Entscheidungsstichwort (Thema)
Datenlöschung und Herausgabe von DVD-Datenträgern nach Beschlagnahme; Rechtsweg
Leitsatz (redaktionell)
1. Um den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die von ihnen gespiegelten Datenbestände zu unterbinden, besteht seit Inkrafttreten des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 (BGBl I 2000 S. 1253) gemäß § 489 Abs. 2 StPO ein Anspruch auf Datenlöschung, wenn die Speicherung der Daten unzulässig ist oder sich aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung ergibt, dass deren Kenntnis für den jeweils gesetzlich bezeichneten Zweck nicht mehr erforderlich ist. Diese auf die Aufhebung der Informationsfunktion zielende Regelung korrespondiert mit der strengen Zweckbindung des Datenzugriffs sowie mit der gesetzlich geregelten Bindung der Befugnis zur Informationsspeicherung und -verarbeitung gemäß § 483 StPO an den verfahrensbezogenen Erhebungszweck.
2. Zum Rechtsweg, wenn die Staatsanwaltschaft die begehrte Datenlöschung ablehnt.
3. Werden Einwände gegen Maßnahmen in einem Ermittlungsverfahren erhoben, das sich gegen einen anderen richtet, und der Ausspruch eines Beweisverwertungsverbotes begehrt, bedarf es besonderer Darlegungen, ob und inwiefern eine strafrechtlich nachteilige Verwertung der Beweismittel zu Lasten der Drittbetroffenen zu befürchten steht.
Normenkette
EGGVG § 23; StPO § 489 Abs. 2, §§ 483, 161a; VwGO § 40 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 09.12.2005; Aktenzeichen 614 Qs 55/05) |
LG Hamburg (Beschluss vom 09.12.2005; Aktenzeichen 614 Qs 54/05) |
LG Hamburg (Beschluss vom 09.12.2005; Aktenzeichen 614 Qs 51/05) |
LG Hamburg (Beschluss vom 09.12.2005; Aktenzeichen 614 Qs 49/05) |
LG Hamburg (Beschluss vom 09.12.2005; Aktenzeichen 614 Qs 48/05) |
AG Hamburg (Beschluss vom 13.09.2005; Aktenzeichen 162 Gs 31/05) |
AG Hamburg (Beschluss vom 08.04.2005; Aktenzeichen 162 Gs 31/05) |
AG Hamburg (Beschluss vom 12.01.2005; Aktenzeichen 162 Gs 31/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Soweit sich die Beschwerdeführer zu 3. und 4. auch gegen den Beschluss des Landgerichts vom 9. Dezember 2005 – 614 Qs 55/05 – wenden, fehlt es an der eigenen Betroffenheit; denn mit diesem Beschluss wurde allein die Beschwerde der Beschwerdeführer zu 1. und 2. zurückgewiesen, die sich gegen die Beschlagnahme ihnen gehörender Gegenstände richtete.
2. Die Verfassungsbeschwerde genügt nur insoweit den Begründungsanforderungen (§ 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG), als sich die Ausführungen auf die unterbliebene Datenlöschung und Herausgabe der 12 DVD-Datenträger beziehen. Darüber hinaus ist das Vorbringen – auch bei Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen – zu pauschal. Der Beschwerdeführer ist gehalten, mit seinem Vorbringen die Zielrichtung seiner Verfassungsbeschwerde deutlich zu machen und kann keine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gewissermaßen ins Blaue hinein unter allen denkbaren Gesichtspunkten erwarten (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04 –, www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen). Die Beschwerdeführer beschränken sich in ihrer Verfassungsbeschwerde auf Ausführungen zur bemängelten Datenspeicherung und zur unterbliebenen Herausgabe der Datenträger.
3. Die Beschwerdeführer haben den Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).
a) Dem Vortrag der Beschwerdeführer ist nicht zu entnehmen, dass sie einen förmlichen Antrag auf Datenlöschung und Herausgabe der 12 DVD-Datenträger an die Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren führt, gerichtet hätten. Sie vollzieht die bei Aufhebung einer Beschlagnahmeanordnung vor Anklageerhebung notwendigen Maßnahmen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 98 Rn. 30; Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.10.2003, § 98 Rn. 65).
b) Abgesehen davon, dass bereits zweifelhaft erscheint, ob eine Entscheidung über die Datenlöschung und Herausgabe der DVD-Datenträger in den angegriffenen Beschlüssen überhaupt getroffen wurde, ist jedenfalls die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß §§ 23 ff. EGGVG unterblieben.
aa) Geht es dem Betroffenen nach Herausgabe der Beweismittel darum, den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die von ihnen gespiegelten Datenbestände zu unterbinden, steht ihm seit Inkrafttreten des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 (BGBl I 2000 S. 1253) gemäß § 489 Abs. 2 StPO ein Anspruch auf Datenlöschung zur Seite, wenn die Speicherung der Daten unzulässig ist oder sich aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung ergibt, dass deren Kenntnis für den jeweils gesetzlich bezeichneten Zweck nicht mehr erforderlich ist. Diese auf die Aufhebung der Informationsfunktion zielende Regelung korrespondiert mit der strengen Zweckbindung des Datenzugriffs sowie mit der gesetzlich geregelten Bindung der Befugnis zur Informationsspeicherung und -verarbeitung gemäß § 483 StPO an den verfahrensbezogenen Erhebungszweck (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 –, NJW 2005, S. 1917 ≪1922≫; BTDrucks 14/1484 S. 34; Hilger, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.9.2001, § 483 Rn. 4 und § 489 Rn. 5). Danach hat eine Prüfung stattzufinden, ob die gespeicherten Daten noch für den auf das konkrete Verfahren bezogenen Ermittlungszweck erforderlich sind oder nach den §§ 483 ff. StPO eine weitere Grundlage für die Fortdauer der Speicherung gegeben ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die §§ 483 ff. StPO in allen Abschnitten des Strafverfahrens auch auf die Dateien anwendbar sind, die von den Ermittlungsbehörden aufgrund der Auswertung beschlagnahmter Beweismittel erstellt wurden (vgl. BTDrucks 14/1484 S. 1 f., 31 f.).
bb) Kommt die Staatsanwaltschaft einem auf Datenlöschung gerichteten Antrag nicht nach, so ist hiergegen der Rechtsweg zum Oberlandesgericht gemäß §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. Franke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 489 Rn. 7; Hilger, a.a.O., § 489 Rn. 16, sowie zu entsprechenden Begehren bezogen auf gefertigte Ablichtungen von Schriftstücken OLG Stuttgart, NJW 1977, S. 2276 ≪2277≫; OLG Frankfurt am Main, NJW 1999, S. 73; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 23 EGGVG Rn. 49; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 23 EGGVG Rn. 15; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl. 2005, § 23 EGGVG Rn. 101; in diese Richtung auch Böttcher, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1.8.1998, § 23 EGGVG Rn. 27 f.). Bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Die Auffassung, es sei auch eine entsprechende Anwendung von § 161a StPO zu erwägen (vgl. Hilger, a.a.O., § 489 Rn. 16, §§ 23 ff. EGGVG oder § 161a StPO) ist – soweit ersichtlich – vereinzelt geblieben. Welchen Rechtsbehelf der Beschwerdeführer zu wählen hat, bedarf überdies keiner endgültigen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht, denn dem Beschwerdeführer ist die Beschreitung eines Rechtswegs grundsätzlich auch dann zumutbar, wenn die Zulässigkeit des Rechtsmittels unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪379 f.≫; 91, 93 ≪106≫).
cc) Da es den Beschwerdeführern im Kern nicht um die Herausgabe beschlagnahmter Beweismittel, sondern um die Löschung der kopierten Dateien geht, kann dahinstehen, ob für die Durchsetzung des auf Beweismittel bezogenen Herausgabeanspruchs nach Erlöschen oder Aufhebung der Beschlagnahme zunächst das Amtsgericht gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog anzurufen ist, weil es sich insoweit auch um Modalitäten der Beschlagnahme handeln könnte (so Schäfer, a.a.O., § 98 Rn. 65 und Rn. 73; Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, S. 461 ≪463≫; ähnlich FG Bremen, EFG 1999, S. 1092: Finanzrechtsweg nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens) oder ob insoweit mit Blick auf die Rechtswegverweisung in § 40 Abs. 2 Satz 2 VwGO für Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung die Zivilgerichte zuständig sind (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1990, S. 202; OLG Stuttgart, NStZ 1989, S. 39; LG Mannheim, NStZ-RR 1998, S. 113).
4. Werden Einwände gegen Maßnahmen in einem Ermittlungsverfahren erhoben, das sich gegen einen anderen richtet, und der Ausspruch eines Beweisverwertungsverbotes begehrt, bedarf es besonderer Darlegungen, ob und inwiefern eine strafrechtlich nachteilige Verwertung der Beweismittel zu Lasten der Drittbetroffenen zu befürchten steht. Daran fehlt es hier. Die Entscheidung über die Verwertbarkeit eines gewonnenen Beweismittels bedarf regelmäßig einer Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen und dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 34, 238 ≪248 ff.≫; 80, 367 ≪375 f.≫; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, Einl. Rn. 55 m.w.N.; Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, vor § 94 Rn. 9 m.w.N.). Dabei ist auch die Problematik der so genannten Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten zu bedenken, bei der es darum geht, ob bestimmte Beweismittel, wenn auch nicht für die Führung des Strengbeweises im Hauptverfahren, so doch als Ansätze für weitere Ermittlungen dienen können (vgl. dazu Nack, a.a.O., Rn. 10 m.w.N). Auch dies wollen die Beschwerdeführer ausschließen. Ohne Kenntnis der Verwendungsweise der Beweismittel sowie von Art und Schwere der möglicherweise aufzuklärenden Taten kann eine Abwägungsentscheidung über die Verwertung von Verfassungs wegen nicht im Voraus getroffen werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1500974 |
NJW 2006, 1787 |
NJOZ 2006, 2025 |