Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob es mit Art. 49 und 50 EG vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein im Inland ansässiger Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats oder an eine diesem gem. Art. 48 i.V.m. Art. 55 EG gleichgestellte Gesellschaft zu zahlen hat.
Normenkette
Art. 49 EG , Art. 50 EG , § 50a Abs. 4 und 5 EStG , § 50d Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Der Antragsteller – eine in Deutschland (Inland) ansässige natürliche Person – veranstaltete in den Jahren 1998 bis 2000 (Streitjahre) im Inland Konzerte mit Künstlergruppen, deren Mitglieder in den USA ansässig waren. Die Leistungen der Künstler wurden dem Antragsteller von einer Kapitalgesellschaft (X) zur Verfügung gestellt, deren Geschäftsleitung und Sitz sich in Österreich befanden und die im Inland keine Betriebsstätte unterhielt. X erhielt vom Antragsteller für die Darbietungen der Künstler Vergütungen, die der Antragsteller ohne einen Steuerabzug gem. § 50a Abs. 4 EStG in den in den Streitjahren geltenden Fassungen an X auszahlte. Auch Steueranmeldungen über einen Steuerabzug von den an X gezahlten Vergütungen gab der Antragsteller zunächst nicht ab, da X ihm erklärt hatte, seinerseits seien weder ein Steuerabzug noch Steueranmeldungen und -abführungen erforderlich.
Nachdem das Bundesamt für Finanzen im Jahr 2002 Anträge der X auf Erteilung von Freistellungsbescheinigungen (§ 50d EStG) abgelehnt und das FA hierüber unterrichtet hatte, forderte Letzteres den Antragsteller auf, die Steueranmeldungen nachzuholen und die angemeldeten Steuern zu zahlen. Der Antragsteller gab daraufhin zwei Steueranmeldungen gem. § 73e EStDV ab und zahlte die angemeldeten Abzugsteuern, focht die Anmeldungen aber zugleich an und beantragte die Aufhebung der Vollziehung.
AdV wurde nicht gewährt. Der diesbezügliche Antrag blieb auch beim FG ohne Erfolg (EFG 2004, 821).
Entscheidung
Der BFH stellt indes klar: Die Unsicherheit hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der Regelungen des § 50 Abs. 4 und 5 sowie des § 50d Abs. 1 EStG seien derart gewichtig, dass AdV in jedem Fall bis zur Entscheidung des EuGH gewährt werden müsse.
Hinweis
Der BFH hat dem EuGH soeben – im Beschluss vom 28.4.2004, I R 39/04 (BFH-PR 2004, 350) – diverse Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sämtlich darauf abzielen, das steuerliche Abzugsverfahren gem. § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG als Erhebungsform der beschränkten Steuerpflichtigen auf seine Europarechtstauglichkeit "abzuklopfen". Darauf ist zu verweisen.
Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass der BFH die Rechtmäßigkeit der diesbezüglichen Rechtslage als ernstlich zweifelhaft ansieht. Er distanziert sich damit explizit von seinem Beschluss vom 25.11.2002, I B 69/02 (BFH-PR 2003,93), wonach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Quellensteuerabzugs gem. § 50a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 EStG bestehen, wenn dem beschränkt Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt ist, ganz oder teilweise die Erstattung der einbehaltenen Steuer zu beantragen und keine Anhaltspunkte für einen tatsächlich niedrigeren Steuersatz im Fall der Veranlagung vorliegen. Eine solche (wenn auch begrenzte) Erstattungsmöglichkeit ist de lege lata eingeräumt (vgl. § 50a Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 EStG).
Konsequenz: Die Vollziehung einschlägiger Steuerbescheide ist auszusetzen. Das betrifft in erster Linie Steueranmeldungen gem. § 73e EStDV, aber auch Haftungsbescheide (§ 191 AO) oder Steuernachforderungsbescheide (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO). Konkret entschieden hat der BFH dies allerdings nur bezogen auf Vergütungen für künstlerische Leistungen. Insbesondere Abzugsteuern, die auf Löhne oder Kapitalerträge zu erheben sind, bleiben naturgemäß unbehelligt. Denn solchen Steuerabzügen unterfällt nicht nur der Steuerausländer, sondern gleichermaßen der Inländer.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 16.6.2004, I B 44/04