Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft eines Chortenors. Nichtrückkehrtage bei Tätigkeiten für mehrere Arbeitgeber. Vergütungen für Chorproben fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971. Auslegung einer Äußerung eines Steuerpflichtigen als Rechtsbehelf. Wohnmobil ist keine Wohnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Chortenor eines Schweizer Opernhauses, der in den Geschäftsbetrieb des Opernhauses eingegliedert ist und neben einer festen Vergütung eine nach Schweizer Recht nur für Arbeitnehmer vorgesehene „Ferienentschädigung” für die Ferienzeit nach Ende der Spielzeit von Juli bis September erhält, ist nicht allein deshalb als selbstständig anzusehen, weil seine Tätigkeit für das Opernhaus auf einer Vielzahl von sog. „Chorzuzügerverträgen” beruht.
2. Die für die Abgrenzung zwischen selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit wesentlichen Merkmale können nicht durch die Einführung einer zeitlichen Begrenzung von bestimmten Tagen ersetzt werden, wobei bei einer länger andauernden Tätigkeit eines „Gastspielers” eine nichtselbstständige Tätigkeit anzunehmen sei.
3. Der Senat hält daran fest, dass es bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage eines Grenzgängers zur Schweiz keine Rolle spielt, ob bei einer ununterbrochenen Tätigkeit in der Schweiz (wie z. B. im Streitfall) der Arbeitnehmer seine Tätigkeit für einen oder mehrere Arbeitgeber ausgeübt hat.
4. Die Vergütungen für Chorproben werden nicht für einen öffentlichen Auftritt des Chorsängers als berufsmäßiger Künstler gezahlt und fallen somit – anders als die Vergütungen für Auftritte – nicht in den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971.
5. Lässt die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er einen Rechtsbehelf einlegen will, so ist die Erklärung im Allgemeinen im Wege der rechtsschutzgewährenden Auslegung als Rechtsbehelf zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern.
6. Mobile Einrichtungen aller Art (wie z. B. auch Wohnmobile) gelten nicht als Wohnung im Sinne von § 8 AO.
Normenkette
DBA CHE 1971/2010 Art. 17 Abs. 1 S. 1; DBA CHE Art. 15 Abs. 1 S. 2, Art. 15a, 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d, Nr. 2; EStG § 1 Abs. 1, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO §§ 347, 8; BGB § 133
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom 6. April 2016 wird die Einkommensteuer auf x.xxx EUR festgesetzt.
Übrigen wird die Klage abmI gewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu 44 v.H., der Kläger zu 56 v.H. tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung von mehr als 1.500 EUR, darf die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Für den Veranlagungszeitraum 2012 (Streitjahr) wird der Kläger allein zur Einkommensteuer veranlagt.
[…]
Der Kläger hat im Jahr 1996 das Gebäude … gasse × in A/Markgräflerland –ein Haus aus dem xx. Jahrhundert (ohne Telefonanschluss)– zu einem Kaufpreis von xxx.xxx DM zur Selbstnutzung erworben (s. den Kaufvertrag vom xx.xx 1996, Bl. 8 ff. der Akte zur Eigenheimzulage). Er bemühte sich vergeblich darum, das Gebäude zu veräußern. Nach den Angaben des Klägers macht ein einem Dritten an einem Teil des Grundstücks eingeräumtes Nutzungsrecht einen Verkauf bisher nicht möglich (Hinweis auf §§ 1 und 5 Abs. 1 des Kaufvertrags). Auch im Streitjahr wohnte der Kläger in dem Gebäude (wegen weiterer Einzelheiten s. B.I. der Niederschrift I).
Inzwischen ist unter den Beteiligten zu Recht unstreitig, dass der Kläger im Streitjahr in A seinen Wohnsitz hatte und nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) –DBA-Schweiz 1971– in der Fassung des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) –DBA-Schweiz 1992– ansässig war.
Der Kläger ist seit Jahren im Chor des Opernhauses Y als Chortenor beschäftigt (vgl. hierzu: B.IV.2. der Niederschrift I). Das Opernhaus Y ist in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft (nach Schweizer Recht) privatrechtlich organisiert (s. den Handelsregisterauszug lt. www.moneyhouse.ch, Bl. 257-266 der FG-Akten 3 K 4277/12; s. die Angaben in: de.wikipedia.org., Bl. 227 ff. der FG-Akten 3 V 3113/13).
Der Chor der Oper Y (s. hierzu: www.[…]), dessen Direktor im Streitjahr D war, setzt sich im Wesentlichen zusammen aus:
- ca. × festangestellten Sängerinnen und Sängern,
- ...