Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhebung kommunaler Fremdenverkehrsabgabe von örtlich ansässiger Steuerberatungsgesellschaft verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
Die auf einer kommunalen Satzung beruhende Fremdenverkehrsabgabe stellt keine Steuer, sondern einen Beitrag im abgabenrechtlichen Sinne dar; ihrer Erhebung steht Art. 105 Abs. 2 GG daher nicht entgegen. Zwar mag nach dem Maßstab des Abgabenrechts zweifelhaft sein, ob Steuerberater in der Regel zu den Personen gehören, denen aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr mittelbar besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen; eine Verletzung von Grundrechten ist aber nicht ersichtlich, zumal für die Abgabe nur Mehreinnahmen aus Kurbetrieb oder Fremdenverkehr, nicht jedoch aus einer allgemeinen Erhöhung der Wirtschaftskraft berücksichtigt werden. Dabei ist es verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß auf überörtliche nachgefragte Dienstleistungen die Fremdenverkehrsabgabe nur von in der Gemeinde ansässigen Personen erhoben wird.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2; FrdVAbgG BW § 1 Abs. 1, 3; FrdVagbG BW § 1 Abs. 4
Verfahrensgang
BVerwG (Beschluss vom 22.01.1988; Aktenzeichen 8 B 95.87) |
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 24.06.1987; Aktenzeichen 14 S 2164/86) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 05.06.1986; Aktenzeichen 3 K 156/85) |
Tatbestand
I.
Das baden-württembergische Gesetz über eine Abgabe zur Förderung des Fremdenverkehrs vom 27. Oktober 19531 ermächtigt Kur- und Fremdenverkehrsgemeinden, zur Förderung des Kurbetriebes des Fremdenverkehrs Abgaben zu erheben, deren Höhe sich nach den besonderen wirtschaftlichen Vorteilen bemißt, die dem Abgabepflichtigen aus dem Kurbetrieb oder Fremdenverkehr erwachsen. Aufgrund dieser Ermächtigung beschloß die Gemeinde Bad Bellingen am 2. Januar 1976 die „Satzung über die Erhebung einer Abgabe zur Förderung des Fremdenverkehrs in der Gemeinde Bad Bellingen”. Gemäß § 1 Abs. 1 dieser Satzung wird die Fremdenverkehrsabgabe von allen natürlichen und juristischen Personen erhoben, denen in der Gemeinde aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr unmittelbar oder mittelbar besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Gemäß § 1 Abs. 2 Buchst. m) sind unter anderem abgabepflichtig freiberuflich Schaffende wie z. B. Ärzte, Zahnärzte,… Steuerberater. Die Abgabe bemißt sich gemäß § 3 Abs. 1 der Satzung nach den besonderen wirtschaftlichen Vorteilen, insbesondere den Mehreinnahmen (Reineinnahmen), die dem Abgabepflichtigen aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr in der Gemeinde erwachsen. Der Abgabepflichtige hat am 1. Juli und 1. Oktober Vorauszahlungen auf seine Abgabeschuld für das jeweilige Rechnungsjahr zu entrichten.
Die Beschwerdeführerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft mit beschränkter Haftung in Bad Bellingen. Die Gemeinde Bad Bellingen erhebt von der Beschwerdeführerin Abgaben zur Förderung des Fremdenverkehrs aufgrund ihrer Satzung. Mit Bescheid vom 21. September 1984 zog die Gemeinde die Beschwerdeführerin für das Jahr 1984 zu einer Fremdenverkehrsabgabenvorauszahlung in Höhe von 200 DM heran.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 10. Oktober 1984 Widerspruch, der durch das zuständige Landratsamt zurückgewiesen wurde. Die Beschwerdeführerin sei abgabepflichtig, weil ihr aus dem Fremdenverkehr mittelbar besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen würden. Die Zahl der auf steuerrechtliche Beratung angewiesenen Steuerpflichtigen und die finanzielle Bedeutung der einzelnen Steuerfälle würden merklich erhöht. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg, die durch Urteil vom 5. Juni 1986 abgewiesen wurde. Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts erhobene Berufung wurde vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 24. Juni 1987 zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung begegnet die Einbeziehung der Personen der steuerberatenden Berufe in den Kreis der Abgabepflichtigen keinen rechtlichen Bedenken. Auch den Angehörigen dieser Berufe könnten besondere (mittelbare) wirtschaftliche Vorteile aus dem Kurbetrieb oder Fremdenverkehr erwachsen. Der besondere wirtschaftliche Vorteil bestehe in erhöhten Verdienst- und Gewinnmöglichkeiten durch den Fremdenverkehr oder den Kurbetrieb einer Gemeinde. Als mittelbarer Vorteil im Sinne der Satzung sei der Nutzen anzusehen, den eine am Fremdenverkehr der Gemeinde nicht unmittelbar beteiligte Person dadurch ziehe, daß sie mit den am Fremdenverkehr unmittelbar beteiligten Kreisen im Rahmen der für den Fremdenverkehr notwendigen Bedarfsdeckung Geschäfte tätige. Zur Abgrenzung von den Vorteilen, die lediglich aus einer durch den Fremdenverkehr bedingten allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung erwachsen würden, müsse der mittelbare Vorteil durch einen typischen und offensichtlichen Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr geprägt sein.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 22. Januar 1988 zurückgewiesen. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Ob die Beschwerdeführerin der Fremdenverkehrsabgabepflicht unterliege, beurteile sich nach der Satzung der Gemeinde Bad Bellingen und damit nach irrevisiblem Landesrecht.
Gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und den Abgabebescheid der Gemeinde Bad Bellingen erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 105 Abs. 2 GG und aus Art. 3 GG. Soweit die Fremdenverkehrsabgabe auch Steuerberater erfasse, verstoße sie gegen Art. 105 Abs. 2 GG. Die Beschwerdeführerin trage in keiner Weise zur Bedarfsdeckung für Fremdenverkehrsgäste bei. Sie betreue vielmehr ausschließlich Einheimische und habe keine besonderen Vorteile, denn sie ziehe lediglich Nutzen aus der Wirtschaftskraft, die infolge des Fremdenverkehrs in der Gemeinde vorhanden sei. Die Fremdenverkehrsabgabe stelle sich für einen Steuerberater als „Sondergewerbesteuer” dar. Die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin verstoße ferner gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführerin unterhalte das einzige Steuerberatungsbüro in Bad Bellingen. Alle übrigen Steuerberater seien nicht in der Gemeinde ansässig und wurden nicht zur Fremdenverkehrsabgabe herangezogen. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß Dienstleistungen mit einer örtlichen Abgabe belegt würden, die nicht örtlich, sondern überörtlich nachgefragt würden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn die von der Beschwerdeführerin angegriffenen Entscheidungen verletzen diese nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
Die Erhebung der Fremdenverkehrsabgabe der Gemeinde Bad Bellingen verstößt nicht gegen Art. 105 Abs. 2 GG, denn es handelt sich nicht um eine Steuer, sondern um einen Beitrag im abgabenrechtlichen Sinne. Die „Satzung über die Erhebung einer Abgabe zur Förderung des Fremdenverkehrs der Gemeinde Bad Bellingen” entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Erhebung einer solchen Abgabe aufgestellt hat.
Die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Fremdenverkehrsabgabe ist im übrigen vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt überprüfbar. Die Auslegung und Anwendung unter verfassungsrechtlichen Normen durch ein Gericht können vom Bundesverfassungsgericht nicht in vollem Umfang, sondern nur daraufhin überprüft werden, ob das Gericht bei seiner Entscheidung Verfassungsrecht verletzt hat. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung objektiv fehlerhaft ist. Der Fehler muß gerade darin liegen, daß Bedeutung und Tragweite der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin verkannt worden sind.
Danach hat die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin keinen Erfolg. Es mag zwar am Maßstab des Abgabenrechts gemessen zweifelhaft sein, ob Steuerberater in der Regel zu den Personen gehören, denen aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr mittelbar besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Soweit die Verwaltungsgerichte diese abgabenrechtliche Frage im vorliegenden Fall bejaht haben, ist jedoch nicht ersichtlich, daß die Gerichte Bedeutung und Tragweite der Grundrechte der Beschwerdeführerin verkannt haben.
Im übrigen ist die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin insoweit begrenzt, als sich gemäß § 3 Abs. 1 der Satzung über die Fremdenverkehrsabgabe Bad Bellingen die Abgabe nach den besonderen wirtschaftlichen Vorteilen, insbesondere den Mehreinnahmen (Reineinnahmen) bemißt, die dem Abgabepflichtigen aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr in der Gemeinde erwachsen. Dies schließt aus, daß die Beschwerdeführerin zu einer Abgabe herangezogen wird, soweit ihre Mehreinnahmen lediglich aus einer allgemeinen Erhöhung der Wirtschaftskraft der von ihr beratenen Personen oder Betriebe resultieren, die diese aus dem Fremdenverkehr ziehen. Die Mehreinnahmen der Beschwerdeführerin müssen vielmehr auf besondere wirtschaftliche Vorteile zurückzuführen sein, die einer ihrer Klienten unmittelbar aus dem Fremdenverkehr zieht. Nur insoweit besteht eine Gegenleistung, die die Erhebung der Fremdenverkehrsabgabe rechtfertigt. Zulässig ist darüber hinaus auch eine Abgabepflicht insoweit, als die Beschwerdeführerin Dienstleistungen gegenüber Fremdenverkehrsgästen erbringt.
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG Dienstleistungen mit einer örtlichen Abgabe zu belegen, die nicht örtlich, sondern überörtlich nachgefragt würden, hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die Fremdenverkehrsabgabe nur von Personen erhoben wird, die in der Gemeinde Bad Bellingen ansässig sind. Die Abgabenhoheit der Gemeinde ist insoweit auf ihr Gemeindegebiet begrenzt.
Auch im übrigen kann nicht festgestellt werden, daß die angegriffenen Entscheidungen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und deshalb verfassungswidrig wären.
Fundstellen