Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom. Gestaffelte Verbrauchsteuersätze, bei denen zwischen betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung dieser Erzeugnisse unterschieden wird. Fakultative Steuerbefreiungen und -ermäßigungen. Stellung eines Antrags auf fakultative Steuerermäßigung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor Ablauf der Frist für die Festsetzung der betreffenden Steuer. Grundsatz der Rechtssicherheit. Effektivitätsgrundsatz. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Normenkette
EGRL 96/2003 Art. 5 vierter Gedankenstrich
Beteiligte
Shell Deutschland Oil GmbH |
Verfahrensgang
Tenor
Der Effektivitätsgrundsatz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts sind wie folgt auszulegen: Im Rahmen der Umsetzung einer Bestimmung wie Art. 5 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, wonach die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen gestaffelte Steuersätze anwenden können, bei denen zwischen betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung der von dieser Richtlinie erfassten Energieerzeugnisse bzw. von elektrischem Strom unterschieden wird, stehen diese Grundsätze einer nationalen Regelung entgegen, nach der die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Steuerentlastung, der innerhalb der im nationalen Recht vorgesehenen Frist für die Festsetzung der betreffenden Steuer gestellt wurde, automatisch und ausnahmslos ablehnen müssen, allein weil der Antragsteller die im nationalen Recht für eine solche Antragstellung festgelegte Frist nicht eingehalten hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. September 2021, in dem Verfahren
Hauptzollamt Hamburg
gegen
Shell Deutschland Oil GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters N. Piçarra (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Hauptzollamts Hamburg, vertreten durch C. Schaade als Bevollmächtigten,
- der Shell Deutschland Oil GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin J. Dengler sowie Rechtsanwälte L. Freiherr von Rummel und R. Stein,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts in Verbindung mit Art. 5 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. 2003, L 283, S. 51).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Hauptzollamt Hamburg (Deutschland) (im Folgenden: Hauptzollamt) und der Shell Deutschland Oil GmbH (im Folgenden: Shell) wegen der Weigerung des Hauptzollamts, Shell von der Energiesteuer auf von ihr zu betrieblichen Zwecken verheizte Energieerzeugnisse zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 3, 17 und 21 der Richtlinie 2003/96 lauten:
„(3) Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erreichung der Ziele der anderen Gemeinschaftspolitiken erfordern die Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträgen für die meisten Energieerzeugnisse einschließlich elektrischen Stroms, Erdgas und Kohle.
…
(17) Je nach Verwendung der Energieerzeugnisse und des elektrischen Stroms sind unterschiedliche gemeinschaftliche Mindeststeuerbeträge festzusetzen.
…
(21) In steuerlicher Hinsicht kann zwischen betrieblicher und nichtbetrieblicher Verwendung von Energieerzeugnissen und von Strom unterschieden werden.”
Rz. 4
Art. 5 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können unter Steueraufsicht gestaffelte Steuersätze anwenden, soweit diese die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten und mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, und zwar in den folgenden Fällen:
…
- es wird bei den in den Artikeln 9 [Heizstoffe] und 10 [elektrischer Strom] genannten Energieerzeugnissen bzw. dem elektrischen Strom zwischen betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung unterschieden.”
Rz. 5
In Art. 6 der Richtlinie heißt es:
„Den Mitgliedstaaten steht es frei, die in dieser Richtlinie vorgesehenen S...