Die Anwendung der Steuerermäßigungsvorschrift des § 27 ErbStG hängt von mehreren kumulativen Voraussetzungen ab.
- Die Personen müssen zur Steuerklasse I zugehörig sein.
- Der Übergang des Vermögens muss von Todes wegen erfolgen.
- Für das übergegangene Vermögen war eine Steuer zu erheben.
- Das Vermögen wurde in den letzten zehn Jahren von Personen der Steuerklasse I erworben.
Diese Voraussetzungen sollen Folgend näher erläutert werden.
2.1 10-Jahreszeitraum
Die Steuerermäßigung wird nur dann gewährt, wenn der Vor- und der Letzterwerb innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren liegen. Zur Berechnung des Zeitraums ist für den jeweiligen Erwerb auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (vgl. auch § 9 ErbStG und R E 9 ErbStR 2019 sowie die H E 9 ErbStH 2019) abzustellen.
Steuerentstehungszeitpunkt bei Grundstücken
In der Praxis wird es insbesondere bei Grundstücksschenkungen nicht immer einfach sein, den genauen Zeitpunkt der Entstehung der Steuer zu bestimmen. Der Zeitpunkt der Grundstücksschenkung richtet sich hierbei danach, wann die Auflassung i. S. d. § 925 BGB sowie die Eintragungsbewilligung (§ 19 GBO) vorliegen. Häufig wird es der Fall sein, dass die Beteiligten einen Dritten beauftragt haben (Rechtsanwalt oder Notar), die für die Rechtsänderung erforderlichen Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. In diesem Fall ist die Schenkung ausgeführt, wenn mit der Auflassung auch die Besitzverschaffung des Grundstücks erfolgt sowie Nutzungen und Lasten auf den Beschenkten übergehen. Nutzungen und Lasten gehen dabei regelmäßig aus dem Grundstücksschenkungsvertrag hervor.
Weitere Einzelheiten regeln hierzu die Erbschaftsteuerrichtlinien in R E 9.1 ErbStR 2019.
10-Jahreszeitraum
Großmutter GM wendet ihrer Enkelin EN am 15.10.2023 Wertpapiere in Höhe von 600.000 EUR zu. Enkelin EN hat ihren Sohn S zum Alleinerben bestimmt. EN verstirbt am 20.10.2023. Im Nachlass befinden sich nur die Wertpapiere der GM, welche unverändert einen gemeinen Wert in Höhe von 600.000 EUR haben. Der Zeitraum zwischen dem Ersterwerb und dem Zweiterwerb beträgt mehr als zehn Jahre. Damit ist die geforderte Voraussetzung der 10-Jahresfrist nicht erfüllt, und § 27 ErbStG kann nicht zur Anwendung kommen.
Lösung
Es ergibt sich die folgende Besteuerung
a) Zuwendung von GM an Enkelin EN
Gemeiner Wert der Wertpapiere |
600.000 EUR |
Abzüglich persönlicher Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) |
./. 200.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb |
400.000 EUR |
Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 15 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) eine Erbschaftsteuer in Höhe von 60.000 EUR).
b) Erbfall der EN
Gemeiner Wert der Wertpapiere |
600.000 EUR |
Abzüglich persönlicher Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) |
./. 400.000 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb |
200.000 EUR |
Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 11 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) eine Erbschaftsteuer in Höhe von 22.000 EUR).
Häufig wird es sich bei der Zuwendung auch um eine mittelbare Grundstücksschenkung handeln. Hier gilt Folgendes:
Ist Gegenstand einer mittelbaren Grundstücksschenkung ein Grundstück mit einem noch zu errichtenden Gebäude, ist jedenfalls in den Fällen, in denen der Schenker den zum Erwerb erforderlichen Geldbetrag bereits zur Verfügung gestellt hat die Schenkung ausgeführt, wenn sowohl die Auflassung erklärt und die Eintragungsbewilligung erteilt, als auch das Gebäude fertiggestellt ist.
2.2 Personenkreis
2.2.1 Allgemeines
Die Anwendung des § 27 ErbStG setzt voraus, dass der Letzterwerber im Verhältnis zum Vorerwerber der Steuerklasse I angehören muss, wie auch der Vorerwerber im Verhältnis zum ursprünglichen Schenker oder Erblasser der Steuerklasse I anzugehören hat. Hierunter fallen u. a. der Ehegatte (§ 15 Abs. 1 Stkl. I Nr. 1 ErbStG), die Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Stkl. I Nr. 2 ErbStG) sowie Enkel (§ 15 Abs. 1 Stkl. I Nr. 3 ErbStG). Bei einem Erwerb von Todes wegen auch die Eltern und Voreltern (§ 15 Abs. 1 Stkl. I Nr. 4 ErbStG). Es kann weder aus dem verfassungsrechtlichen Familienprinzip noch aus dem § 27 ErbStG zugrunde liegenden Gesetzeszweck das Verfassungsgebot abgeleitet werden, Letzterwerber der Steuerklasse II solchen der Steuerklasse I allein deswegen gleichzustellen, weil für den Letzterwerber im Verhältnis zum ursprünglichen Vermögensinhaber die Voraussetzungen der Steuerklasse I vorlagen.
Personenkreis der Steuerklasse I
Großmutter GM vererbt ihrem Ehemann GV im September 2017 ein Einfamilienhaus. Zwei Jahre später verstirbt GV und wird von der Enkelin EN beerbt (Todeszeitpunkt ist der 1.11.2023).
Lösung
GV gehört als Ehegatte der Steuerklasse I an (§ 15 Abs. 1 StKl. I Nr. 1 ErbStG). Ebenso ist EN als Enkelin des GV der Steuerklasse I zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 StKl. I Nr. 3 ErbStG). Damit ist § 27 ErbStG anwendbar.
Nicht erforderlich ist, dass der Letzterwerber zum ursprünglichen Schenker oder Erblasser in die Steuerklasse I einzuordnen ist.
Verhältnis des Letzterwerber...