Leitsatz
Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann festzustellen, wenn die ESt für diesen Veranlagungszeitraum aufgrund Verjährung nicht mehr festgesetzt werden kann.
Normenkette
§ 10d Abs. 3 EStG 1994
Sachverhalt
Für die Jahre 1990 bis 1993 war die ESt der Kläger (Eheleute) jeweils auf 0 DM festgesetzt worden; der Gesamtbetrag der Einkünfte war stets negativ. Den verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1993 hatte das FA für den Kläger auf 3.916.097 DM und für die Klägerin auf 11.579 DM festgestellt.
Im Jahr 2001 stellte das FA fest, dass die ESt-Festsetzung für das Jahr 1994 versäumt worden und zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten war. Eine "Probeveranlagung" ergab einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 10.250.870 DM. Daraufhin erließ das FA einen Bescheid, in dem es den verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1994 auf 0 DM feststellte. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück. Er bestätigte die Auffassung von FA und FG, dass trotz des Eintritts der Festsetzungsverjährung für die ESt 1994 der zum 31.12.1993 verbliebene Verlustabzug mit dem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahrs 1994 verrechnet werden darf.
Hinweis
1. Im Besprechungsfall waren sowohl die Festsetzungsfrist für die ESt 1994 als auch die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.1994, für die die nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften der §§ 169 bis 171 AO sinngemäß gelten, bereits abgelaufen. Das FA war gem. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO gleichwohl zur Durchführung der gesonderten Feststellung auf den 31.12.1994 berechtigt, weil diese Feststellung Bedeutung für künftige ESt-Festsetzungen hatte (vgl. BFH, Urteil vom 12.6.2002, XI R 26/01, BFH-PR 2002, 468).
2. Die Kläger hatten im Streitfall argumentiert, der Verbrauch des verbleibenden Verlustabzugs aufgrund einer hypothetischen Probeveranlagung gehe über den Wortlaut des § 10d EStG hinaus; das FA wolle auf diese Weise Versäumnisse bei der Veranlagung 1994 korrigieren.
Tatsächlich stützen der Wortlaut und der Sinn und Zweck der Regelung zur Ermittlung des verbleibenden Verlustabzugs in § 10d Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG 1994 aber die Auffassung des FA. Denn danach kommt es gerade nicht darauf an, dass der dort aufgeführte "Gesamtbetrag der Einkünfte" bereits Gegenstand einer Veranlagung gewesen ist. Der Gesetzgeber hat das besondere Verfahren der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs als selbstständiges Verfahren ausgestaltet, in dem eine eigenständige Berechnung vorzunehmen ist.
Deshalb war hier der auf den 31.12.1994 festzustellende verbleibende Verlustabzug – unabhängig davon, ob für 1994 eine Veranlagung durchgeführt worden ist – so zu berechnen, wie er sich bei zutreffender Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und des Verlustrücktrags und -vortrags nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG ergeben hätte (sog. Soll-Verlustabzug).
3. Im verselbstständigten Verfahren der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gilt der Grundsatz: Rechtsrichtigkeit hat Vorrang vor Rechtssicherheit. Deshalb konnten die Kläger hier nicht davon profitieren, dass das FA die ESt-Festsetzung 1994 versäumt hatte. Umgekehrt hat der BFH in vergleichbarer Weise entschieden, dass das FA (zugunsten der Steuerpflichtigen) einen verbleibenden Verlustabzug auch dann noch feststellen muss, wenn eine ESt-Veranlagung wegen Ablaufs der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG nicht mehr durchgeführt werden kann (BFH, Urteil vom 1.3.2006, XI R 33/04, BFH/NV 2006, 1204).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 2.8.2006, XI R 65/05