Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Steuerbefreiung in Anhängigkeit vom Hauptwohnsitz in Griechenland, Erbschaftsteuerbefreiung, EWR-Abkommen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Hellenische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV und Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass sie Rechtsvorschriften erlassen und aufrechterhalten hat, die eine Befreiung von der Erbschaftsteuer für den Hauptwohnsitz vorsehen, die nur auf Staatsangehörige der Europäischen Union Anwendung findet, die in Griechenland wohnen.
2. Die Hellenische Republik trägt die Kosten.
Normenkette
EWR-Abkommen Art. 40; AEUV Art. 63
Beteiligte
Kommission / Griechenland |
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Steuerwesen ‐ Kapitalverkehrsfreiheit ‐ Art. 63 AEUV ‐ Art. 40 des EWR-Abkommens ‐ Erbschaftsteuer ‐ Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Befreiung von der Erbschaftsteuer für den Hauptwohnsitz unter der Bedingung vorsieht, dass der Erbe seinen ständigen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat ‐ Beschränkung ‐ Rechtfertigung“
In der Rechtssache C-244/15
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 27. Mai 2015,
Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou und W. Roels als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Hellenische Republik, vertreten durch M. Tassopoulou und V. Karrá als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV und Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR) verstoßen hat, dass sie Rechtsvorschriften erlassen und aufrechterhalten hat, die eine Befreiung von der Erbschaftsteuer für den Hauptwohnsitz vorsehen, die diskriminierend ist, da sie nur auf Staatsangehörige der Europäischen Union Anwendung findet, die in Griechenland wohnen.
Rechtlicher Rahmen
Griechisches Recht
Rz. 2
Art. 26A Abs. 1 („Befreiung für den Hauptwohnsitz“) des Erbschaftsteuergesetzbuchs sieht vor:
„Eine Wohnimmobilie oder ein Grundstück, das vom Ehegatten oder vom Kind des Erblassers als Voll- oder Miteigentum geerbt wird, ist von der Erbschaftsteuer befreit, soweit dem Käufer bzw. dem Vermächtnisnehmer oder seinem Ehegatten oder einem seiner minderjährigen Kinder kein Volleigentumsrecht, Nießbrauchsrecht oder Wohnrecht an einer Wohnimmobilie oder einem Teil einer solchen, die bzw. der dem Wohnbedarf ihrer Familie genügt, bzw. kein Volleigentumsrecht an einem Baugrundstück oder einem Grundstücksanteil zusteht, das bzw. der flächenmäßig eine ihrem Wohnraumbedarf genügende Bebauung zulässt und in einer Gemeinde mit mehr als 3 000 Einwohnern liegt. Der Wohnraumbedarf gilt als gedeckt, wenn die Gesamtfläche dieser unbeweglichen Sachen und der anderen unbeweglichen Sachen des Nachlasses 70 m² zuzüglich 20 m² für jedes der ersten beiden Kinder und 25 m² für das dritte und jedes folgende Kind, für das der Begünstigte sorgeberechtigt ist, beträgt. In den Genuss der Befreiung kommen Griechen und Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Begünstigten müssen ihren ständigen Wohnsitz in Griechenland haben.“
Vorverfahren
Rz. 3
Nach einem erfolglosen Austausch mit der Hellenischen Republik im Rahmen des „EU-Pilot“-Systems richtete die Kommission am 25. Januar 2013 ein Mahnschreiben an diesen Mitgliedstaat, in dem sie darauf hinwies, dass Art. 26A Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzbuchs mit Art. 63 AEUV und Art. 40 des EWR-Abkommens unvereinbar sei.
Rz. 4
In ihrem Antwortschreiben vom 26. März 2013 trug die Hellenische Republik vor, diese nationale Bestimmung sei mit den von der Kommission angeführten Vorschriften vereinbar.
Rz. 5
Da die Kommission diese Antwort für nicht zufriedenstellend hielt, gab sie am 21. November 2013 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, die die Hellenische Republik mit Schreiben vom 21. März 2014 beantwortete, in dem sie die Vereinbarkeit der Bestimmung mit dem Unionsrecht bekräftigte und auf ihren im Antwortschreiben auf das Mahnschreiben der Kommission vertretenen Standpunkt verwies.
Rz. 6
Die Kommission hat deshalb beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
Entscheidungsgründe
Zur Klage
Vorbringen der Parteien
Rz. 7
Die Kommission macht geltend, Art. 26A Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzbuchs verstoße gegen die in Art. 63 AEUV und Art. 40 des EWR-Abkommens garantierte Kapitalverkehrsfreiheit.
Rz. 8
Nach der streitigen Bestimmung könnten zwei unterschiedliche Katego...