Leitsatz
Die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, nach der Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehören, soweit für diese das steuerliche Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gilt, knüpft tatbestandlich an die im Bescheid nach § 27 Abs. 2 KStG ausgewiesenen Bestände des steuerlichen Einlagekontos an (Bestätigung des Senatsurteils vom 19.5.2010, I R 51/09, BStBl II 2014, 937, BFH/NV 2010, 1886, BFH/PR 2010, 435). Wird die Feststellung geändert, ist hierin ein rückwirkendes Ereignis i.S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Folge zu sehen, dass im Hinblick auf die Steuerfestsetzung gegenüber dem Gesellschafter die Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO ausgelöst wird.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 und 5 EStG, § 27 Abs. 2 und 5 KStG, § 167, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, § 181 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Gesellschafter der Klägerin, einer GmbH, waren im Streitjahr (2006) R mit einem Anteil von 95 % sowie P mit einem Anteil von 5 %. Obgleich die Gesellschafter auch im Jahr 2006 die Teilauszahlung der Kapitalrücklage beschlossen hatten und deren Ausweis in der Handelsbilanz entsprechend gemindert wurde, erklärte die Klägerin zum 31.12.2006 ein gegenüber der Feststellung zum Ende des Vorjahrs (2005) unverändertes steuerliches Einlagekonto. Der Erklärung hat das FA entsprochen; der ursprüngliche sowie der nachfolgende geänderte Feststellungsbescheid vom 25.3.2008 und vom 12.11.2009 standen beide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; sie sind bestandskräftig geworden.
Mit Nachforderungsbescheid vom 13.8.2009 wurde gegenüber der Klägerin als Entrichtungsschuldnerin u.a. für den Zeitraum 2006 die nicht einbehaltene KapESt geltend gemacht.
Mit Bescheid vom 19.5.2011 hat das FA auch den Antrag der Klägerin, die KapESt für 2006 aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO abweichend festzusetzen, abgelehnt.
Die Klägerin hat sowohl gegen den Nachforderungsbescheid als auch gegen die Ablehnung des Billigkeitserweises Klage erhoben; das FG hat die Klage (betreffend das Streitjahr 2006) abgewiesen (FG Mecklenburg-Vorpommern vom 12.9.2013, 2 K 62/11, Haufe-Index 5670933, EFG 2014, 936).
Entscheidung
Der BFH hat das FG bestätigt. Infolge der Wirkkraft der Feststellungsbescheide vom 25.3.2008 und vom 12.11.2009 auf die "Ebene" der Anteilseigner müsse die Klägerin sich die getroffenen Feststellungen auch als KapESt-Entrichtungssteuerschuldnerin gegen sich gelten lassen. Ein Grund für eine abweichende Festsetzung der KapESt aus Billigkeitsgründen bestehe nicht.
Hinweis
1. Leistungen einer Kapitalgesellschaft, die aus dem steuerlichen Einlagekonto des § 27 KStG erbracht werden, gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht als "sonstige Bezüge" zu den "Einnahmen" und als solche auch nicht zu den "Einkünften" aus Kapitalvermögen. Vielmehr handelt es sich um Kapitalrückzahlungen.
2.Wird auf dieser Basis der Bestand des steuerlichen Einlagekontos gegenüber der Kapitalgesellschaft nach Maßgabe von § 27 Abs. 2 KStG gesondert festgestellt, dann wirkt diese Feststellung unmittelbar nur gegenüber der betreffenden Kapitalgesellschaft. Über die Tatbestandsmäßigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG schlägt diese Feststellung indessen materiell-rechtlich auf die Anteilseignerebene durch. Der Anteilseigner ist hiernach gehindert, die Richtigkeit der festgestellten Beträge im Rahmen seiner ESt-Veranlagung mit Erfolg anzuzweifeln; eine eigene Prüfung der Bestände des Einlagekontos findet insoweit und an dieser Stelle nicht mehr statt.
All das hatte der BFH durch sein Urteil vom 19.5.2010, I R 51/09 (BStBl II 2014, 937, BFH/NV 2010, 1886, BFH/PR 2010, 435) entschieden und daran knüpft er nunmehr nochmals bestätigend an.
3. Der BFH geht den eingeschlagenen Weg aber auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht konsequent zu Ende:
Die vorgenannte Bindung schlägt auf die KapESt durch, sei es in Gestalt deren Anmeldung oder Festsetzung, sei es – und so im Urteilsfall – in Gestalt eines Nachforderungsbescheids. Daran ändert auch eine etwaige ESt-Festsetzung nichts, falls sich daraus ergibt, dass eine Nennkapitalrückzahlung und deswegen keine Kapitaleinkünfte vorliegen. Denn der (nachfolgenden) Feststellung des steuerlichen Eigenkapitals stellt ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Sie kann sich also auf eine vorgängige ESt-Festsetzung leichthin auswirken, weil sie im Hinblick darauf die Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO auslöst.
Und schließlich erweist sich das Ganze für die Kapitalgesellschaft als haftungsrelevant: Erklärt sie nämlich fälschlich, eine Ausschüttung speise sich aus dem steuerlichen Einlagekonto, dann muss sie sich das als grob fahrlässig i.S.v. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG entgegenhalten lassen, wenn die Bescheidlage dem widerspricht. So gesehen wirkt die Feststellung des Einlagekontobestandes also auch gegen die (ausschüttende) Kapitalgesellschaft als Entrichtungssteuerschuldnerin.
4. Kurzum: Es ist größte Sorgfalt...