Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung eines höferechtlichen Nachabfindungsanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Die zeitliche Befristung der höferechtlichen Nachabfindungsansprüche ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
HöfeO § 13 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 19.09.2005; Aktenzeichen 7 W 61/05 (L)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung eines höferechtlichen Nachabfindungsanspruchs.
I.
1. a) Die in großen Teilen Deutschlands über Jahrhunderte für die Vererbung von Bauernhöfen geltende Anerbensitte bezweckte, den bäuerlichen Grundbesitz als Wirtschaftseinheit in den Händen der Familie zu erhalten. Deshalb ging der bäuerliche Hof geschlossen auf den “Anerben” über, während die übrigen, die weichenden Erben – in betragsmäßig sehr begrenztem Umfang – abgefunden wurden. Diese Sitte fand unter anderem ihren Niederschlag in der Höfeordnung vom 24. April 1947 (im Folgenden: HöfeO a.F.; ABlMR BrZ S. 505), die in den Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hamburg als unmittelbares Besatzungsrecht Geltung erlangte (zu Einzelheiten vgl. BVerfGE 15, 337 ≪337 bis 339≫).
Nach § 5 HöfeO a.F. waren, soweit der Erblasser keine andere Bestimmung traf, als Hoferben in der ersten Ordnung die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge berufen. In weiteren Ordnungen folgten der Ehegatte, die Eltern und die Geschwister des Erblassers. Nach § 6 Abs. 1 HöfeO a.F. entschied innerhalb der gleichen Ordnung je nach dem in der Gegend geltenden Brauch Ältesten- oder Jüngstenrecht und – bei Fehlen eines solchen Brauches – das Ältestenrecht. Für den Fall, dass der Hoferbe binnen 15 Jahren nach dem Erwerb den Hof oder auch Grundstücke (deren Wert ein Zehntel des Einheitswertes des Hofes überstieg) veräußerte, sah § 13 Abs. 1 und Abs. 2 HöfeO a.F. Nachabfindungsansprüche der weichenden Erben vor.
b) Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Höfeordnung vom 29. März 1976 (ÄG-HöfeO; BGBl I S. 881) wurden unter anderem diese Nachabfindungsansprüche umfassend reformiert. So wurde die Nachabfindungsfrist von 15 auf 20 Jahre verlängert (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO in der seit 1. Juli 1976 geltenden Fassung; im Folgenden: HöfeO). Außerdem knüpft die Berechnung des Anspruchs nicht mehr an den Zeitpunkt des Erwerbs (Übertragung oder Erbfall) an, sondern maßgebend sind nun die vom Hoferben erzielten Erlöse (§ 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO). Der Gesetzgeber ließ sich dabei von der Erwägung leiten, dass die Höfeordnung die ungeteilte Erhaltung des Hofes im Erbgang sicherstellen wolle. Die Privilegierung des Hoferben und das den weichenden Erben zugemutete Opfer fänden hierin ihren rechtfertigenden Grund. Dieser Zweck der Höfeordnung entfalle, wenn der Hoferbe den Hof weiterveräußere. Dann erfordere es die Billigkeit, die weichenden Erben so zu behandeln, als wenn die Hoferbfolge nicht eingetreten und die Miterben infolgedessen am Hof dinglich berechtigt geblieben wären (vgl. BTDrucks 7/1443, S. 26).
Für nicht binnen 15 Jahren vor Verkündung des Gesetzes am 3. April 1976 erfolgte Erbfälle/Übertragungen war gemäß Art. 3 § 5 Abs. 1, § 3 ÄG-HöfeO ein Nachabfindungsanspruch wegen Ablaufs der 15-jährigen Nachabfindungsfrist ausgeschlossen (vgl. Wöhrmann/Stöcker, Das Landwirtschaftserbrecht, 7. Aufl., 1999, § 13 HöfeO Rn. 144 ff.).
2. Die im Jahre 1953 geborene Beschwerdeführerin ist die zweite Tochter des Erblassers. Dieser war Eigentümer eines in Niedersachsen belegenen Hofes im Sinne der Höfeordnung und verstarb am 20. Januar 1954, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Gemäß Hoffolgezeugnis vom 15. März 1954 wurde die im Jahre 1951 geborene ältere Schwester der Beschwerdeführerin Hoferbin. Erben des hoffreien Nachlasses wurden die Ehefrau des Erblassers zu 1/4 und die beiden Töchter zu je 3/8. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation des Hofes erhielt die Beschwerdeführerin keine Abfindung, allerdings wurden ihr aus einem späteren Grundstücksverkauf 16.000 DM ausgezahlt. Den Hof bewirtschaftete zuerst der zweite Ehemann ihrer Mutter, nach dessen Tod wurde der Hof verpachtet. Nachdem sie volljährig geworden war, übernahm die Schwester der Beschwerdeführerin die Bewirtschaftung des Hofes einige Jahre selbst und verpachtete ihn anschließend wieder.
Im Jahre 2003 veräußerte die Schwester gut zwölf Hektar der Hoffläche. Nach Einschätzung der Beschwerdeführerin erzielte sie dabei einen Erlös von über einer Million Euro, an dem sie – die Beschwerdeführerin – partizipieren wollte. Sie beantragte deshalb beim Amtsgericht – Landwirtschaftsgericht –, ihre Schwester gemäß § 13 Abs. 10 HöfeO zur Auskunft über die Rechtsgeschäfte zu verurteilen, mit denen Flächen des Hofes veräußert oder belastet worden sind. Die Schwester berief sich unter anderem auf die 20-jährige Nachabfindungsfrist des § 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO.
Amtsgericht und – auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin – Oberlandesgericht wiesen den Antrag der Beschwerdeführerin zurück. In seinem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss führte das Oberlandesgericht aus, mangels Abfindungsanspruchs gemäß § 13 Abs. 1 HöfeO bestehe auch kein Auskunftsanspruch. Sowohl die 15-jährige Nachabfindungsfrist des § 13 Abs. 1 HöfeO a.F. als auch die 20-jährige des § 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO seien verstrichen. Diese zeitliche Begrenzung sei nicht verfassungswidrig. Sie sichere die persönliche und wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Hoferben als Eigentümer des Hofes und sei aus Gründen der Rechtssicherheit geboten. Mit ihr sei keine wesentliche Verschiebung der Opfergrenze zu Lasten der weichenden Erben verbunden.
Es liege auch kein Sachverhalt vor, bei dem die Anwendung der an sich verfassungsgemäßen Vorschriften zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führe. Denn der Hof sei über die gesamte Dauer der Nachabfindungsfrist dem vom Gesetzgeber gewollten höferechtlichen Zweck gewidmet gewesen. Die rund 50 Jahre nach dem Erbfall eingetretenen Umstände rechtfertigten es nicht, die Beschwerdeführerin in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben am Veräußerungserlös zu beteiligen.
3. In ihrer Verfassungsbeschwerde vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die in § 13 Abs. 1 HöfeO alter und neuer Fassung normierten Nachabfindungs- und Verjährungsfristen verstießen gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Sie akzeptiere die Sondererbfolge als legitime Ausprägung der Sozialbindung. Die dem Hoferben zufallende vermögensrechtliche Besserstellung sei jedoch mit der Auflage versehen, den Hof zu erhalten, und vermittle damit gewissermaßen eine treuhänderische Bindung. Außerhalb des die Sondererbfolge rechtfertigenden Zwecks – also bei Veräußerung des Hofes durch den Hoferben – dürfe die Sozialbindung keine Wirkungen zu Lasten des weichenden Erben entfalten. Das habe das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
1. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG liegt nicht vor, weil die für das Verfahren maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind.
Der Erbfall ereignete sich unter Geltung des § 13 der Höfeordnung in der bis zum 30. Juni 1976 geltenden Fassung. Die 15-jährige Nachabfindungsfrist lief am 20. Januar 1969 ab. Nach den Überleitungsvorschriften der Art. 3 § 5 Abs. 1 und § 3 ÄG-HöfeO konnte damit die Neufassung der Höfeordnung auf die Nachabfindungsansprüche der Beschwerdeführerin nicht zur Anwendung kommen.
Zu den damit allein einschlägigen besatzungsrechtlichen Vorschriften der Höfeordnung für die britische Zone hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass seine Verwerfungskompetenz insoweit ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 15, 337). Es hat jedoch zu überprüfen, ob der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, mit dem Grundgesetz unvereinbare besatzungsrechtliche Normen aufzuheben oder zu ändern und eine dem Grundgesetz entsprechende Rechtsordnung zu schaffen, innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 15, 337 ≪350≫).
Darüber hinaus hat sich das Bundesverfassungsgericht auch inhaltlich bereits mit § 13 HöfeO a.F. befasst. Danach kann die Vorschrift zum einen bewirken, dass der Hof nicht übereilt aus der Familienhand gegeben wird, zum anderen sichert sie die persönliche und wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Hoferben als Eigentümer des Hofes. Die zeitliche Begrenzung der ausgleichspflichtigen Tatbestände ist Folge dieser höferechtlichen Zweckbestimmung (vgl. BVerfGE 67, 329 ≪346≫). Eine Veranlassung der Fachgerichte, die Angemessenheit der Regelung verfassungsrechtlich in Frage zu stellen, besteht nicht (vgl. a.a.O. ≪347≫). Dem entspricht auch die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur 20-Jahres-Frist des § 13 Abs. 1 Satz 1 HöfeO (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 1987 – 1 BvR 772/86 – AgrarR 1987, S. 222).
Ob und in welchem Ausmaß der Gesetzgeber Umgehungsgefahren begegnet, steht in seinem Ermessen. Verfassungsrechtlich ist nicht zu beanstanden, wenn er es der Rechtsprechung überlässt, nach Treu und Glauben rechtsmissbräuchlichen Umgehungsabsichten hinsichtlich des vom Gesetzgeber vorgegebenen Interessenausgleichs unter Berücksichtigung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 67, 329 ≪347≫).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht hat.
a) Hinsichtlich des auf die Nachabfindungsansprüche der Beschwerdeführerin allein anwendbaren § 13 Abs. 1 HöfeO a.F. besteht bereits keine Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts. Es ist auch weder ersichtlich noch wird es von der Beschwerdeführerin behauptet oder gar ausgeführt, dass – selbst wenn man die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachte Unvereinbarkeit der Nachabfindungsfrist mit Art. 14 Abs. 1 GG als gegeben unterstellt – der Gesetzgeber insoweit für den maßgeblichen Zeitraum (nämlich bis zum Jahr 1969) in einer die Anwendbarkeit der Norm hindernden Art und Weise gegen seine Pflicht verstoßen hätte, Grundgesetzwidrigkeiten binnen angemessener Frist zu beseitigen.
Für die Bemessung der ihm hierfür zur Verfügung stehenden Frist ist von Bedeutung, ob die Verfassungswidrigkeit einer Norm unbestritten ist und ob ihre Beseitigung durch einfache Aufhebung der verfassungswidrigen Norm erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 15, 337 ≪351≫). Beide Voraussetzungen lagen nicht vor. Dass eine Verfassungswidrigkeit der 15-Jahres-Frist von maßgeblichen Literaturstimmen oder gar in der Rechtsprechung zum damaligen Zeitpunkt vertreten wurde, behauptet weder die Beschwerdeführerin noch ist es anderweit ersichtlich. Selbst nach den Vorstellungen der Beschwerdeführerin soll die Frist nicht gänzlich entfallen, sondern nur zu Lebzeiten der weichenden Erben keine Geltung haben, mithin also nicht einfach aufgehoben werden.
Eine Verfassungswidrigkeit der Übergangsregelung des Art. 3 § 5 Abs. 1 ÄG-HöfeO deswegen, weil sie die durch § 13 Abs. 1 HöfeO a.F. als bereits verfristet ausgeschlossenen Nachabfindungsansprüche nicht wieder aufleben ließ, ist ebenfalls nicht erkennbar.
b) Zudem fehlt es an der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verletzung ihres grundrechtlich geschützten Erbrechts. Die zeitliche Befristung der Nachabfindungsansprüche ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 67, 329 ≪347≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 1987, a.a.O.). Ein Umgehungsgeschäft, das trotz Verfristung möglicherweise einen Nachabfindungsanspruch der Beschwerdeführerin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben begründen könnte, lag evident nicht vor und wird mit der Verfassungsbeschwerde auch nicht behauptet.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
WM 2006, 824 |
AuUR 2006, 390 |