Leitsatz
1. Die in § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende Definition der KMU ist europarechtlich zu interpretieren.
2. Eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs zur KMU-Empfehlung setzt weder eine vertragliche Beziehung noch eine Umgehungsabsicht voraus.
Ob eine tatsächlich gemeinsam handelnde Gruppe vorliegt, ist anhand einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der im Einzelfall vorliegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu prüfen.
3. Die bei der Gewährung von Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" getroffene Entscheidung der Behandlung als KMU ist für die Entscheidung über die erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 InvZulG 2005 nicht bindend.
Normenkette
§ 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005, Anhang Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 4 KMU-Empfehlung der Europäischen Kommission 2003/361/EG vom 6.5.2003
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, produziert Kunststoffteile. Gesellschafter sind A (24,8 %), seine Ehefrau B (62,8 %) sowie C (12,4 %). Geschäftsführer sind A und C. A und seine Mutter sind zudem zu je 50 % Gesellschafter der X-GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls A und C sind.
Die Klägerin wurde anfangs durch Bürgschaften der X-GmbH unterstützt und ist seitdem mit dieser durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag verbunden. Am Markt tritt nur die X-GmbH in Erscheinung. Die Betriebsleitung der Klägerin wird nach dem Vertrag laufend von der X-GmbH fachlich angeleitet. Einkauf, EDV und Forschung der Klägerin sind auf die X-GmbH ausgelagert. Mitarbeiterzahl sowie Umsatz- und Bilanzzahlen der Klägerin liegen unter den Schwellenwerten der KMU-Empfehlung. Die X-GmbH überschreitet sie.
Die Investitionsbank S beurteilte die Klägerin als KMU und bewilligte ihr deshalb erhöhte Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
Das FA sah in der Klägerin ein mit der X-GmbH verbundenes Unternehmen, sodass die KMU-Schwellenwerte überschritten waren. Es gewährte der Klägerin für 2006 statt der beantragten erhöhten Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 (25 %) nur die Grundzulage von 12,5 %.
Nachdem das FG Sachsen-Anhalt vom 24.2.2011, 1 K 1725/07, Haufe-Index 2731251, EFG 2011, 1921 die Klage abgewiesen hatte, setzte der BFH das Verfahren wegen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH aus.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin war unbegründet.
Hinweis
1. Die Einstufung als Kleines oder Mittleres Unternehmen (KMU) ist u.a. für die Ende 2013 ausgelaufene Investitionszulage von Bedeutung, so für den Bindungszeitraum (§ 2 Abs. 1 Satz 3 InvZulG 2010) und den Fördersatz (§ 6 Abs. 2 InvZulG 2010).
2. Das EuGH-Urteil vom 27.2.2014, C-110/13 (ABlEU 2014, Nr. C 112, Satz 15) hatte die im BFH-Beschluss vom 20.12.2012, III R 30/11 (BFH/NV 2013, 655, BFH/PR 2013, 170) gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
„Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen ist dahin auszulegen, dass Unternehmen als ‚verbunden’ im Sinne dieses Artikels angesehen werden können, wenn die Prüfung der zwischen ihnen bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ergibt, dass sie, vermittels einer natürlichen Person oder einer gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen, eine einzige wirtschaftliche Einheit bilden, auch wenn sie formal nicht in einer der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs aufgeführten Beziehungen zueinander stehen.
Als gemeinsam handelnd im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs sind natürliche Personen anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, sodass diese Unternehmen nicht als wirtschaftlich voneinander unabhängig angesehen werden können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, und es ist nicht zwingend erforderlich, dass zwischen den fraglichen Personen vertragliche Beziehungen bestehen oder dass sie auch nur die Absicht haben, die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen im Sinne der genannten Empfehlung zu umgehen.”
3. Der BFH hat danach entschieden, dass die § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende Definition der KMU europarechtlich zu interpretieren ist. Dies muss auch für andere Gesetzesfassungen gelten, also § 2 Abs. 1 Satz 3 InvZulG 2010 und § 2 Abs. 1 Satz 4 InvZulG 2007.
4. Entgegen der Absicht des Gesetzgebers, dass das FA die KMU-Einstufung der Wirtschaftsbehörde übernehmen soll, wenn diese nicht offensichtlich unzutreffend ist, besteht weder eine rechtliche Bindung nach § 171 Abs. 10 AO (Grundlagenbescheid) noch eine sog. Tatbestandswirkung der ressortfremden Behördenentscheidung. Die Entscheidung des FA unterliegt mithin der uneingeschränkten Kontrolle der Finanzgerichtsbarkeit.
5. Für die nach der KMU-Empfehlung vorzunehmende B...