rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertungsverbot für Zufallsfunde. Einstweilige Beschlagnahme. Gefahr im Verzug. Inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird die Steuerfahndung zum Zeitpunkt der Mitnahme von Unterlagen erkennbar als Strafverfolgungsbeörde tätig, richtet sich die Beurteilung der Maßnahme nach der Strafprozessordnung.
2. Werden Gegenstände nach § 108 Abs. 1 Satz 1 StPO einstweilig in Beschlag genommen, ist die Straf- und Bußgeldsachenstelle hiervon in Kenntnis zu setzen und von dieser die Beschlagnahme herbeizuführen oder die Sachen freizugeben.
3. Besteht Gefahr in Verzug nicht mehr, ist die Beschlagnahme richterlich neu anzuordnen.
4. Die einstweilige Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn die Straf- und Bußgeldsachenstelle es unterlässt, in angemessnener Frist ein neues Verfahren einzuleiten und die endgültige Beschlagnahme zu beantragen.
5. Zwar besteht im Besteuerungsverfahren ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, nicht; jedoch ist ein Verwertungsverbot ernstlich möglich, wenn die Beschlagnahme von einem Ermittlungsrichter nicht bestätigt worden wäre.
6. Dass die Mitnahme von Unterlagen vom zuständigen Ermittlungsrichter nicht für rechtswidrig erklärt worden ist, steht einem Verwertungsverbot nicht entgegen.
7. Unterlässt es die Steuerfahndung, eine richterliche Entscheidung über ihre Maßnahme herbeizuführen, ist die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen inzident bei der Steuerfestsetzung zu überprüfen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; AO § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 399 Abs. 1; StPO §§ 94, 98, 108 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Vollziehung der Bescheide über Körperschaftsteuer für 1996 bis 1998, die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG zum 31.12.1996, 31.12.1997 und 31.12.1998, die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1996 und 31.12.1997 sowie über den Gewerbesteuermessbetrag für 1996 und 1998, jeweils vom 15. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2007, wird ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin mit Sitz in – A –, B-Str.111, wurde im April 1995 gegründet und handelt mit Plastikartikeln wie z.B. Benzinkanistern und mit Maschinen. Bis November 2005 war Frau F.G. Geschäftsführerin und Herr L.G. faktischer Geschäftsführer; seither ist Herr G. alleiniger Geschäftsführer.
Herr G. war in den Streitjahren außerdem faktischer Geschäftsführer der Firma Y-GmbH, ebenfalls mit Sitz in – A –, B-Str.111. Geschäftsführer der Firma Y-GmbH ist Herr H.T., – Z –.
Am 5. März 2003 erging in dem Ermittlungsverfahren gegen H.T. wegen des Verdachts der
- Umsatzsteuerhinterziehung wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für die Zeiträume Januar bis Dezember 2002
- Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuerhinterziehung 2000 – 2001 durch Nichtabgabe der Steuererklärungen
zugunsten der Firma Y-GmbH ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts (AG) – R – (Az…), in dem u.a. die Durchsuchung der Geschäfts- und Nebenräume der Fa. Y-GmbH sowie die Beschlagnahme diesbezüglicher Unterlagen angeordnet wurde.
Die Durchsuchung fand am 13. März 2003 ab 9 Uhr u.a. durch den Steuerfahnder S. statt. Bei der Durchsuchung des Büros der Fa. Y-GmbH wurde festgestellt, dass sich dort in größerem Umfang auch Buchhaltungsunterlagen der Antragstellerin befanden und Herr G. faktischer Geschäftsführer beider Firmen war. Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Antragstellerin für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 keine Steuererklärungen, die Eheleute G. seit 1998 keine Einkommensteuererklärungen mehr abgegeben. Die Steuerfahndung leitete gegen die Eheleute G. das Steuerstrafverfahren ein, gab ihnen dies ausweislich des Durchsuchungsberichts (handschriftlicher Vermerk) bekannt und nahm auch die Unterlagen bzgl. der Antragstellerin mit.
Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts (FA) – R – wertete die Unterlagen bzgl. der Antragstellerin aus und kam in den Berichten vom 4. April 2005 bzw. 22. August 2006 zu dem Schluss, dass die Antragstellerin am 30. April 1996 ein Bankkonto auf ihren Namen bei der … eröffnet, in der Folgezeit die Geldbewegungen dieses Kontos aber nicht in der Buchführung erfasst habe. Die Geldzuflüsse von Kunden auf diesem Konto wurden zu Unrecht nicht als Betriebseinnahmen erfasst.
Der Antragsgegner folgte den Steuerfahndungsberichten und erließ auf den Bericht vom 4. April 2005 hin am 12. Juli 2005 geänderte Bescheide über
- Körperschaftsteuer für 1996 bis 1998
- die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) zum 31.12.1996, 31.12.1997 und 31.12.1998
- die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1996, 31.12.1997, und 31.12.1998
- den Gewerbesteuermessbetrag für 1996 bis 1998 sowie
- die gesonderte...