Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerüberhang, Verzögerung der Erstattung eines Vorsteuerguthabens bei teilweisen Zweifeln an Rechtmäßigkeit des Vorsteueranspruchs, Bekämpfung von Steuerhinterziehung
Normenkette
EWGRL 112/2006 Art. 179, 183, 273
Beteiligte
Finanční úřad pro Středočeský kraj |
Verfahrensgang
Nejvyssí správní soud (Tschechien) (Beschluss vom 31.05.2018; ABl. EU 2018, Nr. C 328/28) |
Tenor
Die Art. 179, 183 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die für die Steuerbehörde nicht die Möglichkeit vorsieht, vor Abschluss eines Steuerprüfungsverfahrens betreffend eine Mehrwertsteuererklärung, in der für einen bestimmten Steuerzeitraum ein Vorsteuerüberschuss ausgewiesen ist, die Erstattung des Teils dieses Überschusses zu bewilligen, der sich auf Umsätze bezieht, die von diesem Verfahren zum Zeitpunkt seiner Einleitung nicht erfasst sind, es sei denn, es ist möglich, eindeutig, genau und unmissverständlich festzustellen, dass ein Vorsteuerüberschuss, dessen Betrag möglicherweise geringer sein kann als der, der sich auf von diesem Verfahren nicht erfasste Umsätze bezieht, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens übrig bleibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 31. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2018, in dem Verfahren
Agrobet CZ s. r. o.
gegen
Finanční úřad pro Středočeský kraj
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter P. G. Xuereb und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Agrobet CZ s. r. o., vertreten durch M. Jelínek und O. Moravec, advokáti,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Salyková als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Dezember 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 179, 183 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) sowie des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Agrobet CZ s. r. o. (im Folgenden: Agrobet) und dem Finanční úřad pro Středočeský kraj (Finanzamt für Mittelböhmen, Tschechische Republik) wegen des Einbehalts eines Vorsteuerüberschusses durch diese Behörde nach Einleitung einer steuerrechtlichen Überprüfung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.”
Rz. 4
Art. 167 dieser Richtlinie sieht vor:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 5
In Art. 168 Buchst. a der Richtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…”
Rz. 6
In Art. 179 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird.”
Rz. 7
Art. 183 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Übersteigt der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.”
Rz. 8
Art. 273 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„D...