Dipl.-Finw. (FH) Norbert Weinmann
Zusammenfassung
Die Erbschaftsteuer besteuert den Vermögensübergang, wie er sich von Todes wegen vollzieht. Die Erbschaftsteuer in Deutschland ist – im Gegensatz z. B. zum angelsächsischen Rechtsraum – keine Nachlasssteuer, sondern eine Erbanfallsteuer. Besteuert wird der Vermögensanfall beim einzelnen Erwerber (Erbe, Vermächtnisnehmer usw.). Der durch den unentgeltlichen Vermögensübergang beim Erwerber bewirkte Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (Bereicherung ohne Gegenleistung) ist Gegenstand und Rechtfertigung der Steuer. Die Steuerbelastung richtet sich nach der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erwerber oder dem Bestehen einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft zwischen diesen Personen (Steuerklasseneinteilung) und innerhalb der Steuerklasse nach dem Wert des steuerpflichtigen Erwerbs.
Wichtig: Rechtsgrundlage ist das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG).
Zur einheitlichen Anwendung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts sowie des dazu benötigten Bewertungsrechts hat die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR 2019) herausgegeben. Die ErbStR 2019 werden ergänzt durch amtliche Hinweise (ErbStH 2019), die auch zahlreiche Rechenbeispiele enthalten.
1 Vermögenserwerbe von Todes wegen
1.1 Erbanfall
Mit dem Tod einer Person geht ihr Vermögen kraft Gesetzes auf den oder die Erben über (Erbrecht). Deren Vermögenserwerb durch Erbanfall unterliegt der Erbschaftsteuer, unabhängig davon, ob er sich aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge (Testament, Erbvertrag) vollzieht (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Selbst ein zivilrechtlich ungültiges Testament, z. B. nicht eigenhändig geschrieben oder ohne Unterschrift, ist für die Erbschaftsteuer zu beachten, wenn sich die Beteiligten von Anfang an danach richten und das wirtschaftliche Ergebnis entsprechend vollziehen. Ebenso ist ein ernst gemeinter erbrechtlicher Erbvergleich, auch außergerichtlich, steuerlich wirksam, wenn er zum Ziel hat, die Ungewissheit über ein streitiges Erbrechtsverhältnis, über einzelne Erbteile oder die den Erben zufallenden Beträge einvernehmlich zu beseitigen.
Sind an dem Nachlass mehrere Erben beteiligt (Erbengemeinschaft), besteht der Erwerb des einzelnen Erben in dem Bruchteil seiner Beteiligung an dem Nachlass (Erbanteil). Steuerlich werden die Miterben so behandelt, als ob ihnen die einzelnen Nachlassgegenstände und Nachlassverbindlichkeiten zu Bruchteilen zuständen (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO). Für die Erbschaftsteuer ist deshalb der Steuerwert der Nachlassgegenstände und -verbindlichkeiten nach den Erbanteilen auf die einzelnen Erben zu verteilen. Auf das Ergebnis der späteren Erbauseinandersetzung kommt es nicht an. Auch Teilungsanordnungen (§ 2048 BGB) des Erblassers sind für die Besteuerung des Erbanfalls beim einzelnen Miterben grundsätzlich ohne Bedeutung (R E 3.1 ErbStR 2011). Zu berücksichtigen sind jedoch Teilungsanordnungen, wenn sie einem Miterben einen besonderen Vermögensvorteil ohne Anrechnung auf seinen Erbteil und ohne Ausgleichungspflicht zuwenden. Diese "Mehrzuteilung" versteuert der Miterbe allein wie ein Vorausvermächtnis oder einen Auflagenerwerb. Wie eine Teilungsanordnung wirkt auch die sog. qualifizierte Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft oder die Sondernachfolge in einen Hof i. S. d. Höfeordnung gehört.
Ist vom Nachlassgericht ein Erbschein (§ 2365 BGB) erteilt, wird das Finanzamt ohne weitere Prüfung die Angaben zur Erbberechtigung der einzelnen Erben einschließlich der jeweiligen Erbanteile übernehmen. Sprechen allerdings gewichtige Gründe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gegen die Richtigkeit des Erbscheins, ist das Finanzamt berechtigt und verpflichtet, die Erbanteile selbst zu ermitteln. Entsprechendes dürfte auch gelten, wenn ein Europäisches Nachlasszeugnis erteilt wurde.