Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtgewährung des Vorsteuerabzugs bei einem Umsatzsteuerkarussell
Leitsatz (redaktionell)
1. Steht aufgrund objektiver Umstände fest, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine „Mehrwertsteuerhinterziehung” mündet, verliert er sein Recht auf den Vorsteuerabzug.
2. Je näher die Verbindung zum Missing-Trader ist, desto wahrscheinlicher ist eine Kenntnis von der Einbindung in eine „Mehrwertsteuerhinterziehung”.
3. Die Beteiligung an einer „Mehrwertsteuerhinterziehung” erfordert nicht eine strafbare Steuerhinterziehung nach nationalem Recht; insoweit ist lediglich erforderlich, dass eine bewusste Pflichtwidrigkeit vorliegt.
4. Bei der Beschäftigung eines bösgläubigen Arbeitnehmers sind Vorsteuern aus einem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell nicht zum Abzug zuzulassen.
5. Die Versagung des Vorsteuerabzugs beim Missing-Trader stellt keinen Verstoß gegen das umsatzsteuerliche Neutralitätsprinzip dar.
Normenkette
UStG § 13 Abs. 2 Nr. 4, § 14 Abs. 3 S. 2, § 2. Alt., § 15 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Bei der Klägerin handelte es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie wurde im Jahr 1997 gegründet und ins Handelsregister eingetragen. Das Stammkapital betrug DM 50.000,–. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war Herr A.B., der daneben die Firma A.B., … betrieb. Gegenstand des Unternehmens war laut Gewerbeanmeldung und Gesellschaftsvertrag der Handel mit Computerteilen. Das Geschäft wurde mit zwei Angestellten – Herrn C.C. und Frau F.F. – betrieben. Herr A.B. war dabei für die finanzielle Abwicklung der einzelnen Geschäfte verantwortlich; der laufende Geschäftsbetrieb wurde durch Herrn C.C. und Frau F.F. abgewickelt. Frau F.F. hatte im Gegensatz zu Herrn C.C., der dies nicht wollte, umfassende Vertretungsmacht für den Handel mit Computerprozessoren. Vor ihrer Tätigkeit bei der Klägerin waren Herr C.C. und Frau F.F. bei der Firma – Y – beschäftigt. Die Beschäftigungsverhältnisse endeten, nachdem der Geschäftsführer der Firma wegen Steuerhinterziehung inhaftiert worden war. Davor hatte Herr C.C. bereits im Vertrieb der Computerfirmen – Z – und – W – gearbeitet.
Aufgrund einer Prüfung der Steuerfahndungsstelle (Steufa) beim Finanzamt K (Ermittlungsverfahren „…”) und den daraus resultierenden Feststellungen (vgl. Strafrechtlicher und steuerlicher Ermittlungsbericht vom 05. Dezember 2002, Bl 6 ff der Steuerfahndungsakte) erließ das beklagte Finanzamt mit Datum vom 04. Juli 2003 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1999 und 2000 sowie mit Datum vom 07. Juli 2003 geänderte Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für die Monate Januar und Februar 2001 (zwischenzeitlich Jahressteuerbescheid vom 11. Oktober 2006). Die Ermittlungen der Steufa hatten nichtabzugsfähige Vorsteuern ergeben (keine Lieferungen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes mangels Verschaffung der Verfügungsmacht) in Höhe von DM 20.071.462,08 (ger. EUR 10.262.376,–) im Jahr 1999, DM 20.777.535,11 (ger. EUR 10.623.385,–) im Jahr 2000 und DM 2.095.858,12 (ger. EUR 1.071.595,–) bei den Voranmeldungen für die Monate Januar und Februar 2001. Die in den Ausgangsrechnungen ausgewiesene und entrichtete Umsatzsteuer blieb unverändert, da die Umsatzsteuer aus den Ausgangsrechnungen nach § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt. Umsatzsteuergesetz (UStG) i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 4 UStG geschuldet werde. Hieraus resultierten Nachzahlungsansprüche zu Lasten der Klägerin in Höhe von EUR 10.262.375,46 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 1.385.417,00 für das Jahr 1999, EUR 10.616.077,56 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 560.602,00 für das Jahr 2000 sowie EUR 1.071.594,82 für die Monate Januar und Februar 2001.
Nach den Ermittlungen der Steufa hat sich die Klägerin an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt. Die Klägerin nahm innerhalb des Karussells die Stellung eines sog. Buffers II ein. Sie bezog dabei ihre Waren (Central Processing units – CPUs) nahezu ausschließlich von einem anderen Buffer (Firma – V – GmbH) und verkaufte sie an weitere, an dem Karussell beteiligte Firmen, insbesondere an die Firma D.L. AG als sog. Distributor. Hierbei ist es nach Berechnungen der Steufa auch zu Doppel- und Mehrfachdurchläufen derselben Ware gekommen (über den gesamten Prüfungszeitraum berechnete sie, dass 10 Prozent der gehandelten Waren nicht nur einmal, sondern mehrfach bezogen und weiterverkauft wurden). Auch nach den Feststellungen im Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts K gegen Verantwortliche der Firma – V – GmbH (Az: 3 KLs 59 Js 6992/01) war die Klägerin an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt. Ein deswegen gegen Herrn A.B. eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde allerdings nach § 170 Abs...