Leitsatz
1. a) Welche Anforderungen sind an die Annahme eines gemeinsamen Handelns i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung der Kommission 2003/361/EG vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Empfehlung) zu stellen: Genügt insoweit bereits jegliche unternehmensbezogene Kooperation der an beiden Unternehmen beteiligten natürlichen Personen, die ohne Streitigkeiten oder zu Tage tretende Interessengegensätze stattfindet, oder ist vielmehr ein erkennbar abgestimmtes Verhalten dieser Personen erforderlich?
b) Falls ein abgestimmtes Verhalten erforderlich ist: Folgt dieses bereits aus einer rein tatsächlichen Kooperation?
2. Ist, wenn kein Fall der Verpflichtung zu einem konsolidierten Abschluss besteht, bei der Frage, ob ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmen über eine Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen verbunden ist, über die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung aufgeführten "Beziehungen" hinaus weiterhin eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der Aspekte wie die Eigentumsverhältnisse – hierbei insbesondere die Zugehörigkeit der Anteilseigner zu einer Familie –, die Beteiligungsstruktur und die wirtschaftliche Integration – insbesondere auch die Identität der Geschäftsführer – der betroffenen Unternehmen zu untersuchen sind?
3. Für den Fall, dass auch unter der Geltung der KMU-Empfehlung eine über die formale Betrachtung hinausgehende wirtschaftliche Gesamtbetrachtung möglich ist: Setzt dies die Absicht oder zumindest das Risiko der Umgehung der KMU-Definition voraus?
Normenkette
§ 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, produziert Kunststoffteile. Gesellschafter sind A (24,8 %), seine Ehefrau B (62,8 %) sowie C (12,4 %), Geschäftsführer sind A und C. A und seine Mutter sind zudem zu je 50 % Gesellschafter der X-GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls A und C sind.
Die Klägerin wurde anfangs durch Bürgschaften der X-GmbH unterstützt und ist seit ihrer Gründung für mindestens fünf Jahre durch einen "Geschäftsbesorgungsvertrag" mit der X-GmbH verbunden, aufgrund dessen sie sämtliche Aufträge von dieser erhielt. Am Markt tritt nur die X-GmbH in Erscheinung. Die Betriebsleitung der Klägerin wird nach dem Vertrag laufend von der X-GmbH fachlich angeleitet. Einkauf, EDV und Forschung der Klägerin sind auf die X-GmbH ausgelagert.
Mitarbeiterzahl sowie Umsatz- und Bilanzzahlen der Klägerin liegen unter den Schwellenwerten der KMU-Empfehlung. Die X-GmbH überschreitet sie.
Die Investitionsbank S beurteilte die Klägerin als KMU und bewilligte ihr deshalb erhöhte Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
Das FA sah in der Klägerin dagegen ein mit der X-GmbH verbundenes Unternehmen und demzufolge die KMU-Schwellenwerte als überschritten an. Er gewährte der Klägerin für 2006 nur die Grundzulage (12,5 %) und nicht die beantragte erhöhte Investitionszulage (25 %) nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005.
Das FG Sachsen-Anhalt vom 24.2.2011, 1 K 1725/07, Haufe-Index 2731251, EFG 2011, 1921, wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den EuGH angerufen, damit dieser die aus den Leitsätzen ersichtlichen Fragen beantwortet, die voraussichtlich auch für weitere Fälle entscheidungserheblich sein werden.
Hinweis
1. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden zulagenrechtlich bevorzugt: Nach § 2 Abs. 7 InvZulG 2005 erhöht sich die Investitionszulage auf 25 %, wenn die beweglichen Wirtschaftsgüter während des Fünfjahreszeitraums in einem begünstigten KMU verbleiben. Das InvZulG 2010 privilegiert KMU durch erhöhte Zulagesätze und die Verkürzung der Bindungsfrist von 5 auf 3 Jahre.
2. Für die nach der KMU-Empfehlung vorzunehmende Berechnung der Mitarbeiterzahlen und der finanziellen Schwellenwerte sind eigenständige Unternehmen von wirtschaftlichen Gruppen – verbundenen oder Partnerunternehmen – zu unterscheiden.
Unternehmen sind danach verbunden, wenn ein Unternehmen am anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte hält, berechtigt ist, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des anderen Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen, aufgrund eines Vertrags oder einer Satzungsklausel einen beherrschenden Einfluss auf das andere Unternehmen hat oder kraft einer Vereinbarung die alleinige Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte in dem anderen Unternehmen ausüben kann. Diese Kriterien entsprechenden jenen, die europarechtlich für die Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses maßgebend sind.
Über diese klaren gesellschafts- oder konzernrechtlichen Kriterien hinaus gelten Unternehmen auch dann als verbunden, wenn sie durch eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in einer der vorstehend aufgeführten Beziehungen stehen und ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten täti...