Leitsatz
Die Entscheidung über den Abzug von Kirchenbeiträgen nach R 101 Abs. 1 EStR 1993 ist eine Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 AO 1977.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG , § 51a Abs. 2 EStG , § 163 AO
Sachverhalt
Die Kläger sind Mitglied einer freien evangelischen Gemeinde, die einer Körperschaft des öffentlichen Rechts angehört. Im Jahr 1994 zahlten sie für kirchliche Zwecke an die Kirchengemeinde 90 600 DM, darüber hinaus spendeten sie an eine Reihe anderer gemeinnütziger Einrichtungen ca. 130 000 DM.
Das FA berücksichtigte lediglich einen Teilbetrag von 32 467 DM (9 % des ESt-Vorauszahlungssolls) als "gezahlte Kirchensteuer" und den Restbetrag als Spende nach § 10b EStG. Auf den Einspruch hin entschied das FA über eine "Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 AO zur ESt 1994" und berücksichtigte Kirchenbeiträge in Höhe von 47 792 DM (9 % der festgesetzten ESt lt. Vorauszahlungsbescheid zzgl. der angepassten ESt-Vorauszahlung 1993 und der Abschlusszahlung 1992).
Das FG gab der Klage im Wesentlichen statt und ließ einen Betrag von 72 185 DM (9 % der festgesetzten Steuer) als Kirchensteuer zum Abzug zu.
Entscheidung
Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Bescheid nach § 163 Satz 1 AO zu ändern. Das FG habe den als Kirchenbeitrag abziehbaren Betrag falsch berechnet.
Die eine Ermessensentscheidung enthaltende Regelung in R 101 Abs. 1 EStR, wonach Kirchenbeiträge unter bestimmten Voraussetzungen wie Kirchensteuern abgezogen werden können, müsse hier zwingend angewendet werden (Ermessensreduzierung auf null).
Allerdings sei der Einwand des FA berechtigt, dass die Begrenzung des Abzugsbetrags nach der Gleichung "zvE vor KiB-Abzug ./. zvE nach KiB-Abzug = ESt auf zvE nach KiB-Abzug x 9 %" zu ermitteln sei. Der abgezogene Betrag müsse mit dem abziehbaren Betrag identisch sein. Im Streitfall sei deshalb ein Betrag von 71 072 DM abziehbar.
Hinweis
1. In Anwendung der Vorschrift des § 163 AO (wonach Steuern niedriger festgesetzt werden können, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre) kann die Finanzverwaltung allgemeine Regelungen über die von den FÄ vorzunehmende Ermessensausübung aufstellen. Das ist in R 101 Abs. 1 EStR hinsichtlich des Abzugs von sog. Kirchenbeiträgen an Religionsgemeinschaften, die in mindestens einem Land als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind, geschehen.
Solche Richtlinien sind, wenn sie sich im Rahmen der geltenden Gesetze halten, auch von den Gerichten zu beachten. Bei begünstigenden Regelungen kann sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz eine Bindungswirkung für die Gerichte ergeben.
2. Dementsprechend sieht der BFH in der Regelung des R 101 Abs. 1 EStR unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Gleichbehandlung eine Ermessensreduzierung auf null. D.h., dass die FÄ bei Vorliegen der Voraussetzungen den Abzug der Kirchenbeiträge im Billigkeitsweg zwingend vornehmen müssen.
Anders als im Schrifttum vertreten hält der BFH R 101 Abs. 1 EStR nicht für rechtswidrig (so aber Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rdnr. G 22). Vielmehr sieht er darin eine norminterpretierende und ermessensregulierende Verwaltungsvorschrift zur Abgrenzung von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG gegenüber § 10b Abs. 1 EStG beim Abzug von Kirchenbeiträgen.
3. Kirchenbeiträge können nach R 101 Abs. 1 Satz 3 EStR bis zur Höhe der in dem jeweiligen Bundesland erhobenen Kirchensteuer als Sonderausgaben abgezogen werden. Da Kirchenbeiträge im Unterschied zu Kirchensteuern nicht festgesetzt werden, gilt für ihren Abzug ausschließlich das Zahlungsprinzip.
Abziehbar waren im Streitfall somit gezahlte Kirchenbeiträge bis zur Höhe von 9 % der festzusetzenden Einkommensteuer.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.10.2001, XI R 52/00