Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Zeugnisverweigerungsrecht von Presseangehörigen über Chiffreanzeige eines Steuerberaterbüros als Auftraggeber
Leitsatz (amtlich)
Zum Zeugnisverweigerungsrecht von Presseangehörigen über den Auftraggeber einer Chiffreanzeige.
Leitsatz (redaktionell)
Es besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht eines Presseangehörigen über den Auftraggeber einer Chiffreanzeige in der ein Steuerberatungsbüro Kontierer und Buchführungshelfer sucht.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2; StPO § 70 Abs. 1 S. 1, § 53 Abs. 1 Nr. 5; StBerG § 8 Abs. 1, § 57 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 29.01.1982; Aktenzeichen StV 18/81) |
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) vereinbar ist, daß gegen einen Presseangehörigen ein Ordnungsgeld festgesetzt wird, weil er sich weigert, als Zeuge im Rahmen eines wegen des Verdachts standeswidriger Werbung eingeleiteten Ermittlungsverfahrens Angaben über den Auftraggeber einer Chiffreanzeige zu machen.
I.
Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Steuerberatungsgesetz) vom 16. August 1961 in der Neufassung vom 4. November 1975 (BGBl. I S. 2735) – StBerG –, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze vom 18. August 1980 (BGBl. I S. 1537), enthält im Rahmen der Vorschriften über die Hilfeleistung in Steuersachen in § 8 Abs. 1 ein Verbot der Werbung für alle Personen, die zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind. Ferner bestimmt § 57 Abs. 1, daß Steuerberater ihren Beruf unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben haben. Konkretisiert ist das Verbot von Werbung in Nrn. 33, 34 und 39 der von der Bundessteuerberaterkammer beschlossenen Richtlinien für die Berufsausübung der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Standesrichtlinien) vom 24./25. Januar 1977 in der Fassung vom 24./25. März 1980 und 20./21. Oktober 1980 – RichtlStB.
Die Erfüllung der Berufspflichten der Steuerberater wird durch Berufskammern überwacht (§ 76 Abs. 1 StBerG). Für die Aufklärung einer berufsrechtlichen Verfehlung und für die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens ist die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht zuständig (§§ 113 ff. StBerG). Ergänzend finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß Anwendung (§ 153 StBerG). Die im Ausgangsverfahren maßgebliche Bestimmung lautet:
§ 70
(1) Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.
(2)-(4) …
Gesetzliche Gründe im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StPO sind in den §§ 52 ff. StPO enthalten. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO sind Presseangehörige zur Verweigerung des Zeugnisses über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen berechtigt, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt. Hinsichtlich des Anzeigenteils von Presseerzeugnissen sieht die Strafprozeßordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor.
II.
1. Im November 1980 erschien in einer Koblenzer Tageszeitung folgende Chiffreanzeige:
„Buchführungshelfer!
Kontierer!
Größeres Steuerberatungsbüro in Koblenz
bietet Ihnen nach Urteil des BVerfGer.
interessante Möglichkeiten der legalen
Kooperation und Existenzsicherung.
Zuschr. unt. AK 0772 an RZ, Postfach 1540,
5400 Koblenz.”
Die Steuerberaterkammer forderte mehrfach vergeblich das inserierende Steuerberaterbüro über die Chiffre zu einer Stellungnahme zu der ihrer Ansicht nach mit den Standesrichtlinien unvereinbaren Anzeige auf. Da diese Aufforderung keinen Erfolg hatte, beantragte sie bei der Staatsanwaltschaft die Einleitung eines berufsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt. Die Staatsanwaltschaft forderte den Verlag, in dem die Tageszeitung erscheint, auf, Namen und Anschrift des Auftraggebers der Chiffreanzeige mitzuteilen. Der Verlag lehnte dies mit der Begründung ab, er sei bei einer Chiffreanzeige vertraglich verpflichtet, über die Person des Auftraggebers Dritten keine Mitteilung zu machen. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft gemäß § 162 StPO bei dem Amtsgericht, den Beschwerdeführer, der als Sachbearbeiter in der Anzeigenabteilung des Verlages tätig ist, hierzu als Zeugen zu vernehmen. Dieser verweigerte im Termin die Aussage mit der Begründung, ihm stehe auf Grund des Chiffregeheimnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Hierauf setzte das Amtsgericht gegen ihn wegen Verweigerung des Zeugnisses ohne gesetzlichen Grund ein Ordnungsgeld in Höhe von 400 DM, ersatzweise 10 Tage Haft, fest und legte ihm die durch die Weigerung verursachten Kosten auf.
Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Landgericht verworfen: Dem Beschwerdeführer stehe ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht zu. Die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO erstrecke sich nicht auf den Anzeigenteil einer Zeitung. Da jedoch auch der Anzeigenteil vom Schutz des Grundrechts der Pressefreiheit umfaßt werde, könne sich ein Zeugnisverweigerungsrecht auf Grund einer fallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben. Im vorliegenden Fall führe die erforderliche Abwägung zwischen dem Bedürfnis, die Nichteinhaltung standesrechtlicher Richtlinien wirksam verfolgen zu können, und dem berechtigten Interesse der Presse am Anzeigengeschäft zu dem Ergebnis, daß ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht bestehe. Würde ein Recht Presseangehöriger anerkannt, die Identität der Auftraggeber von Chiffreanzeigen nicht offenbaren zu müssen, wäre die Ahndung standeswidriger Verhaltensweisen praktisch unmöglich, soweit sie mit Chiffreanzeigen in Zusammenhang stünden. Es bleibe dann nur noch der zweifelhafte Weg, über fingierte Zuschriften den Inserenten zu ermitteln. Die Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts hätte zur Folge, daß standesrechtliche Regelungen, deren Beachtung auch im Interesse der Allgemeinheit liege, nahezu gefahrlos mißachtet werden könnten. Demgegenüber stelle die Verpflichtung, den Ermittlungsbehörden gegenüber das Chiffregeheimnis aufzudecken, einen verhältnismäßig geringfügigen Eingriff in die geschützten Belange der Presse dar. Betroffen sei nur ihr Interesse an einem florierenden Anzeigengeschäft. Die Veröffentlichung von Chiffreanzeigen sei ihr nach wie vor erlaubt. Weder werde ihr eine Prüfungspflicht auferlegt, noch habe sie mit Sanktionen zu rechnen. Auch die Höhe des Ordnungsgeldes und der für den Fall der Nichtbeitreibung festgesetzten Ordnungshaft sei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG durch den Beschluß des Landgerichts geltend: Das Grundrecht der Pressefreiheit verbürge die Befugnis der Presseangehörigen, über ihre Informanten zu schweigen; ohne ein derartiges Recht könne die Pressefreiheit keine Wirksamkeit entfalten. Anzeigensachbearbeiter gehörten ebenfalls zu dem geschützten Personenkreis. Der Schutzbereich der Pressefreiheit erstrecke sich auch auf den Anzeigenteil einer Zeitung (BVerfGE 21, 271). Im Hinblick auf die Wechselwirkung von Grundrecht und einschränkendem Gesetz sei es unerheblich, daß § 53 StPO das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf den Anzeigenteil erstrecke. Entweder sei diese Bestimmung wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungswidrig, oder sie sei verfassungskonform auszulegen, indem ein Zeugnisverweigerungsrecht auch für Anzeigen-Mitarbeiter eines Presseorgans unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitet werde. Auch dann, wenn der Anzeigenteil einen geringeren Schutz als der redaktionelle Teil genieße, müsse die gebotene verhältnismäßige Zuordnung der kollidierenden Rechtsgüter der Pressefreiheit einerseits und der Notwendigkeit der Aufklärung von Straftaten andererseits im vorliegenden Fall zugunsten des Beschwerdeführers ausgehen. Werde ein Presseorgan gezwungen, die Auftraggeber von Chiffreanzeigen zu offenbaren, so werde hierdurch das Vertrauen der Bevölkerung zur Presse und ihrer Vertragstreue zerstört. Es sei nicht erkennbar, welche schwerwiegenden Gründe im vorliegenden Fall eine Preisgabe des durch die Pressefreiheit geschützten Chiffregeheimnisses gebieten sollten. Es gehe nicht um die Verfolgung einer Straftat, sondern einer Standeswidrigkeit. Indessen liege nicht einmal ein Verstoß gegen das in den Standesrichtlinien enthaltene Verbot standeswidriger Werbung vor. Eine solche sei bei einer Chiffreanzeige von vornherein ausgeschlossen, da der Inserent seinen Name nicht nenne. Im übrigen könne es insbesondere nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 1980 (BVerfGE 54, 301) und vom 27. Januar 1982 (BVerfGE 59, 302) einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe nicht untersagt werden, mittels einer Chiffreanzeige Buchführungshelfern und Kontierern Stellen anzubieten.
Ergänzend weist der Beschwerdeführer auf einen dem Bundesminister der Justiz zugeleiteten Antrag des Deutschen Presserats vom 2./3. April 1981 hin, das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 zu ändern und das Zeugnisverweigerungsrecht auf den Anzeigenteil zu erstrecken.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich die Bundessteuerberaterkammer wie folgt geäußert: Das Bundesverfassungsgericht habe die Zulässigkeit des Verbots berufswidriger Werbung für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte anerkannt (BVerfGE 60, 215 (231 f.)). In der Anzeige, die Anlaß zu dem vorliegenden Verfahren gegeben habe, sei um Aufträge geworben worden. Dies sei nach Nr. 34 Abs. 5 der Standesrichtlinien auch dann verboten, wenn die Anzeige unter Chiffre erscheine.
Durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 1980 und vom 27. Januar 1982 hätten sich für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kontierern (Buchführungshelfern) eröffnet. Da diese keine Abschlüsse und Steuererklärungen erstellen dürften, suchten sie Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, denen sie ihre Kunden für diese Tätigkeit vermittelten. Die Bundessteuerberaterkammer habe diese Entwicklung zum Anlaß genommen, „Grundzüge über das Verhältnis von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten zu Kontierern” zusammenzustellen (DStR 1982, S. 603), in denen unter Nr. 5 darauf hingewiesen werde, daß es berufswidrig sei, eine Werbung durch Dritte zu veranlassen oder zu dulden (Nr. 39 RichtlStB). Angebote an Kontierer zur Erlangung von Aufträgen seien eine unzulässige Werbung (Nr. 33 RichtlStB) und insbesondere in der Form von Anzeigen berufswidrig (Nr. 34 RichtlStB). Hierbei handele es sich um den Hinweis auf seit vielen Jahren geltende Berufspflichten. Im Ausgangsfall hätten die Inserenten gegen die in diesen Grundsätzen zum Ausdruck gebrachte Berufsauffassung verstoßen und ihre Berufspflichten verletzt.
Die Auffassung des Beschwerdeführers, Chiffreanzeigen könnten keine berufswidrige Werbung darstellen, sei offensichtlich falsch. Werbung um Aufträge könne auch durch Chiffreanzeigen betrieben werden. Die Steuerberaterkammer habe unter den gegebenen Umständen zu Recht die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens beantragt.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
I.
1. Das Grundrecht der Pressefreiheit umfaßt, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen (BVerfGE 21, 271 (278 f.)). Wenn die Presse ihren Lesern Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil, ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt und die Leser auf diese Weise über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen informiert, so gehört dies zu den herkömmlichen und typischen Presseaufgaben (BVerfGE a.a.O., (279)). Nicht unberücksichtigt bleiben darf auch die Bedeutung des Anzeigenteils für die Erfüllung der Kommunikationsaufgabe der Presse (Ricker, Anzeigenwesen und Pressefreiheit, 1973, S. 22 ff. (31, 34)) sowie für die Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Grundlagen als wesentlicher Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit (vgl. Ricker, a.a.O., S. 42 ff.). Ebenso wie im Bereich des redaktionellen Teils kann schließlich auch im Bereich des Anzeigenteils die Vertrauenswürdigkeit der Presse davon abhängen, daß staatliche Eingriffe nicht zu besorgen sind.
Namentlich der letzte Aspekt ist für den Zusammenhang von Pressefreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht von Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat Bestand und Umfang des den redaktionellen Teil betreffenden Zeugnisverweigerungsrechts (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO) damit begründet, dieses Recht beruhe auf der Eigenart der Institution einer freien Presse, die bestimmter Sicherungen bedürfe, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Zur verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Presse gehöre – als wesentliche Voraussetzung ihrer Funktionsfähigkeit – auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten; er sei unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten könne, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließe, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen dürfe. Das Recht der Presseangehörigen, die Aussage über den Inhalt von Mitteilungen und die Person des Informanten unter bestimmten Voraussetzungen zu verweigern, diene unmittelbar diesem Schutz und trage dadurch mittelbar zur Gewährleistung einer institutionell eigenständigen und funktionsfähigen Presse bei (BVerfGE 36, 193 (204)).
Dies muß grundsätzlich auch für den Anzeigenteil gelten, insbesondere für den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und Auftraggeber einer Chiffreanzeige. Auch insoweit ist eine intakte und gesicherte Vertraulichkeitssphäre der Presse unerläßliche Voraussetzung für deren Arbeit. Der Schutz dieser Sphäre läßt sich nicht auf den redaktionellen Teil begrenzen, wenn anders in den Augen der Öffentlichkeit die Vertrauenswürdigkeit der Presse nicht insgesamt Einbußen erleiden soll. Das Chiffregeheimnis fällt mithin, ebenso wie das Redaktionsgeheimnis, in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
2. Wie alle Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegt allerdings auch die Pressefreiheit den Schranken der „allgemeinen Gesetze” (Art. 5 Abs. 2 GG). Erst unter Berücksichtigung dieser Schranken ergibt sich die konkrete Reichweite der Pressefreiheit. Dabei handelt es sich nicht um eine einseitige Begrenzung des Grundrechts. Die allgemeinen Gesetze sind vielmehr aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (BVerfGE 7, 198 (208 f.) – Lüth; st. Rspr.; vgl. noch BVerfGE 60, 234 (240)).
§ 70 Abs. 1 StPO enthält ein „allgemeines Gesetz”. Die Vorschrift begründet einen Zeugniszwang auch für Presseangehörige, wenn nicht ein „gesetzlicher Grund” zur Verweigerung gegeben ist. Soweit es sich nicht um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO), schränkt sie die Pressefreiheit ein. Das ist für den Anzeigenteil der Fall. Im Hinblick auf die dargelegte Bedeutung der Pressefreiheit wäre es verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn es sich hierbei um eine abschließende Regelung handelte; denn dann würde unabhängig von Inhalt und Funktion einer Anzeige in keinem Falle ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehen. Der Schutz der Pressefreiheit für den Anzeigenteil liefe insoweit leer. § 70 Abs. 1 StPO läßt jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, eine Auslegung der Wendung „ohne gesetzlichen Grund” dahin zu, daß im Einzelfall die Verweigerung des Zeugnisses auch dann zulässig sein kann, wenn keiner der einfachrechtlich geregelten Tatbestände erfüllt ist, wenn sich aber die Einschränkung des Zeugniszwangs unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unmittelbar aus Grundrechten ergibt (vgl. BVerfGE 25, 296 (304 f.); 33, 367 (374 f.); 38, 312 (325); ferner BVerfGE 20, 162 (189); 33, 23 (33 f.)). § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO kann daher nicht als abschließende Regelung der gesetzlichen Gründe einer Zeugnisverweigerung von Presseangehörigen angesehen werden (BVerfGE 25, 296 (305); 36, 193 (211)); die Vorschrift trifft lediglich eine generalisierende Bestimmung darüber, in welchen Fällen typischerweise dem Geheimhaltungsinteresse der Presse als Schutzgut des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gegenüber dem von § 70 Abs. 1 StPO geschützten, aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Rechtsgut einer funktionstüchtigen Rechtspflege der Vorrang gebührt. In dieser Bedeutung ist sie mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE 36, 193 (210 f.)).
3. Eine hiernach mögliche Begrenzung des Aussagezwangs, die über § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO hinausgeht, kann sich nach fallbezogener Abwägung der widerstreitenden Interessen ausnahmsweise aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben (BVerfGE 36, 193 (211) m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 38, 103 (105) für ein aus den Grundrechten abzuleitendes, über § 97 StPO hinausgehendes Beschlagnahmeverbot). Im Rahmen dieser Abwägung gewinnen die Unterschiede Bedeutung, welche den Gesetzgeber veranlaßt haben, das Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO auf den redaktionellen Teil von Presseerzeugnissen zu beschränken.
Die derzeitige Regelung ist durch Art. 1 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1973) mit Berichtigung vom 7. August 1975 (BGBl. I S. 2164) eingeführt worden. Bereits in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ausgeführt, daß die Kontrollfunktion der Presse im Bereich des redaktionellen Teils von Presseerzeugnissen die Garantie der Pressefreiheit notwendig mache. Eine solche Funktion übe die Presse dagegen nicht mit Veröffentlichungen im Anzeigenteil aus. Auch seien es überwiegend wirtschaftliche Interessen, welche die Presse veranlaßten, Anzeigen aufzunehmen. Dabei könne der Inserent den Text der Anzeige selbst bestimmen. Die Beziehungen zwischen Inserenten und Verlag seien selten persönlicher, meist aber geschäftlicher Natur. Dem durch ein Aussageverweigerungsrecht garantierten Schutz der Anonymität der Informationsquellen komme bei dem Anzeigenteil weniger Bedeutung zu als bei dem redaktionellen Teil eines periodischen Druckwerks, da das Inserat gerade darauf abziele, daß Dritte mit dem Inserenten in Verbindung träten. Hinsichtlich des Anzeigen- und Werbeteils bleibe daher die Zeugnispflicht unberührt (BTDrucks. 7/2539, S. 9).
Dem hat sich auch der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages weitgehend angeschlossen. In seinem Bericht und Antrag im Gesetzgebungsverfahren wird die Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts auf den redaktionellen Teil damit begründet, daß nach Auffassung der Mehrheit des Ausschusses der Anzeigenteil der Presse seinen Zwecken und Aufgaben gemäß nicht im gleichen Maße wie der redaktionelle Teil ein Zeugnisverweigerungsrecht erfordere. Das Hauptfeld der Presse, auf dem sie ihre öffentliche Kontrollfunktion ausübe und ihren Beitrag zur politisch und gesellschaftlich relevanten Meinungsbildung leiste, sei zweifellos der redaktionelle Teil der Presseerzeugnisse. Dagegen treten in dieser Hinsicht die Bedeutung des Anzeigenteils völlig in den Hintergrund. Bei einer Abwägung des Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung und den Belangen der Presse erscheine es gerechtfertigt, das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf den Anzeigenteil auszudehnen. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte nach Art. 5 i. V. m. Art. 3 GG erforderten nach Auffassung der Mehrheit des Ausschusses keine Gleichstellung des Anzeigenteils mit dem redaktionellen Teil, da der Anzeigenteil nur in Ausnahmefällen oder in weitaus vermindertem Maße ähnliche Funktionen der Meinungsbildung und Kontrolle habe wie der redaktionelle Teil. Demgegenüber vertrete eine Minderheit des Ausschusses die Meinung, daß der Inseratenteil – zumal bei zunehmender Konzentration und zunehmender einheitlicher Ausrichtung der Presse – die Möglichkeit der gegenteiligen Meinungsäußerung gebe. In bestimmten Fällen könne nur durch das Inserat die Vielfalt der Meinungsäußerungen gewährleistet werden. Dadurch erhalte der Anzeigenteil eine gleiche Bedeutung wie der redaktionelle Teil. Der Anzeigenteil müsse deshalb ebenso durch Garantien der Pressefreiheit, also auch durch die Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts geschützt werden. Eine ungleiche Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für den redaktionellen Teil und den Anzeigenteil sei verfassungsrechtlich bedenklich (BTDrucks. 7/3118, S. 4).
Der ausschlaggebende Grund der Begrenzung des Aussagezwangs liegt hiernach in der Kontroll- und der meinungsbildenden Funktion der Presse; er gilt in der Regel nur für den redaktionellen, nicht für den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen. Allerdings kann in Sonderfällen auch einzelnen Anzeigen eine solche Funktion zukommen. Hier kann es dann geboten sein, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Recht zur Zeugnisverweigerung unmittelbar aus dem Grundrecht der Pressefreiheit herzuleiten. Wo das nicht der Fall ist, kann dagegen ein Vorrang der Pressefreiheit vor dem durch § 70 Abs. 1 StPO geschützten Rechtsgut auch dann nicht angenommen werden, wenn berücksichtigt wird, daß, wie dargelegt, redaktioneller und Inseratenteil in gleicher Weise Nachrichten enthalten, daß das Anzeigengeschäft ein wesentliches Element der Unabhängigkeit der Presse ist und daß die unerläßliche Grundlage des Vertrauens zur Presse sich nicht auf den redaktionellen Teil beschränken läßt. Insoweit hängt der Vorrang des Grundrechts, wie auch in anderen Zusammenhängen, in erster Linie von der Bedeutung des in Frage stehenden Beitrags für die öffentliche Meinungsbildung ab (vgl. BVerfGE 60, 234 (240)).
II.
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs muß die angegriffene Entscheidung im Ergebnis Bestand haben.
1. Die Anzeige, über deren Auftraggeber der Beschwerdeführer das Zeugnis verweigert hat, enthielt keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung; ebensowenig hatte sie etwas mit der Kontrollaufgabe der Presse zu tun. Ein Ausnahmefall, in dem der Zeugniszwang unmittelbar durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begrenzt werden könnte, lag mithin nicht vor, so daß es auf die weiteren Elemente, die bei der gebotenen fallbezogenen Abwägung zu berücksichtigen wären, nicht mehr ankommt. Demgemäß kann offenbleiben, ob die Anzeige – wie die Bundessteuerberaterkammer in ihrer Stellungnahme annimmt – den Tatbestand standeswidriger Werbung erfüllte; auch Art und Schwere der Berufspflichtverletzung, um deren Aufklärung es ging, der Grad des Tatverdachts, das Ausmaß des Verschuldens auf der einen, die Bedeutung der Pressefreiheit für den Anzeigenteil eines Presseerzeugnisses auf der anderen Seite sind bei der hier gegebenen Fallgestaltung für die Entscheidung über das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses unerheblich.
2. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Nichteinbeziehung des Anzeigenteils in den gesetzlichen Zeugnisverweigerungstatbestand des § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO das Bestehen eines derartigen Rechts nicht grundsätzlich ausschließe, da sich ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf Grund einer fallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen ergeben könne. Es hat allerdings verkannt, daß es hierfür in erster Linie von Bedeutung ist, ob der in Frage stehenden Chiffreanzeige eine gleiche oder zumindest ähnliche Funktion zukommen konnte wie Beiträgen des redaktionellen Teils von Presseerzeugnissen, welche der Aufgabe der Kontrolle und der Meinungsbildung durch die Presse dienen. Dies war, wie gezeigt, nicht der Fall. Wenn das Gericht statt dessen auf der Grundlage anderer Erwägungen zu dem Schluß gelangt ist, daß der Beschwerdeführer nicht berechtigt sei das Zeugnis zu verweigern, so braucht hierauf nicht weiter eingegangen zu werden. Im Ergebnis ist die Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Fundstellen
BVerfGE, 108 |
AfP 1983, 385 |