Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Verfassungsbeschwerdefrist. Anforderungen an die Revisionsbegründung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Monatsfrist für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde wird durch ein offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel und die darauf ergehende gerichtliche Entscheidung nicht neu in Lauf gesetzt.

2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der BFH den Zweck der in § 120 Abs. 1 bzw. Abs. 2 FGO getroffenen Regelung darin sieht, daß das Revisionsgericht entlastet und der Revisionskläger gezwungen werden soll, Inhalt und Umfang des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen. Die Revisionsbegründung muß hiernach innerhalb der Revisionsbegründungsfrist insbesondere erkennen lassen, daß der Revisionskläger anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat.

Diese Auslegung verstößt auch nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG; aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs läßt sich auch nicht die Verpflichtung des Gerichts ableiten, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, die Mängel in der Revisionsbegründungsschrift innerhalb der Frist zu beseitigen.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; BVerfGG § 93 Abs. 1 S. 1; FGO § 120 Abs. 1-2, §§ 124, 126

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 28.11.1988; Aktenzeichen IV R 9/87)

Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 23.10.1986; Aktenzeichen II 301/86)

 

Gründe

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Finanzgerichts bzw. gegen den Einkommensteuerbescheid 1983 in der Fassung der Einspruchsentscheidung richtet, denn die Beschwerdeführer haben die Monatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG versäumt.

Die Monatsfrist wird durch Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels und darauf ergehende gerichtliche Entscheidungen nicht neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerfGE 5, 17 ≪19 f.≫; 69, 233 ≪241≫; st. Rspr.). Offensichtlich unzulässig ist das Rechtsmittel dann, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über die Unzulässigkeit nicht im ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 ≪6≫; 48, 341 ≪344≫; 49, 252 ≪255≫).

Der Bundesfinanzhof sieht den Zweck der in § 120 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) getroffenen Regelung darin, daß das Revisionsgericht entlastet und der Revisionskläger gezwungen werden soll, Inhalt und Umfang des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen. Die Revisionsbegründung muß hiernach innerhalb der Revisionsbegründungsfrist insbesondere erkennen lassen, daß der Revisionskläger anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat. Genügt die Revision diesen Anforderungen nicht, so wird sie nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als unzulässig verworfen (vgl. Ruban in: Gräber, FGO-Komm., 2. Aufl., 1987, § 120 Rdnr. 32 m.w.N.).

Die Begründung der von den Beschwerdeführern eingelegten Revision genügt offensichtlich nicht diesen Anforderungen. Dies hätten die Beschwerdeführer auch ohne weiteres erkennen können (vgl. BVerfGE 48, 341 ≪344 ff.≫).

2. Soweit die Beschwerdeführer sich gegen den Verwerfungsbeschluß des Bundesfinanzhofs wenden, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, hat jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der vom Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung vertretene Ansatz begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Gesetzgeber kann ohne Verfassungsverstoß die Zulassung der Revision an bestimmte gesetzliche Vorgaben knüpfen, insbesondere kann er die Einhaltung bestimmter Fristen zur Begründung eines Rechtsmittels festlegen (vgl. etwa BVerfGE 10, 264 ≪267 f.≫; 65, 76 ≪90 f.≫). Anders liegen die Dinge nur, wenn die gesetzlichen Bestimmungen in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof die Wahrnehmung der Revisionsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren würden (vgl. etwa BVerfGE 10, 264 ≪268≫; 40, 272 ≪274 f.≫; vgl. auch BVerfGE 58, 369 ≪374≫). Davon kann jedoch keine Rede sein. Der rechtliche Ansatz des Bundesfinanzhofs dient einer beschleunigten und sachgerechten Abwicklung des Revisionsverfahrens, indem durch präzise und rechtlich durchdachte Darstellung des Streitstoffes dem Revisionsgericht überflüssige Arbeit erspart werden soll. Die dadurch bewirkte Erschwerung des Zugangs zur Revisionsinstanz ist sachlich gerechtfertigt und dem Beteiligten auch zumutbar. Diese an den Zwecken des Revisionsverfahrens ausgerichtete Auslegung der einschlägigen prozeßrechtlichen Vorschrift verstößt insbesondere auch nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, denn die Bestimmung schließt nicht aus, daß ein Gericht das sachliche Vorbringen eines Beteiligten aus prozeßrechtlichen Gründen unberücksichtigt läßt (vgl. etwa BVerfGE 40, 101 ≪105≫).

Ebenso geht der Hinweis auf § 344 Strafprozeßordnung fehl. Der Gesetzgeber hat weitgehende Freiheit, den jeweiligen Zugang zum Rechtsmittelgericht wie den Verfahrensgang nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten (vgl. BVerfGE 65, 76, ≪91≫); dementsprechend können auch die Gerichte unterschiedliche Anforderungen stellen (vgl. BVerfGE 58, 369 ≪374≫). Entscheidend ist, daß die Regeln über den Zugang zu Rechtsmittelgerichten möglichst klar erkennbar und bestimmt gehalten sind. Denn sie legen fest, in welchen Grenzen und auf welche Weise ein Beteiligter sein Recht suchen kann (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪292 f.≫). Da es hier um die Anwendung einer ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geht, kann hierin keine unzumutbare Beschränkung des Anspruchs des Bürgers auf berechenbaren Zugang zum Revisionsgericht gesehen werden (vgl. BVerfGE 79, 372 ≪376 f.≫).

Schließlich ist die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs auch insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, als das Gericht den Beschwerdeführern keine Gelegenheit gegeben hat, die Mängel in der Revisionsbegründungsschrift innerhalb der Frist zu beseitigen, denn Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht dazu, die Prozeßbeteiligten vor einer beabsichtigten Rechtsentscheidung über diese zu hören, weil sich aus Art. 103 Abs. 1 GG eine umfassende Aufklärungs- oder Hinweispflicht der Fachgerichte nicht herleiten läßt (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪147≫; 67, 90 ≪96≫).

Entsprechendes gilt für den Grundsatz des fairen Verfahrens: Wenn sich hieraus schon für den Regelfall ergibt, daß ein Gericht nicht verpflichtet ist, auf eine beabsichtigte Änderung der Rechtsprechung hinzuweisen (vgl. BVerfGE 78, 123 ≪126 f.≫), so kann hieraus erst recht keine Hinweispflicht abgeleitet werden, wenn das Gericht eine ständige Rechtsprechung anwendet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1521075

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge