Leitsatz
1. Ein im Gelegenheitsverkehr genutztes Taxi zählt nicht zu den "öffentlichen Verkehrsmitteln" i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG.
2. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit einem Taxi können daher lediglich in Höhe der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG als Werbungskosten in Ansatz gebracht werden.
Normenkette
§ 3 Nr. 15, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Sätze 2, 3 und 4 EStG, § 229 Abs. 1 SGB IX, Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, selbst ein Kfz sicher zu führen. Sein Grad der Behinderung (GdB) betrug in den Streitjahren 60 ohne besondere Merkzeichen. Er legte daher in den Streitjahren (2016 und 2017) die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte in der Regel mit einem Taxi zurück. Für die Taxifahrten entstanden dem Kläger Kosten i.H.v. 6.402 EUR (2016) bzw. 2.670 EUR (2017), die er als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend machte. Das FA erkannte die Wegekosten lediglich in Höhe der Entfernungspauschale an. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt (Thüringer FG, Urteil vom 22.10.2019, 3 K 490/19, Haufe-Index 13881133, EFG 2020, 348).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG sind Werbungskosten auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 EUR im Kalenderjahr, soweit der Arbeitnehmer nicht einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen nutzt.
2. Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG können Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen.
3. Der Ansatz von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte, die den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen, ist zudem möglich, wenn der Steuerpflichtige einen GdB von mindestens 70 nachweist oder einen GdB von mindestens 50 und seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist (§ 9 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 EStG).
4. Der Begriff des "öffentlichen Verkehrsmittels" ist im EStG gesetzlich nicht definiert. Der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG lässt sich sowohl dahin gehend verstehen, dass es sich um ein Verkehrsmittel handelt, das – wie u.a. ein Taxi – allgemein der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, als auch so auslegen, dass lediglich regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel (im Linienverkehr) erfasst sind. Insbesondere zwingt der Umstand, dass die Beförderung von Personen mit Kfz im Gelegenheitsverkehr etwa mit einem Taxi nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 47 PBefG i.d.F. vom 8.8.1990 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 PBefG genehmigungspflichtig ist, nicht dazu, das Taxi auch als öffentliches Verkehrsmittel i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG anzusehen (BFH, Beschluss vom 15.11.2016, VI R 4/15, BFH/NV 2017, 368). Aus der Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 2 EStG sowie dem Sinn und Zweck der Vorschriften ergibt sich vielmehr, dass unter die Bezeichnung im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG lediglich öffentliche Verkehrsmittel im Linienverkehr fallen (vgl. BT-Drucks. 14/4435, 9).
5. Gegen eine solche Auslegung von § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG spricht nicht der Umstand, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 3 Nr. 15 EStG durch das Gesetz zur Vermeidung von USt-Ausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338) in dieser Vorschrift den Begriff des öffentlichen Verkehrsmittels mit dem Zusatz "im Linienverkehr" verwendet, § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG jedoch nicht um einen entsprechenden Zusatz ergänzt hat. Denn der Gesetzgeber hat diesen Zusatz in § 3 Nr. 15 EStG nach Auffassung des erkennenden Senats lediglich zur Klarstellung des von ihm ohnehin sowohl in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG als auch in § 3 Nr. 15 EStG zugrunde gelegten Verständnisses des Begriffs "öffentliche Verkehrsmittel" als solche des Linienverkehrs eingefügt.
6. Die Senatsentscheidung vom 20.5.1980 (BFH, Urteil vom 20.5.1980, VI R 241/77, Haufe-Index 73580, BStBl II 1980, 582), nach der Taxikosten für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte in vollem Umfang abziehbar waren, soweit der Abzug nicht ausnahmsweise wegen Unangemessenheit zu versagen war, beruht auf einer anderen Rechtsgrundlage, die seit der Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale überholt ...