Dr. Walter Schmidt, Dipl.-Ing. Rainer Vieregge
Prozesse brauchen die richtige Kultur und Einstellung
In Abschn. 5 wurden die Aspekte der Kultur im Unternehmen dargestellt. Alle diese Aspekte lassen sich auf die Gestaltung und Steuerung von Prozessen anwenden. Insbesondere die Verlässlichkeitskultur hebt darauf ab, dass wir uns im Unternehmen Regeln geben und diese auch verlässlich einhalten.
Prozesse brauchen Verlässlichkeit
Prozesse sind die Regeln der Zusammenarbeit im Unternehmen. Es ist wichtig, dass die Prozessdefinitionen immer den tatsächlich gewollten und gelebten Abläufen entsprechen und nicht nur Akten füllende Bilder und Tabellen sind. Wenn dies jedoch gegeben ist, muss man erwarten können, dass diese Prozesse auch eingehalten werden. Insbesondere in größeren, komplexeren Unternehmen kann es auf Dauer nicht funktionieren, dass jeder Mitarbeiter Geschäftsvorfälle nach seiner Vorstellung bearbeitet. Wenn Prozesse definiert sind, muss es die Kultur im Unternehmen geben, dass diese auch als "Spielregeln" im Alltag gelten und durchgesetzt werden – Verlässlichkeit verlangt Konsequenz.
Prozesse brauchen Innovation
Prozesse müssen zudem stets innoviert werden. Eine Inventions- und eine Lernkultur im Unternehmen kommen dieser Forderung entgegen. Prozesse müssen an die sich immer weiter verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden, u. a. an geänderte Kundenanforderungen.
Also ist eine Unternehmenskultur erforderlich, die das Arbeiten in expliziten Prozessen und die prozessorientierte Managementverantwortung fördert. Auf dieser Basis haben viele Unternehmen bereits die Erfahrung gemacht, dass sich erhebliche Verbesserungen in der Effizienz erzielen lassen und dass signifikant weniger Organisationsstruktur benötigt wird. Dadurch lassen sich Kostensenkungen bis zu 30 % in der Gesamtorganisation erzielen. Oftmals wurden in Unternehmen bereits ganze Hierarchie-Ebenen abgebaut und zudem schnellere und transparentere Prozesse erzielt.
Unternehmensführung hat generell 2 grundsätzliche Aufgaben zu erfüllen:
- Orientierung geben (= Führung) und
- Steuerung organisieren/koordinieren (= Management).
Für die Orientierung ist es wichtig,
- Ziele zu setzen,
- Messgrößen festzulegen und
- Kennzahlen dafür zu definieren.
Die konkrete Steuerung bedient sich dieser Festlegung, um
- den Prozess zur Erreichung der Ziele zu gestalten und
- seine Eignung dafür durch Indikatoren zur Messung der Performance und der Ergebnisse überprüfbar zu machen.
Sowohl die Orientierungs- als auch die Steuerungsaufgaben ändern sich bei der Fokussierung auf Prozesse als Managementobjekt.
Prozessorientierung kann deutliche Rationalisierungen bewirken
Die Fokussierung des Managements auf die Geschäftsprozesse führt zu einer Dezentralisierung der Steuerungsverantwortung und kann dadurch Hierarchien reduzieren. Als direkte Folge ist ein stärkeres unternehmerisches Denken bei allen Mitarbeitern erforderlich. Es ist nicht mehr nur der Chef, der aktiv steuert. Dies hat vielfältige Vorteile in Bezug auf die Schnelligkeit und Qualität der Entscheidungen.
Andererseits erfordert Dezentralisierung auch eine Integration der individuellen Leistungen: Die Führungsverantwortung wechselt. Der Weg geht von "Direktive" auf der Führungs- und "Sachbearbeitung" auf der Mitarbeiterebene hin zu gemeinsamer Orientierung und Koordination. Was dazu gebraucht wird, ist das gemeinsame Festlegen konkreter Prozessstrukturen und -abläufe sowie eine neuartige Disziplin der "Unterordnung" unter die gemeinsamen Prozessdefinitionen und Prozesshierarchien: Da ein Prozess im Allgemeinen zwischen ihm vor- und nachgeordneten anderen Prozessen steht, sind Reihenfolgen und Regeln einzuhalten, an die sich die Beteiligten (das "Prozessteam") halten müssen. Dies lässt neue Verantwortungen auf allen Ebenen entstehen einschließlich der Koordination zwischen verschiedenen Prozessen.
Die Übernahme von Eigenverantwortung durch die Mitarbeiter und das "Loslassen" durch die Manager einerseits sowie die Umwandlung von Disziplin gegenüber Vorgesetzten in eine Disziplin zur Einhaltung von Prozessen andererseits lassen sich nicht einfach durch die Einführung neuer Methoden oder einer neuen Organisationsform erreichen. Wirkliche Veränderung (Move) entsteht erst, wenn zusätzlich zu Änderungen der Methoden und der Organisationsstrukturen sich auch die Einstellungen und damit das Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter ändern. Das bedarf einer gemeinsamen strategischen Ziel- und Willensbildung, unbedingter Konsequenz in der Umsetzung und viel Geduld (s. Abb. 21).
Abb. 21: Das MOVE-Prinzip
Personalveränderungen sind oft notwendig
Nicht alle werden diesen Sprung schaffen. Entsprechend müssen Teams neu zusammengesetzt werden. Wenn jedoch die intrinsische Motivation aus der neuen Einstellung entstanden ist, steht einer erheblichen Leistungssteigerung und einer neuen Unternehmenskultur nichts mehr im Wege.
Die Unternehmenskultur schafft dabei den Rahmen und wirkt fördernd auf die Innovationsfähigkeit des Unternehmens. Prozessorientierung bietet die Chance für mehr Freir...