Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Befugnis der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden. Auf die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen anwendbarer ermäßigter Mehrwertsteuersatz. Anwendung dieses Satzes allein auf Beherbergungseinrichtungen, die über eine Einstufungsbescheinigung verfügen. Grundsatz der steuerlichen Neutralität
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 98 Abs. 2; EGRL 112/2006 Anhang III Nr. 12
Beteiligte
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite |
Verfahrensgang
Varhoven administrativen sad (Bulgarien) (Beschluss vom 18.11.2022; ABl. EU 2023, Nr. C 63/21) |
Tenor
Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen der Verpflichtung unterliegt, dass eine solche Einrichtung über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügt, soweit diese Regelung die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht auf konkrete und spezifische Aspekte der Kategorie der in Hotels und ähnlichen Einrichtungen erbrachten Beherbergungsdienstleistungen beschränkt oder sie, sofern sie diese Anwendung auf solche konkreten und spezifischen Aspekte beschränkt, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht beachtet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 18. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 29. November 2022, in dem Verfahren
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite
gegen
„Valentina Heights” EOOD
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, vertreten durch E. Pavlova,
- der „Valentina Heights” EOOD, vertreten durch D. D. Dimitrova, Advokat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und D. Drambozova als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 und von Anhang III Nr. 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer-/Sozialversicherungspraxis” für Sofia bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien, im Folgenden: Direktor) und der „Valentina Heights” EOOD über die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Tätigkeiten dieser Gesellschaft während eines Zeitraums, in dem sie keine Einstufungsbescheinigung für die von ihr betriebene Beherbergungseinrichtung besaß.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.”
Rz. 4
Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
…”
Rz. 5
In Art. 135 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
l) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.
(2) Die folgenden Umsätze sind von der Befreiung nach Absatz 1 Buchstabe l ausgeschlossen:
a) Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf Grundstücken, die als Campingplätze erschlossen sind;
…”
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