Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichsgesetz über den Finanzausgleich. unzulässige Richtervorlage zur Fortgeltung als Bundesrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Gerichtliche Vorlagen nach § 86 Abs. 2 BVerfGG sind nur über das zuständige obere Bundesgericht zu leiten.
2. Gutachten des weiterleitenden Gerichts zur Vorlage (§ 80 Abs. 1 BVerfGG) sind unzulässig.
3. Bei Gerichtsvorlagen gemäß § 86 Abs. 2 BVerfGG ist dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Landesregierungen und dem Landtag des unmittelbar betroffenen Landes Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
4. Im Verfahren nach § 86 Abs. 2, § 89 BVerfGG ist nicht zu entscheiden, seit wann Recht als Bundesrecht fortgilt.
5. Streitig im Sinne des § 86 Abs. 2 BVerfGG ist die Rechtsfrage, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, nur dann, wenn das erkennende Gericht sie für ernstlich zweifelhaft hält.
Leitsatz (redaktionell)
Zur Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Wohnungsbauabgabe bei etwaiger Weitergeltung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden.
Normenkette
GG Art. 100 Abs. 1, Art. 126; BVerfGG § 80 Abs. 1, §§ 82, 86, 88-89; RFAG § 17b
Gründe
A.
I. Der Steuerberater Dr. W. M. in Bingen ist auf Grund des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Erhebung einer Wohnungsbauabgabe vom 28. Juli 1949 (GVBl. S. 283) zur Wohnungsbauabgabe herangezogen worden. Er hat dagegen Rechtsbeschwerde zum Finanzgericht Rheinland-Pfalz erhoben und geltend gemacht, dieses Gesetz sei unwirksam, weil der durch § 27 Ziff. 3 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl. I S. 961) eingefügte § 17 b des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (Finanzausgleichsgesetz) – RFAG –, der Steuern auf Wohnraum verbietet, mit Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 Bundesrecht geworden und demzufolge das Land zum Erlaß des Wohnungsbauabgabengesetzes nicht mehr befugt gewesen sei. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz meint, § 17 b RFAG stehe dem Erlaß dieses Gesetzes nicht entgegen, weil Art. 125 GG allgemein die Umwandlung in Bundesrecht erst seit dem ersten Zusammentreten des Bundestags am 7. September 1949 bewirke und somit § 17 b RFAG bis dahin zur Verfügung des Landesgesetzgebers gestanden habe. Das Gericht hat deshalb das Verfahren gemäß § 86 Abs. 2 BVerfG ausgesetzt und die Akten dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob § 17 b RFAG seit dem 23. Mai 1949 oder seit dem 7. September 1949 als Bundesrecht fortgilt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Akten dem Bundesfinanzhof zur Kenntnisnahme zugeleitet.
II. Dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den gesetzgebenden Körperschaften sämtlicher Länder und sämtlichen Landesregierungen ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.
III. Das Bundesverfassungsgericht hat gemäß § 24 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung entschieden, da es die Vorlage einstimmig für unzulässig hält.
B.
Der Antrag erstrebt eine Entscheidung über das Fortgelten als Bundesrecht gemäß § 86 Abs. 2 BVerfGG. Somit gelten für die Anhörung und den Vorlageweg die Vorschriften über Gerichtsvorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG entsprechend (§§ 88, 82, 77 BVerfGG) bzw. sinngemäß (§ 86 Abs. 2, § 80 Abs. 1 BVerfGG). Anhörung und Vorlageweg sind jedoch im Falle des Art. 100 Abs. 1 GG verschieden geregelt, je nachdem es sich um die Vereinbarkeit von Bundesrecht oder von Landesrecht mit dem Grundgesetz handelt.
I. Für die Anhörung bestimmt § 77 BVerfGG, daß dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung, bei Meinungsverschiedenheiten über Bundesrecht auch den Landesregierungen und bei Meinungsverschiedenheiten über Landesrecht auch dem Landtag und der Regierung des Landes, in dem die Norm verkündet wurde, Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist.
1. Da nach § 86 Abs. 2 BVerfGG nur darüber zu entscheiden ist, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt (§ 89 BVerfGG), nicht jedoch darüber, ob es als Bundesrecht oder als Landesrecht fortgilt (BVerfGE 1, 162 [164 f.]), sind zunächst nur diejenigen Verfassungsorgane anzuhören, denen im Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG bei der Entscheidung über Bundesrecht Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden muß; es sind daher neben dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung auch sämtliche Landesregierungen zu hören.
2. Das Verfahren nach § 86 Abs. 2 BVerfGG berührt jedoch mittelbar auch Landesrecht. Wird nämlich das Fortgelten einer Norm als Bundesrecht bejaht, so wird damit insoweit zugleich ihr Fortgelten als Landesrecht verneint. Dabei ist es unerheblich, ob die zur Prüfung gestellte Norm ursprünglich Landesrecht oder Recht eines weiteren Bereichs (Reich, Zone, Preußen) war; denn auch dieses Recht würde sich, wenn es nicht nach Art. 124, 125 GG Bundesrecht geworden wäre, in Landesrecht verwandelt haben. Infolge dieser mittelbaren Einwirkung auf das Landesrecht verlangt die entsprechende Anwendung des § 77 BVerfGG auch die Anhörung der gesetzgebenden Körperschaft desjenigen Landes, für dessen Gebiet die Qualität der Norm als Bundes- oder Landesrecht zweifelhaft geworden ist.
3. Dagegen brauchen die gesetzgebenden Körperschaften der anderen Länder, in denen dieselbe Norm möglicherweise gilt, nicht gehört zu werden; denn die Gerichtsvorlage nach § 86 Abs. 2 BVerfGG bezweckt lediglich eine Klärung der für den Rechtsstreit allein erheblichen Frage, ob eine Norm innerhalb eines bestimmten Gebietes als Bundesrecht fortgilt. Eine darüber hinausgehende „einheitliche” Entscheidung für „das gesamte Bundesgebiet” (§ 89 BVerfGG) kommt daher für die Verfahren des § 86 Abs. 2 BVerfGG nicht in Betracht.
Die Anhörung der gesetzgebenden Körperschaften der anderen Länder ist auch nicht deshalb erforderlich, weil die Entscheidung nach § 86 Abs. 2, § 89 BVerfGG auch für ihr Gebiet präjudizielle Bedeutung haben kann; denn im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kommt es ebenso wie im allgemeinen Prozeßrecht nur darauf an, wer von der Entscheidungsformel betroffen wird.
II. Für den Vorlageweg bestimmt § 80 Abs. 1 BVerfGG, auf den § 86 Abs. 2 BVerfGG verweist, daß die oberen Bundesgerichte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar, die übrigen Gerichte über das zuständige obere Bundesgericht und nur, soweit es sich um Landesrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes einholen müssen.
1. Hier kommen für eine sinngemäße Anwendung lediglich die Vorschriften über Bundesrecht in Betracht, über das allein zu entscheiden ist (BVerfGE 1, 162 [164 f.]); denn das Landesrecht wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur dann betroffen – nämlich mittelbar ausgeschlossen –, wenn es sich in Wahrheit um Bundesrecht handelt. Demzufolge hat der – rein formelle – Vorlageweg nur über das obere Bundesgericht zu gehen.
2. Das oberste Gericht des Landes wäre allenfalls dann in den Vorlageweg einzuschalten, wenn es ebenso wie die nach § 77 BVerfGG anzuhörenden Landesorgane über den Bestand des Landesrechts zu wachen hätte. Ein Gericht hat aber das geltende Recht anzuwenden und nicht ein bestimmtes Interesse an der Qualifikation des Rechts als Bundesrecht oder Landesrecht wahrzunehmen.
3. § 86 Abs. 2, § 80 Abs. 1 BVerfGG hat ersichtlich nicht bezweckt, das zuständige oberste Gericht des Landes über alle in seinem Bezirk anfallenden Gerichtsvorlagen zu unterrichten. Sonst hätte das oberste Landesgericht auch bei Vorlagen über Bundesrecht beteiligt werden müssen, da die meisten dieser Gerichte mit Bundesrecht ebensoviel oder mehr befaßt sind als mit Landesrecht.
4. Die Vorlage über das obere Bundesgericht und zugleich über das oberste Gericht des Landes ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn der Weg über bestimmte Gerichte dazu dienen sollte, ihnen – und somit auch dem Landesgericht in bezug auf Landesrecht – Gelegenheit zu einer gutachtlichen Äußerung zu geben. Diese – im vorliegenden Verfahren von der Landesregierung Rheinland-Pfalz vertretene – Rechtsauffassung trifft jedoch nicht zu.
Allerdings hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in dem Rundschreiben vom 7. November 1951 – 3000 – 129/51 – (abgedruckt bei Lechner, BVerfGG, 1954, S. 246) eine Stellungnahme der oberen Bundesgerichte als wünschenswert bezeichnet, und das Bundesverfassungsgericht hat sie in BVerfGE 2, 136 (138) wenigstens für möglich gehalten. Diese Rechtsauffassung kann jedoch bei erneuter Prüfung nicht aufrechterhalten werden. Gutachtliche Äußerungen der weiterleitenden Gerichte sind vielmehr unzulässig.
a) Nach dem Grundgesetz ist es Aufgabe der Gerichte, Recht zu sprechen (Art. 92 GG), also im einzelnen Rechtssachen mit verbindlicher Wirkung zu entscheiden, und zwar in Verfahren in denen durch Gesetz die erforderlichen prozessualen Sicherungen gewährleistet sind und der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör besteht. Dagegen kann die dem Wesen der Rechtsprechung fremde Aufgabe, sich als Rechtsprechungsorgan in einer einzelnen Rechtssache zu Rechtsfragen gutachtlich zu äußern, einem Gericht nur ausdrücklich durch Gesetz übertragen werden. Ist das nicht geschehen, so kann aus dem Schweigen des Gesetzes weder eine Pflicht des Gerichts noch gar eine – nach seinem Ermessen auszuübende – Befugnis zur Erstattung von Rechtsgutachten hergeleitet werden. Insbesondere ist es mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung mit der Stellung eines Gerichts unvereinbar, daß es sich als Rechtsprechungsorgan in einem anhängigen Verfahren nach seinem eigenen Ermessen zu solchen Rechtsfragen gutachtlich äußert, deren richterliche Entscheidung in dem betreffenden Verfahren ihm kraft Gesetzes entzogen ist. Gerade das aber gilt für die weiterleitenden Gerichte im Vorlageverfahren nach § 80 Abs. 1 BVerfGG.
b) Für die richterliche Normenkontrolle hat Art. 100 Abs. 1 GG die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts unter Ausschluß jedes Instanzenzuges vorgesehen. Das Grundgesetz ist damit von der Regelung der beiden unter der Weimarer Verfassung vorgelegten Regierungsentwürfe zu einem Gesetz über die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Reichsrechts (Reichstag III/1926 Drucks. Nr. 2855; IV/1928 Drucks. Nr. 382) deutlich abgewichen. Jene Entwürfe räumten die Befugnis zu unmittelbarer Anrufung des Staatsgerichtshofs nur dem Reichsgericht, anderen höchsten Gerichten und den Oberlandesgerichten ein, während die übrigen Gerichte ihre Rechtsauffassung einem übergeordneten Gericht vorzulegen hatten und an dessen etwa abweichende Meinung gebunden waren.
Demgegenüber hat das Grundgesetz zugunsten einer ohne Umweg herbeizuführenden gesetzeskräftigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darauf verzichtet, die im Instanzenzuge übergeordneten Gerichte in das richterliche Normenkontrollverfahren einzuschalten. § 80 Abs. 1 BVerfGG enthält folgerichtig keine Bestimmung darüber, daß die weiterleitenden Gerichte in die sachliche Prüfung der zu entscheidenden verfassungsrechtlichen Fragen als Gutachter eingeschaltet werden sollen. Aus dem Schweigen des den Art. 100 Abs. 1 GG ausführenden § 80 Abs. 1 BVerfGG folgt also die Unzulässigkeit solcher den Gerichten wesensfremden Gutachten. Diese Auffassung wird dadurch unterstützt, daß bisher noch nie eine Pflicht der weiterleitenden Gerichte zur Erstattung von Rechtsgutachten angenommen worden ist.
c) Seinem Inhalt nach will § 80 Abs. 1 BVerfGG, indem er den Antrag durch ein Gericht als solches und nicht durch eine Verwaltungsbehörde weiterleiten läßt, vermeiden, daß Regierung und Verwaltung die Rechtsprechung beeinflussen (BVerfGE 1, 184 [189]). Damit ist aber nicht umgekehrt ausgesprochen, daß dem weiterleitenden Gericht ein solcher Einfluß zukomme. Es muß vielmehr den Antrag auch dann vorlegen, wenn es mit ihm nicht einverstanden ist (BVerfGE 2, 136 [138]). Dem Sinn des § 80 Abs. 1 BVerfGG entspricht es aber auch nicht, daß die weiterleitenden Gerichte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch ein Gutachten über die verfassungsrechtliche Frage vorbereiten.
d) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht bestätigt diese Auffassung:
Die Entwürfe der Bundesregierung (BT I/1949 Drucks. Nr. 788 § 73) und der Fraktion der SPD (BT I/1949 Drucks. Nr. 328 § 40) sahen nicht eine Weiterleitung durch Gerichte, sondern auf dem Dienstweg über den Präsidenten des übergeordneten oberen Bundesgerichts vor, während der Bundesrat (Anl. 2 zu BT I/1949 Drucks. Nr. 788) die Beteiligung der Präsidenten der oberen Bundesgerichte nicht für erforderlich hielt, wohl aber den Dienstweg über die obersten Landesjustizbehörden für selbstverständlich erachtete.
Dagegen erhoben sich in den Beratungen des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Bundestags erhebliche Bedenken. Alle Mitglieder des für die Beratung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eingesetzten Unterausschusses hielten es, wie der Regierungsvertreter in der Sitzung des Rechtsausschusses mitteilte (Kurzprot. 73. Sitzung), für unrichtig, die Landesjustizverwaltung einzuschalten, weil gerade verhindert werden solle, daß „der Präsident oder irgendeine Justizverwaltungsstelle den Richter unter Druck setzen” könne. Nur deshalb also, weil jeder Einfluß der Justizverwaltung ausgeschaltet, andererseits aber die unmittelbare Vorlage der unteren Gerichte der Länder vermieden werden sollte, wurde der Vorlageweg über die oberen Bundesgerichte oder die obersten Gerichte der Länder vorgesehen.
In diesem Zusammenhang wies der Regierungsvertreter darauf hin, daß „ein echtes Bedürfnis der oberen Bundesgerichte bestehe, über die Schwierigkeiten ins Bild gesetzt zu werden, die hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen bei den unteren Gerichten aufgetreten seien”. Die nunmehr erst auftretende Frage, ob die weiterleitenden Gerichte sich ihrerseits zur Vorlage äußern sollten oder dürften, war jedoch alsbald umstritten. Besonders die Abgeordneten Neumayer und Wackerzapp und der Vertreter des Bundesrats wandten sich gegen die Zulässigkeit solcher Äußerungen, und zwar der Abgeordnete Neumayer mit dem mehrfachen Hinweis darauf, solche Äußerungen seien bisher überhaupt nicht erwogen worden. Der Vertreter des Bundesrats hielt es für untragbar, daß eine mit der Sache nicht befaßte Instanz sich vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in richterlicher Eigenschaft äußern dürfe; käme es aber nur darauf an, dem Bundesverfassungsgericht Material zugehen zu lassen, so sei nicht ersichtlich, weshalb dann die Weiterleitung nur über die höchsten Gerichte und nicht – zwecks umfassender Materialbeschaffung – im Instanzenzuge erfolgen solle. Lediglich der Abgeordnete Ewers befürwortete eine Äußerung der weiterleitenden Gerichte, jedoch mit der irrigen Begründung, sie seien „sowieso im Instanzenzug berufen, diese Rechtsfrage nachzuprüfen”. Später hat er sich ausdrücklich dahin berichtigt, daß ein im Verfahren „nicht zuständiges Gericht…die oberste Instanz nicht präjudizieren” dürfe. Dagegen haben die Regierungsvertreter eine Äußerungsmöglichkeit der weiterleitenden Gerichte für zweckmäßig gehalten, dabei jedoch offensichtlich nur an kurze berichtigende Klarstellungen und an Materialbeschaffung gedacht. Der Abgeordnete Ewers bemerkte ergänzend, es solle dem oberen Bundesgericht möglich sein, etwa auf das „völlig Abwegige der Auffassung” des vorlegenden Richters hinzuweisen. Diese Ansicht fand keine Unterstützung.
e) Wie die Entstehungsgeschichte ergibt, hat sich also der Gesetzgeber nicht dazu entschlossen, die weiterleitenden Gerichte zu gutachtlichen Äußerungen zu ermächtigen. Keinesfalls hat er damit gerechnet, daß die weiterleitenden Gerichte in besonders bestimmten Senaten die verfassungsrechtliche Frage eingehend vorprüfen, begutachten und ihre Gutachten nach Art richterlicher Entscheidungen veröffentlichen würden; denn das würde der Tendenz zur Beschleunigung widersprochen haben, die Art. 100 Abs. 1 GG durch die Bestimmung über die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zugleich erreichen wollte. Die Praxis hat denn auch ergeben, daß zahlreiche Gerichtsvorlagen wegen der für die Erstattung von Gutachten erforderlichen Zeit erst nach mehr als einem halben Jahr, in einigen Fällen sogar erst nach einem Jahr an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet worden sind. Die Veröffentlichung der Gutachten führt außerdem zwangsläufig dazu, daß diese Gutachten vielfach irrigerweise als höchstrichterliche Entscheidungen angesehen werden. Daraus ergibt sich eine weitere Gefahr: Entscheidet das Bundesverfassungsgericht anders, als das Gutachten vorgeschlagen hatte, so liegen für die Öffentlichkeit voneinander abweichende „Entscheidungen” höchster Gerichte vor, die von den Interessenten gegeneinander ausgespielt werden können. Diese Folge ist nicht nur justizpolitisch, nämlich in ihren Auswirkungen auf das Ansehen der höchsten Gerichte, unerwünscht, sondern widerspricht eindeutig der mit Art. 100 Abs. 1 GG erstrebten Konzentration zu einer gesetzeskräftigen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. Welche Unzuträglichkeiten derartige Irrtümer besonders für die staatliche Verwaltung zur Folge haben können, ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus einer Veröffentlichung des Bundesverkehrsministeriums im Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vom 18. August 1955 (S. 1292; vgl. auch Betriebsberater 1955 S. 553). Dort mußte gegenüber dem in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, daß durch ein veröffentlichtes Gutachten des Bundesgerichtshofs die Verfassungswidrigkeit der Kontingentierung im Güterfernverkehr nach Art. 12 GG endgültig festgestellt sei, ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß das Gutachten des Bundesgerichtshofs keine höchstrichterliche Entscheidung sei, sondern die verfassungsrechtliche Frage allein vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden könne.
5. Gutachtliche Äußerungen der weiterleitenden Gerichte sind somit unzulässig. Auch mit der Erwägung, die obersten Landesgerichte müßten sich zur Vorlage gutachtlich äußern können, kann der Vorlageweg über sie nicht gerechtfertigt werden. Im Fall des § 86 Abs. 2 BVerfGG ist vielmehr stets nur über das zuständige obere Bundesgericht vorzulegen.
6. Das Finanzgericht hätte also die Vorlage über den Bundesfinanzhof leiten müssen. Dieser Mangel ist aber dadurch geheilt, daß das Bundesverfassungsgericht ihm die Akten nachträglich zugeleitet hat (BVerfGE 2, 124 [127]; 3, 352 [356]).
C.
I. Die Vorlage ist unzulässig, denn im Verfahren gemäß § 86 Abs. 2 BVerfGG kann nur entschieden werden, ob ein Gesetz überhaupt als Bundesrecht fortgilt, nicht aber, seit wann dies der Fall ist.
1. Der Gesetzgeber hat § 86 Abs. 2 BVerfGG im Hinblick auf Art. 126 GG erlassen und mit den unzweifelhaft diesem Artikel zugehörigen Fällen des § 86 Abs. 1 BVerfGG gemeinsam behandelt. Somit kann dahingestellt bleiben, ob § 86 Abs. 2 BVerfGG, wonach ein Gericht bei Streit über das Fortgelten einer Norm als Bundesrecht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen muß, durch Art. 126 GG gefordert war, oder ob es sich um eine auf Grund der Ermächtigung des Art. 93 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht übertragene Aufgabe handelt. Jedenfalls sollte § 86 Abs. 2 BVerfGG inhaltlich nicht weiter gehen als Art. 126 GG und mit ihm § 86 Abs. 1 BVerfGG. Art. 126 GG weist indessen nur die Meinungsverschiedenheiten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu, die sich aus der Anwendung der Art. 124, 125 GG ergeben. Diese Vorschriften bestimmen aber nur, ob ein Gesetz Bundesrecht geworden ist.
2. Der Zeitpunkt, zu dem eine Norm sich gegebenenfalls in Bundesrecht verwandelt hat, ist für alle Gesetze derselbe. Hätte der Grundgesetzgeber Meinungsverschiedenheiten darüber vorausgesehen, so hätte er sie durch eine eindeutige Vorschrift leicht vermieden. Folglich kann er die Meinungsverschiedenheit darüber nicht als eine solche über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht angesehen haben. Art. 126 GG braucht auch nicht erweiternd ausgelegt zu werden, denn nunmehr ist allgemein anerkannt, daß Bundesrecht erst mit dem ersten Zusammentreten des Bundestags am 7. September 1949 entstanden ist (vgl. BVerfGE 2, 136 [139]; 4, 74 [83]; 4, 178 [184]).
II. Die danach allein zulässige Frage, ob § 17 b RFAG, soweit er Wohnraumsteuern verbietet, überhaupt Bundesrecht geworden ist, erscheint nach der Begründung des Vorlagebeschlusses (§ 86 Abs. 2, § 80 Abs. 2 BVerfGG) nicht erheblich. Sollte sie sich trotzdem im weiteren Verfahren als erheblich herausstellen, so wird das Finanzgericht bei einer erneuten Vorlage zu beachten haben, daß der Begriff der streitigen Rechtsfrage im Sinne des § 86 Abs. 2 BVerfGG nicht auf irgendwelche formalen subjektiven Meinungsverschiedenheiten abstellt, sondern darauf, daß das verfassungsrechtliche Problem objektiv „streitig”, also zweifelhaft ist.
1. Auch bei Auslegung dieses Begriffs kann dahingestellt bleiben, ob § 86 Abs. 2 BVerfGG ein Anwendungsfall des Art. 126 GG ist oder auf Art. 93 Abs. 2 GG beruht. Jedenfalls darf dem Art. 126 GG nicht unterstellt werden, daß jede beliebige Meinungsverschiedenheit, zwischen wem sie auch aufgetreten sein möge, einen Antrag an das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt. Wird Art. 100 Abs. 1 GG als Auslegungshilfe herangezogen, so ergibt sich, daß es allein auf die Meinung des Gerichts ankommt. Dasselbe folgt aus § 80 Abs. 3 BVerfGG, auf den § 86 Abs. 2 BVerfGG verweist. Weder Art. 126 GG noch § 86 Abs. 2 BVerfGG haben den herkömmlichen Grundsatz ändern wollen, daß das Gericht das Recht zu finden hat und daß die Parteien ihm nur die dazu erforderlichen Tatsachen vorzutragen brauchen. Dieser Gedanke liegt auch Art. 100 Abs. 1 GG zugrunde. Art. 100 Abs. 2 GG erfordert ausdrücklich Zweifel über die Rechtsfrage. Dasselbe gilt aber auch für § 86 Abs. 2 BVerfGG.
2. Daher kann es auf einen „Streit” der Parteien über die Rechtsfrage nicht ankommen. Die Parteien müssen zwar vor dem vorlegenden Gericht ihre Ansprüche und Gegenrechte geltend machen, sind aber grundsätzlich zu Rechtsausführungen nicht verpflichtet. Unterlassen sie diese, so dürfen sie damit nicht schlechter stehen, als wenn sie solche gemacht hätten. Ebenso reicht ein Streit der wissenschaftlichen Meinungen – als formales Erfordernis – nicht aus, mag an ihm auch zu erkennen sein, daß die Rechtsfrage ernstlich zweifelhaft ist (vgl. hierzu BGHZ 11, 118).
3. Streitig im Sinne des § 86 Abs. 2 BVerfGG ist daher die Rechtsfrage, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, nur dann, wenn das erkennende Gericht sie bei Abwägung der für und wider sprechenden Gesichtspunkte für ernstlich zweifelhaft hält. Dafür genügt es nicht, daß innerhalb des Gerichts verschiedene Meinungen vertreten werden. Maßgebend ist allein, ob das Gericht als solches ernstliche Zweifel hegt.
Fundstellen
BVerfGE 4, 358 |
BVerfGE, 358 |
VerwRspr 1956, 268 |
VerwRspr 1956, 61 |