rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für zu 60 % behinderten, an Schizophrenie leidenden Sohn trotz Bezugs von Arbeitslosengeld bzw. -hilfe. Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Ein volljähriges, an einer chronischen paranoiden Schizophrenie leidendes Kind mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände auch dann i. S. von § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG wegen seiner seelischen Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten, wenn es sich im Streitjahr noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt und Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bezogen hat (im Streitfall: Erfordernis der Betreuung und wiederholter stationärer psychiatrischer Behandlungen; laut neurologisch-psychiatrischem Gutachten chronische paranoid-halluzinatorische Psychose mit schwerem Persönlichkeitswandel bei schwerster Kontaktstörung, sozialer Isolation, Verwahrlosungstendenzen, Unterernährung und realitätsfernem, von Angst und vermeintlicher Bedrohung bestimmten Verhalten).
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2
Tenor
Der Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung vom 14. Dezember 2001 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2002 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klage betrifft die Frage, ob ein an einer chronischen paranoiden Schizophrenie leidendes Kind mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wegen seiner seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, obwohl es sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt und Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bezogen hat.
Dem Kläger wurde von der Familienkasse der Beklagten ab Januar 2001 für seinen Sohn S, geb. …1977, Kindergeld wiederbewilligt, weil sich S in Ausbildung zum Forstwirt befand. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2001 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 mit der Begründung auf, das Kind werde im nächsten Jahr Einkünfte und Bezüge erhalten, die den Grenzbetrag überstiegen. Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und trug unter Vorlage einer Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 18. Dezember 2001 vor, das Ausbildungsverhältnis seines Sohnes sei mit Wirkung vom 5. Oktober 2001 aufgelöst worden. Sein Sohn sei auf Grund seelischer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten. Er sei seit 20. Oktober 2001 arbeitslos gemeldet und erhalte Lohnersatzleistungen. S habe sich zwar um eine weitere Ausbildung bemüht, er werde aber keine Firma finden, die das Rückfallrisiko trage. In der ärztlichen Bescheinigung heißt es, S habe das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt gekündigt. Auf Grund der Art der Erkrankung sei eine Fortsetzung der Tätigkeit nicht möglich gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2002 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als teilweise unbegründet zurück. Dem Einspruch wurde abgeholfen, soweit die Kindergeldfestsetzung für die Monate bis April 2002 aufgehoben worden war. Insoweit seien eigene Bemühungen des Kindes um eine Ausbildungsplatz nachgewiesen. Über diesem Monat hinaus seien weder eigene Bemühungen zur Erlangung eines Ausbildungsplatzes glaubhaft gemacht worden noch sei eine Meldung bei der Berufsberatung erfolgt. Ob eine Behinderung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorliege, habe nicht festgestellt werden können. Das Kind sei von ihrem Ärztlichen Dienst untersucht worden. Der erforderlichen Zusatzbegutachtung am 21. November 2002 habe sich das Kind jedoch nicht unterzogen.
Die Krankheitsgeschichte des Sohnes des Klägers S stellt sich nach den Protokollen der Berufsberatung der Beklagten ab 1997 und den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere den psychiatrischen Gutachten, wie folgt dar:
Im Herbst 1996 kam es in der Schule zu einer Psychose, die zu einem Klinikaufenthalt und zu einem Aufenthalt in der Psychiatrie in … bis Dezember 1996 führte. Dort sei zunächst eine sog. Cannabis-Psychose vermutet worden. Da weiterhin Anzeichen für eine psychische Störung vorlagen (Fehlzeiten in der Schule, Psychotherapie, Einnahme von Antidepressiva), veranlasste die Berufsberatung im April 1999 Untersuchungen durch den Ärztlichen und den Psychologischen Dienst. Das Gutachten des Psychologischen Dienstes kam zu dem Schluss, dass eine betriebliche Ausbildung nicht verfolgt werden solle. Es seien beruflich-rehabilitative Maßnahmen angezeigt. Die Begutachtung des Ärztlichen Dienstes ergab eine Leistungsfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich; S sei für länger als sechs Monate nicht leistungsfähig (Untersuchung vom 9. September 1999). Auf eine erneute ärztliche Untersuchung am 6. Dezember 1999 wurde S Schulungsfähigkeit bescheinigt. Ein Drogenmissbrauch sei nicht mehr nachzuweisen, in der Rehaeinrichtung solle therapeutisch gearbeitet werden. Rehamaßnahmen wurden von S in der Folgezeit jedoch abgelehnt. Auch Termine ...