Leitsatz
1. Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.
2. Für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen sind auch bei Prüfungsanordnungen die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich.
Normenkette
§ 5, § 193 Abs. 1 AO , § 4 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BpO 2000, § 54, § 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, § 102 Satz 1, § 120 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 3, § 126a, § 135 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB
Sachverhalt
Bei der Klägerin und Revisionsklägerin (kein Großbetrieb i.S.d. § 3 BpO 2000) führte das FA aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 eine Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 durch. Noch während diese Prüfung andauerte, erging am 1.12.2015 eine weitere Prüfungsanordnung für die Jahre 2010 bis 2012, die die Klägerin anfocht. Im anschließenden Klageverfahren nahm sie die Klage hinsichtlich der Anfechtung der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung für das Jahr 2010 zurück. Das FG gab der Klage im verbleibenden Umfang statt und hob die Prüfungsanordnung für 2011 und 2012 auf.
Mit der streitgegenständlichen Prüfungsanordnung vom 4.12.2017 verfügte das FA, dass die am 1.12.2015 angeordnete Außenprüfung für das Jahr 2010 auf die Jahre 2011 und 2012 erweitert werde. Es sei – so die Begründung des FA – mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen. Die im Rahmen der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der Ordnungsgemäßheit der Buchführung hätten sich auch für den Zeitraum 2010 bestätigt. Entsprechende steuerliche Würdigungen seien daher für die Jahre 2011 und 2012 ebenso wenig auszuschließen.
Die Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens abgeschlossen. Das FA wies anschließend den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage hatte dieses Mal keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.9.2019, 3 K 3090/19, Haufe-Index 13604119, EFG 2020, 149). Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000, wonach in der Regel nur drei Jahre gleichzeitig geprüft werden dürften, liege nicht vor. Im Zeitpunkt der (für die Beurteilung von Ermessensentscheidungen maßgeblichen) letzten Verwaltungsentscheidung (der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2019) sei die Prüfung für die Jahre 2008 und 2009 bereits abgeschlossen gewesen, sodass nach der Erweiterung des Prüfungszeitraums nur drei Jahre, nämlich die Jahre 2010 bis 2012, zu prüfen gewesen seien, was keiner besonderen Begründung bedürfe.
Die Revisionsbegründungsfrist hatte der BFH antragsgemäß bis zum 10.12.2019 verlängert. Die Revisionsbegründung wurde als PDF-Datei im Anhang einer am 10.12.2019 um 23:55 Uhr gesendeten E-Mail übermittelt. Die Prozessbevollmächtigte teilte in dieser E-Mail zugleich mit, dass es trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen sei, das Dokument innerhalb der in wenigen Minuten ablaufenden Revisionsbegründungsfrist per Telefax zu übersenden. Dem am 11.12.2019 eingereichten Wiedereinsetzungsantrag waren u.a. die vollständige und unterschriebene Revisionsbegründung sowie Telefaxprotokolle vom 10.12.2019 über Abbruch und Fehlschlag einer Übertragung der Revisionsbegründungsschrift beigefügt.
Entscheidung
Der BFH gewährte hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung, sodass die Revision zulässig war. Er wies sie aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurück. Dass das FG (wohl zu Unrecht) der ersten Klage rechtskräftig für 2011 und 2012 stattgegeben hatte, hinderte das FA an der Erweiterung der Prüfungsanordnung nicht.
Hinweis
1. Die erste wesentliche Aussage des BFH, die eigentlich den konkreten Fall auch schon löst, findet sich nicht in den Leitsätzen: Ergeht während einer noch laufenden Betriebsprüfung eine Prüfungsanordnung für eine (hier: erste) Anschlussprüfung, erweitert diese nicht den Prüfungszeitraum der Vorprüfung. Gleiches gilt für die spätere Erweiterung dieser Anschlussprüfung. Die beiden Prüfungen dürfen (auch) insoweit nicht durcheinandergebracht werden.
2. Die weitere Aussage, dass für eine erste Anschlussprüfung keine besondere Begründung erforderlich ist, dürfte niemanden ernsthaft überraschen. Man darf davon ausgehen, dass das deutsche Verfahrensrecht auch im Bereich der Ertragsteuern auf eine Selbstveranlagung mit nachträglicher Überprüfung in (maschinell) ausgewählten Fällen zusteuert. Auf die "maschinelle" Auswahl von Fällen für eine Anschlussprüfung dürfte der Gedanke, dass keine Begründung hierfür erforderlich ist, übertragbar sein.
3. Die zweite nicht aus den Leitsätzen ersichtliche wesentliche Aussage des BFH befasst sich mit Fragen der Rechtskraft bei Ermessensentscheidungen und Prüfungsanordnungen: Dass ein Gericht eine Ermessensentscheidung bzw. Prüfungsanordnung aufhebt ("kassiert"), schließt es nicht aus, dass das FA sie mit anderer oder ergänzter Begründung neu erlässt.
4. Klargestellt hat der BFH beiläufig, das...