Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollprüfung, nachträgliche Zollprüfung, Beschränkung der Möglichkeit einer nachträglichen Zollprüfung, Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Art. 78 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die die Möglichkeit der Zollbehörden einschränkt, eine erneute nachträgliche Prüfung vorzunehmen und daraus die Konsequenzen zu ziehen, indem eine neue Zollschuld festgesetzt wird, soweit sich diese Beschränkung auf einen Zeitraum von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der ursprünglichen Zollschuld bezieht, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 78 Abs. 3
Beteiligte
Verfahrensgang
Augstakas tiesas Senata Administrativo (Lettland) (Beschluss vom 11.09.2014; ABl. EU 2014, Nr. C 421/21) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Nachträgliche Prüfung der Anmeldungen ‐ Grundsatz des Vertrauensschutzes ‐ Beschränkung der Überprüfung der Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung im nationalen Recht ‐ Möglichkeit ‐ Bescheid über die erste nachträgliche Prüfung ‐ Angaben, deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids nicht bekannt war“
In der Rechtssache C-427/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Administratīvo lietu departaments (Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten des obersten Verwaltungsgerichtshofs, Lettland) mit Entscheidung vom 11. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 18. September 2014, in dem Verfahren
Valsts ieņēmumu dienests
gegen
„Veloserviss“ SIA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger und des Richters S. Rodin (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und K. Freimanis als Bevollmächtigte,
‐ der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou und K. Nasopoulou als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sauka und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 78 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Valsts ieņēmumu dienests (lettische Steuerverwaltung, im Folgenden: Steuerverwaltung) und der „Veloserviss“ SIA (im Folgenden: Veloserviss) über die Erhebung von Einfuhrabgaben und Mehrwertsteuer zuzüglich Verzugszinsen bei einer nachträglichen Prüfung einer Zollanmeldung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 78 („Nachträgliche Prüfung der Anmeldungen“) des Zollkodex bestimmt:
„(1) Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen.
(2) Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren die Geschäftsunterlagen und anderes Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit diesen Waren steht, prüfen, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung zu überzeugen. Diese Prüfung kann beim Anmelder, bei allen in geschäftlicher Hinsicht mittelbar oder unmittelbar beteiligten Personen oder bei allen anderen Personen durchgeführt werden, die diese Unterlagen oder dieses Material aus geschäftlichen Gründen in Besitz haben. Die Zollbehörden können auch eine Überprüfung der Waren vornehmen, sofern diese noch vorgeführt werden können.
(3) Ergibt die nachträgliche Prüfung der Anmeldung, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist, so treffen die Zollbehörden unter Beachtung der gegebenenfalls erlassenen Vorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regel...