Leitsatz
1. Die Aufhebung eines rechtsbeständigen Zinsbescheids, mit dem Zinsen auf eine zurückgeforderte Ausfuhrerstattung festgesetzt worden sind, richtet sich nach den Vorschriften des VwVfG.
2. Erweist sich wegen einer Änderung der Rechtsprechung zu den Erstattungsvoraussetzungen die Rückforderung der Ausfuhrerstattung und damit auch die rechtsbeständige Zinsfestsetzung als rechtswidrig, besteht mangels nachträglicher Änderung der Rechtslage kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die Rücknahme des Zinsbescheids steht in diesem Fall gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Ermessen der Behörde.
Normenkette
§ 6 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 14 MOG, § 48 Abs. 1, § 51 Abs. 1 VwVfG, § 102 FGO
Sachverhalt
Das HZA hatte Ausfuhrerstattungen zurückgefordert. Dagegen wurde Klage erhoben. Im Revisionsverfahren wurde der Bescheid zurückgenommen. Zugleich hatte das HZA Zinsen auf die zurückgeforderte Ausfuhrerstattung festgesetzt. Dieser Bescheid war nicht angefochten worden. Nach Aufhebung des Rückforderungsbescheids wurde jedoch Erstattung der Zinsen verlangt. Das FG hob den Zinsbescheid nach § 233a Abs. 5 AO auf, der BFH dieses Urteil.
Entscheidung
Eine Aufhebung des Zinsbescheids durch Gestaltungsurteil kam von vornherein nicht in Betracht, weil dieser unanfechtbar war. Es konnte folglich nur um eine Verpflichtung des HZA gehen, den Zinsbescheid nach § 51 oder § 48 VwVfG aufzuheben.
Den gestellten Aufhebungsantrag hätte das FG als Verpflichtungsantrag ansehen können, aber ihm allenfalls nach letzterer Vorschrift stattgeben dürfen.
Hinweis
1. Die AO gilt nur für Steuern und steuerliche Nebenleistungen, nicht für Zinsbescheide im Marktordnungsrecht. Denn solche Zinsen sind zweifellos keine steuerlichen Nebenleistungen und das MOG verweist nur hinsichtlich der Abgaben zu Marktordnungszwecken auf die Vorschriften der AO (Ausnahme: § 222 Sätze 3 und 4 AO). Ausfuhrerstattungen sind offensichtlich keine solchen Abgaben, sondern das Gegenteil: Subventionen.
2. Im VwVfG gibt es einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51). Dieser greift aber nicht ein, wenn sich ohne Änderung der Rechtslage nur eine bessere Rechtserkenntnis einstellt (im Besprechungsfall aufgrund eines einschlägigen EuGH-Urteils).
3. Nachträglich als rechtswidrig erkannte bestandskräftige Bescheide können freilich von der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurückgenommen werden. Das steht indes im Ermessen der Behörde. Auch für das Gemeinschaftsrecht ändert das EuGH-Urteil vom 13.1.2004, Rs. C-453/00 (EuGHE 2004, I-837) daran nichts Grundsätzliches.
4. Das Ermessen der Behörde ist in solchen Fällen nur dann auf null reduziert (also ein Rücknahmeanspruch gegeben), wenn ein Festhalten an dem rechtsbeständigen Bescheid gegenüber dem Bürger unzumutbar bzw. dessen Bestehenbleiben sonst schlechthin unerträglich wäre, etwa weil der Rechtsverstoß besonders schwer wiegt (aber nicht die Schwelle der Nichtigkeit erreicht; hier ist in der Rechtsprechung noch manches unklar). Diese – engen – Voraussetzungen hat der BFH im Besprechungsfall mit Recht verneint: der Zinsbescheid hätte ohne Weiteres – ebenso wie der Rückforderungsbescheid selbst – angefochten werden können – was wohl versehentlich unterblieben war – und litt keineswegs an einem besonders schweren Fehler.
5. Beachten Sie, dass also außerhalb der AO für Zinsen kein "Anpassungsmechanismus" wie in § 233a Abs. 5 AO geregelt besteht!
6. Man liest immer wieder – auch in der Besprechungsentscheidung –, es sei nicht gerechtfertigt, im Revisionsverfahren die Prüfung einer Ermessensentscheidung gem. § 102 Satz 1 FGO vorzunehmen, wenn das FG dies noch nicht getan habe, weil dem Kläger sonst die erste Instanz genommen würde. Mitunter wird dies sogar bei sonstigen neuen Gesichtspunkten angenommen, die erstmals im Revisionsverfahren als relevant erkannt werden. Indes: Wenn ein Streit entscheidungsreif ist, hat das Revisionsgericht grundsätzlich abschließend zu entscheiden – und nicht etwa dem Vorderrichter Gelegenheit zu geben, im zweiten Rechtsgang erneut falsch zu entscheiden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.6.2006, VII R 53/05