Berufungsgerichts, hierauf könne sich der Beklagte gem. § 242 BGB nicht berufen, wendet sich die Revision ohne Erfolg.
[11] Das Berufungsgericht musste im Rahmen der Prüfung, ob sich der Beklagte rechtsmissbräuchlich verhält, nicht, wie die Revision meint, berücksichtigen, dass Frau S. als Alleingesellschafterin bereits Ende 2001 verpflichtet gewesen wäre, die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. GmbH zu beantragen mit der Folge, dass der Beklagte lange vor dem 1.8.2002 als Insolvenzverwalter der S. GmbH bestellt worden wäre und das Mietverhältnis gem. § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 580a Abs. 2 BGB vorher ordentlich hätte kündigen können, so dass das Mietverhältnis vor April 2003 beendet gewesen wäre. Voraussetzung hierfür wäre eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch Frau S., die das Berufungsgericht mangels ausreichenden Vortrags des für diesen Einwand nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht festgestellt hat. Das Berufungsgericht hat lediglich eine Überlassungsunwürdigkeit der GmbH festgestellt, nicht jedoch deren Insolvenzreife. Insolvenzreife und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit sind jedoch eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände der Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts (BGH, Urt. v. 3.4.2006 - II ZR 332/05, WM 2006, 1150 ff. Tz. 7 m.w.N.). Hinzu kommt, dass die von der Revision geltend gemachte Möglichkeit des Beklagten, den Mietvertrag vorzeitig zu kündigen, nicht den Vortrag ersetzt - den die Revision in der Revisionsinstanz ohnehin nicht mehr halten kann, dass der Beklagte den Mietvertrag tatsächlich vor dem 27.12.2002 gekündigt hätte. Hiergegen spricht im Übrigen, dass der Beklagte bereits aufgrund seiner Bestellung mit Wirkung vom 1.8.2002 die Möglichkeit gehabt hätte, das Mietverhältnis durch ordentliche Kündigung zum 31.3.2003 zu beenden und dadurch das Fortbestehen der Mietzinsverpflichtung für den Monat April 2003 zu verhindern.
[12] 2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Einwand der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung greife im Hinblick auf die Vorschrift des § 110 Abs. 1 InsO nicht durch.
[13] a) Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 109, 55; 127, 1 ff. und 17 ff.; 140, 147; BGH, Urt. v. 31.1.2005 - II ZR 240/02, ZIP 2005, 484, 485; Urt. v. 28.2.2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660, 661) festgestellt, dass die mietweise Überlassung der Gewerberäume durch die Alleingesellschafterin S. eine eigenkapitalersetzende Leistung an die S. GmbH darstellte. Hiergegen wird von der Revision - zu Recht - nichts erinnert.
[14] b) Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. GmbH hatte der Beklagte daher das Recht, die Gewerberäume unentgeltlich weiter zu nutzen (st.Rspr., s. nur Senat, Urt. v. 31.1.2005, a.a.O., m.w.N.). Dieses Recht endete jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, gem. § 110 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Ablauf des Monats Januar 2003 im Hinblick auf das am 1.1.2003 über das Vermögen der vermietenden Alleingesellschafterin S. eröffnete Insolvenzverfahren. Ab Februar 2003 war der Beklagte ggü. dem Kläger zur Mietzinszahlung verpflichtet, ohne diesem die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entgegenhalten zu können.
[15] aa) Dass die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung gegenüber Gläubigern des Gesellschafters nicht erhoben werden kann, hat der Senat bereits für den Fall eines vollstreckenden Grundpfandgläubigers wiederholt entschieden (BGHZ 140, 147, 150 ff.; BGH, Urt. v. 31.1.2000 - II ZR 309/98, ZIP 2000, 455; v. 31.1.2005, a.a.O.; v. 28.2.2005a.a.O.). Danach tritt mit dem Wirksamwerden der im Wege der Zwangsverwaltung bewirkten Beschlagnahme eine Zäsur ein. Zwar fallen die Miet- und Pachtzinsen in den Haftungsverband des Grundpfandrechts. In den Grenzen, die §§ 1123, 1124 BGB bestimmen, darf der Eigentümer bis zu dem genannten Zeitpunkt über die Zinsen auch zu Lasten des Grundpfandrechtsgläubigers verfügen. Deshalb kann die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter in Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz das Grundstück bis zur Beschlagnahme auch unentgeltlich nutzen. Mit der Beschlagnahme ändert sich dies, weil nunmehr in dem Interessenkonflikt zwischen den Gläubigern des Grundstückseigentümers und den Gesellschaftsgläubigern ersteren der Vorrang gebührt. Die eigenkapitalersetzend wirkende Nutzungsüberlassung wird, da das zugrunde liegende Rechtsverhältnis durch das "Stehenlassen" der Gesellschafterhilfe in seinem Rechtscharakter keine Änderung erfährt, vielmehr nur der Nutzungsentgeltsanspruch während der Dauer der Krise nicht durchsetzbar ist, wie eine Stundung behandelt, die unter den Begriff der Vorausverfügung des § 1124 Abs. 2 BGB fällt. Diese Wirkung tritt mit der Beschlagnahme von selbst ein. Mit dem Wirksamwerden der Beschlagnahme verliert danach die GmbH bzw. der Insolvenzverwalter das Recht, das Betriebsgrundstück unentgeltlich zu nutzen. Der Gegenwert, der aus der Vermietung oder Verpachtung erzielt werden kann, steht vielmehr den Grundpfandrechtsgläubigern zu (grundlegend BGHZ 140, a.a.O.).
[16] bb) Nach § 110 Abs. 1 InsO hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Vermieters für die Wirksamkeit von Vorausverfügungen des Vermieters über die Miete, u.a. in Form der Stundung, dieselben Rechtsfolgen, wie die Beschlagnahme im Rahmen der Zwangsverwaltung, d.h. das Recht zur unentgeltlichen Nutzung endet spätestens ab dem übernächsten Monat nach der Verfahrenseröffnung (BGHZ 163, 201, 206).
[17] Die Regelung des § 110 Abs. 1 InsO, die in ihrem Kern von ihrer Vorgängerregelung in der Konkursordnung (§ 21 Abs. 2 KO) übernommen worden ist (BT-Drucks. 12/2443 S. 147), ist der Regelung des § 1124 Abs. 2 BGB nahezu wörtlich nachgebildet und an dieser ausgerichtet (BGHZ 163, a.a.O., m.w.N.). Bereits unter der Geltung von § 21 KO bestand dementsprechend ebenso wenig wie nunmehr zu § 110 Abs. 1 InsO Streit darüber, dass zum Kreis der dort angesprochenen Vorausverfügungen - wie in § 1124 BGB - auch die bloße Stundung sowie jede sonst zeitliche, örtliche oder gegenständliche Änderung der Zahlungsart gehören (zur KO: Jaeger/Henkel, KO 9. Aufl., § 21 Rz. 14; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl., § 21 KO Anm. 4; zur InsO: Eckert in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 110 Rz. 5; Marotzke in HK-InsO, 4. Aufl., § 110 Rz. 8; Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl., § 110 Rz. 3; Braun/Kroth, InsO, 3. Aufl., § 110 Rz. 3). Da in der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung eine der Vorausabtretung vergleichbare rechtsgeschäftliche Stundungsabrede liegt (BGHZ 140, 147, 154), endet daher nach dem eindeutigen Wortlaut des § 110 Abs. 1 InsO das Recht des von der Vorausverfügung Begünstigten, im Fall der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung mithin das Recht der Gesellschaft bzw. nach Insolvenzeröffnung ihres Insolvenzverwalters, das Grundstück oder die überlassenen Räume weiter unentgeltlich zu nutzen. Dass damit die Ansprüche aus eigenkapitalersetzender Nutzungsüberlassung unbeweglicher Sachen in der Insolvenz des Gesellschafters hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit eine Sonderregelung ggü. den sonstigen eigenkapitalersatzrechtlichen Ansprüchen erfahren, ist im Hinblick auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 110 Abs. 1 InsO, die das Grundvermögen und dessen wirtschaftlichen Nutzen der Insolvenzmasse des Vermieters zuordnet, hinzunehmen. Soweit sich aus dem Senat, Urt. v. 28.2.2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 ff. Abweichendes ergeben sollte, wird hieran nicht festgehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 2007302 |
BB 2008, 1422 |
DB 2008, 1371 |
DStR 2008, 1446 |
WPg 2008, 668 |
NJW 2008, 2188 |
NWB 2008, 2418 |
BGHR 2008, 963 |
EBE/BGH 2008 |
GmbH-StB 2008, 231 |
EWiR 2008, 555 |
NZG 2008, 551 |
NZG 2008, 740 |
NZM 2008, 728 |
WM 2008, 1162 |
WuB 2009, 28 |
ZAP 2008, 946 |
ZIP 2008, 1176 |
DZWir 2008, 307 |
NJ 2008, 514 |
NZI 2008, 41 |
NZI 2008, 510 |
ZInsO 2008, 669 |
GmbHR 2008, 761 |
Info M 2008, 327 |
KSI 2008, 230 |
MietRB 2008, 267 |
NJW-Spezial 2008, 469 |
NotBZ 2008, 339 |
StX 2008, 510 |
SJ 2008, 50 |
Status:Recht 2008, 242 |