Leitsatz
1. "Angesetzter" Wert i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG ist der Wert, der der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt worden ist.
2. Ist die Entnahme steuerlich nicht erfasst worden, ist der "angesetzte" Wert der Buchwert.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Grundstücksgemeinschaft (A und B), veräußerte im Mai 2016 ein Grundstück, das ihr im Dezember 2007 (mit Nachtrag von Dezember 2008) vom Vater (V) der Gemeinschafter aus dessen land- und forstwirtschaftlichem Betriebsvermögen (Buchwert: 11.582 EUR) übertragen worden war. Die Entnahme wurde bei V weder 2007 noch 2008 steuerlich erfasst. Das FA setzte bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns den Buchwert im Zeitpunkt der Entnahme an. Demgegenüber begehrte die Klägerin, den Teilwert im Zeitpunkt der Entnahme anzusetzen. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8.12.2020, 3 K 1277/20, Haufe-Index 14306706).
Entscheidung
Der BFH hat auch die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die von V bei der Entnahme aus dem Betriebsvermögen nicht versteuerten stillen Reserven erhöhen den Veräußerungsgewinn. Die zu Unrecht unterbliebene Besteuerung der Entnahme wird im Rahmen der Veräußerungsgewinnbesteuerung nachgeholt. Insofern gilt nichts anderes, als wenn bei der Entnahme ein zu geringer Wert angesetzt worden wäre.
Hinweis
Das Besprechungsurteil ist der erste Fall, in dem sich der BFH (grundlegend) mit der 1998/1999 eingeführten Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG befasst. Die Vorschrift ergänzt § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe als Anschaffung gilt, und regelt, dass in diesem Fall bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG oder § 16 Abs. 3 EStG angesetzte Wert an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten tritt (Entnahmewert). Streitig war, welcher Wert "angesetzt" ist, wenn bei der Entnahme aus dem Betriebsvermögen ein Entnahmegewinn weder erklärt noch erfasst worden war.
1. In Betracht kamen zwei Lösungen. Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei kein Wert angesetzt worden, wenn die Entnahme des Grundstücks steuerlich nicht erfasst worden war. Der Steuerpflichtige müsse bei der Entnahme einen Wert angesetzt haben. Fehle es daran, müsse bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der Teilwert im Zeitpunkt der Entnahme zugrunde gelegt werden. Nach der Gegenauffassung kommt das nicht in Betracht, weil bei steuerlicher Nichterfassung des Entnahmegewinns der Buchwert angesetzt worden ist.
2. Der BFH hat sich der zweiten Auffassung angeschlossen. Danach kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige bei der Entnahme einen Wert angesetzt hat, sondern nur darauf, welcher Wert (gedanklich) der Steuerfestsetzung im Entnahmejahr zugrunde gelegen hat, wenn die Entnahme (zu Unrecht) als steuerneutral behandelt worden ist. Der BFH argumentiert dabei buchhalterisch, wenn er ausführt, die Ausbuchung des Wirtschaftsguts bzw. dessen Abgang aus dem Anlagenverzeichnis führe zu einer Vermögensminderung, die durch Buchung einer Entnahme in Höhe des Buchwerts ausgeglichen worden sein müsse, um den Vorgang (zu Unrecht) neutral behandeln zu können. Der Festsetzung der Steuer habe deshalb (gedanklich notwendig, wenn auch allseits nicht erkannt) eine Entnahme zum Buchwert zugrunde gelegen; dieser Wert sei mithin "angesetzt".
3. Diese Lösung entspreche dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie wolle vor allem eine Doppelbesteuerung vermeiden, indem sie die bei der Entnahme bereits versteuerten stillen Reserven aus dem Veräußerungsgewinn ausscheide. Seien bei der Entnahme stille Reserven steuerlich nicht erfasst worden, könnten und sollten sie aber zumindest einmal bei der Besteuerung des Veräußerungsgewinns erfasst werden. Wer bei der Entnahme einen zu geringen Wert angesetzt habe, dürfe jedenfalls nicht schlechter stehen als derjenige, der den Entnahmegewinn nicht deklariert habe.
4. Diese Grundsätze gelten über § 23 Abs. 1 Satz 3 auch für den unentgeltlichen Rechtsnachfolger. Diesem wird nicht nur die Anschaffung oder Überführung des Rechtsvorgängers zugerechnet, sondern er muss auch den bei der Überführung angesetzten Wert gegen sich gelten lassen. Er hat also die Nacherfassung der bei der Entnahme zu Unrecht nicht erfassten stillen Reserven zu dulden, wenn er das Wirtschaftsgut innerhalb der Haltefrist steuerpflichtig veräußert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.12.2021 – IX R 3/21