Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 104
Bilanzpolitische Maßnahmen können hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit sichere, d. h. unstreitige Maßnahmen sein; das ist etwa bei Wahlrechten und bei den meisten Sachverhaltsgestaltungen der Fall. Es kann sich aber auch um Maßnahmen handeln, die vor ihrer endgültigen Durchsetzung u. U. erst "erkämpft" werden müssen, z. B. im Rahmen der Jahresabschlussprüfung oder anlässlich einer steuerlichen Betriebsprüfung oder in einem steuerlichen Rechtsmittel. Dieser, mit einem mehr oder weniger großen Realisierungsrisiko behafteten Gruppe von Maßnahmen ist zu einem erheblichen Teil die bewusste Ausnutzung von Individualspielräumen (z. B. in Form der Wahl eines "übervorsichtigen" Wertansatzes für außerplanmäßig abzuschreibende Anlagegegenstände) und die eher selten oder erst in derjüngeren Vergangenheit verstärkt auftretenden Sachverhaltsgestaltungen, für die vergleichsweise wenig gesicherte Erkenntnisse über ihre Anerkennung vorliegen, zuzurechnen.
Bilanzrechtliche Risiken können insbesondere in folgenden Fällen bestehen:
- Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, in welchem Ausmaß ein behaupteter Sachverhalt am Bilanzstichtag realisiert ist. Beispiel: In welchem Umfang sind die eine Teilwertabschreibung auslösenden wertmindernden Faktoren gegeben, z. B. bei Wertabschlägen auf Vorräte.
- Die an einem gegebenen Sachverhalt anknüpfenden bilanzrechtlichen Konsequenzen werden unterschiedlich beurteilt: Beispiel: Einstufung bestimmter Umbauarbeiten an Gebäuden als Herstellungsaufwand oder als Erhaltungsaufwand.
- Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalls gem. § 246 Abs. 3 Satz 2 HGB bzw. § 252 Abs. 2 HGB, der eine Durchbrechung des Stetigkeitsgebots rechtfertigt.
- Beurteilung der Zulässigkeit einer Sachverhaltsgestaltung vor dem Hintergrund des Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO). Hier sind insbesondere verschiedene Sachverhaltsgestaltungen zur Vermeidung der Anwendung der Zinsschranken-Regelung des § 4h EStG i. V. m. § 8a KStG zu nennen.
- Gegebenenfalls besteht das Risiko sogar darin, dass eine Maßnahme bei strenger Beurteilung als Bilanzfälschung oder Steuerstraftat gesehen werden kann.
Rz. 105
Das Kriterium der Sicherheit bilanzpolitischer Maßnahmen hat Auswirkungen auf die Verzinsung von Steuernachforderungen, denn solche Zinsen wird man grundsätzlich zu vermeiden suchen. Gleichwohl hat die Bedeutung dieses Aspekts zuletzt deutlich abgenommen, da die Verzinsung der Steuernachforderungen (bzw. -erstattungen) nach § 233a AO für Ansprüche ab dem 1.1.2019 auf 1,8 % p. a. deutlich reduziert wurde (zuvor 6 % p. a.). Allerdings sind weiterhin Steuerzinsen auf steuerlich nicht abzugsfähige Steuern, z. B. Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuern, steuerlich gem. § 12 Nr. 3 2. Halbsatz EStG und § 10 Nr. 2 2. Halbsatz KStG nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Darüber hinaus besteht ein generelles Abzugsverbot von Zinsen auf hinterzogene Steuern nach § 235 AO (§ 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG).