Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Leistet der Arbeitgeber bei einer Nettolohnvereinbarung für den Arbeitnehmer eine Einkommensteuernachzahlung für einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum, wendet er dem Arbeitnehmer Arbeitslohn zu, der dem Arbeitnehmer als sonstiger Bezug im Zeitpunkt der Zahlung zufließt.
2. Der in der Tilgung der persönlichen Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber liegende Vorteil unterliegt der Einkommensteuer. Er ist deshalb auf einen Bruttobetrag hochzurechnen.
Normenkette
§ 11 Abs. 1 Satz 4, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG
Sachverhalt
Japaner K war aufgrund einer Entsendungs- und Nettolohnvereinbarung für Arbeitgeber X im Inland tätig. X zahlte K den vereinbarten Nettolohn und die darauf entfallenden Steuern. Bei ESt-Erstattungen führte das FA die Erstattungsbeträge an X ab, ESt-Nachzahlungen leistete X an das FA. K hatte für das Streitjahr (2008) einen Bruttoarbeitslohn laut Lohnsteuerkarte von 280.057 EUR und steuerpflichtigen Arbeitslohn, von dem kein Steuerabzug vorgenommen worden war, in Höhe von ./. 21.705 EUR. Der letztgenannte Betrag ergab sich aus ESt-Erstattungen für 2005 bis 2007 von 22.924 EUR und einer von X an das FA im Streitjahr geleisteten ESt-Nachzahlung für 2004 von 1.219 EUR. Das FA rechnete die ESt-Nachzahlung für 2004 auf einen Bruttobetrag von 2.189 EUR hoch und setzte K’s ESt fest (Bruttoarbeitslohn 259.321 EUR = 280.057 EUR – 22.924,89 EUR + 2.189 EUR). Das FG Düsseldorf (Urteil vom 3.12.2013, 13 K 2184/12 E, Haufe-Index 7571755, EFG 2014, 268) entsprach der Klage; die ESt-Nachzahlung für 2004 erhöhe K’s Arbeitslohn nur um den von X gezahlten Betrag (1.219 EUR) ohne Hochrechnung auf einem Bruttolohn.
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen entsprach der BFH der Revision des FA, hob das FG auf und wies die Klage ab.
Hinweis
Auch bei einer Nettolohnvereinbarung, nämlich wenn der Arbeitnehmer einen als Nettolohn vereinbarten Betrag ungekürzt durch gesetzliche Abgaben erhält und der Arbeitgeber die Beträge für den Arbeitnehmer zu tragen hat, gilt der Arbeitslohnbegriff (BFH, Urteil vom 21.1.2010, VI R 2/08, BFH/NV 2010, 998, BFH/PR 2010, 207); sämtliche Vorteile sind also einzurechnen. Bei der ESt-Veranlagung des Arbeitnehmers sind deshalb zum Nettolohn auch die Vorteile aus der Übernahme von LSt und SV durch den Arbeitgeber hinzuzurechnen. Die zivilrechtliche Nettolohnvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ändert nichts daran, dass der Arbeitnehmer der Steuerpflichtige ist und die LSt schuldet (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Nach diesen Grundsätzen führt eine vom Arbeitgeber übernommene ESt-Nachzahlung des Arbeitnehmers zu Arbeitslohn; der Zuflusszeitpunkt liegt im Jahr der Zahlung. Der Arbeitgeber begleicht, veranlasst durch das Arbeitsverhältnis, eine private Schuld seines Arbeitnehmers. Das waren hier 1.219 EUR. Die Frage lautet also: Wieviel Bruttolohn müsste X seinem Arbeitnehmer K bezahlen, dass K daraus seine Einkommensteuernachzahlung von 1.219 EUR begleichen kann? Das ist der von 1.219 EUR hochgerechnete Bruttolohn. Denn bei der Nettolohnvereinbarung ist eben auch die vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer übernommene LSt/ESt Teil des Arbeitslohns; der Arbeitnehmer ist auch insoweit durch den Arbeitgeber bereichert.
Dies gilt – so der BFH abweichend vom FG – auch dann, wenn die Nachzahlung eine ESt-Erstattung (hier: für 2004) teilweise rückgängig macht. Denn die ESt-Erstattung als Rückzahlung überzahlten Arbeitslohns (BFH, Urteil vom 30.7.2009, VI R 29/06, BFH/NV 2009, 1890, BFH/PR 2009, 464) korrespondiert nicht mit der Übernahme der persönlichen Einkommensteuerschuld. Die Zahlungsvorgänge sind unterschiedlich zu behandeln.
Der BFH folgte auch nicht dem Einwand der Revision, dass X durch die Hochrechnung auf einen Bruttolohn einen höheren Lohn als vertraglich vereinbart schuldete. Denn mit der Nettolohnvereinbarung war X zur ungekürzten Auszahlung eines bestimmten Nettolohns verpflichtet, unabhängig davon, welche Steuern darauf entfielen. Damit verblieb allenfalls der Einwand, dass X einen höheren Lohn als ursprünglich kalkuliert zu zahlen hatte. Dieses Risiko ist aber gerade der Nettolohnvereinbarung wesensimmanent. Der BFH wies zur Nettolohnvereinbarung eine Reihe eigener Urteile und solche des BAG nach, wonach die Steuer grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zulasten des Arbeitgebers geht.
Fazit: Die ESt-Nachzahlung korrigiert nicht den laufenden Nettoarbeitslohn, sondern ist die Steuer auf eine in der Nettolohnvereinbarung strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich geschuldete Gehaltsnachzahlung, die in einem nachfolgenden Veranlagungszeitraum geleistet und dementsprechend besteuert wird.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.9.2015 – VI R 1/14