rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Umsatzsteuerbefreiung eines selbstständigen, für einen. Nicht als Träger der freien Jugendhilfe anerkannten. Auftraggeber tätigen Sozialarbeiters
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Einrichtung i. S. d. § 4 Nr. 25 S. 2 Buchst. a UStG 2009 bis 2011, also ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe, kann nur sein, wem nach § 75 Abs. 1 SGB VIII diese Eigenschaft durch Verwaltungsakt verliehen worden ist.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Leistungen eines selbstständigen, in der Familienhilfe tätigen Sozialarbeiters nicht nach nach § 4 Nr. 25 S. 2 Buchst. b, Doppelbuchst. bb UStG 2009 bis 2011 steuerfrei sind, wenn sein Auftraggeber und Vertragspartner keine Einrichtung i. S. d. § 4 Nr. 25 Satz 2 Buchst. a UStG 2009 bis 2011, also kein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe ist. Dass de facto Zuwendungen eines anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe über den Auftraggeber an den Sozialarbeiter weitergeleitet wurden, reicht insoweit nicht aus.
3. Es ist jedoch ernstlich zweifelhaft, ob der deutsche Gesetzgeber in § 4 Nr. 25 UStG 2009 bis 2011 das ihm durch Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL eingeräumte Ermessen zur Bestimmung der als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannten Einrichtungen unter Beachtung des Grundsatzes der Neutralität i. S. d. Grundsatzes der Gleichbehandlung sachgerecht ausgeübt hat und ob die Umsätze des klagenden, in der Familienhilfe tätigen Sozialarbeiters deswegen nicht unmittelbar nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL steuerfrei sein können.
4. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine Übertragung der Rechtsgrundsätze, die zu § 4 Nr. 16 Buchstabe e UStG 1994 entwickelt wurden, auf die Vorschrift des § 4 Nr. 25 S. 2 Buchst. b, Doppelbuch. bb UStG 2009 bis 2011 in Betracht kommt.
Normenkette
UStG 2009 § 4 Nr. 25 S. 2 Buchst. a, b Doppelbuchst. bb; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. h; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; SGB VIII § 75 Abs. 1; UStG 1994 § 4 Nr. 16 Buchst. e
Tenor
Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 wird mit Wirkung vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen einer Entscheidung im Verfahren 7 K 7290/12 oder dessen sonstiger Erledigung in Höhe von 5.163,63 EUR für 2009 und 6.273,16 EUR für 2010 ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller zu 40 % und dem Antragsgegner zu 60 % auferlegt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze des Antragstellers als Sozialarbeiter in der Familienhilfe nach § 4 Nr. 25 Umsatzsteuergesetz – UStG – oder unter Berufung auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe h Mehrwertsteuersystemrichtlinie – Richtlinie 2006/112/EG – MwStSystRL – von der Umsatzsteuer befreit sind.
Der Antragsteller schloss am 16.04.2009 einen Vertrag über freie Mitarbeit für die Zeit ab dem 09.06.2008 mit der B. GbR, womit er sich verpflichtete, die selbständige Durchführung von Hilfen zur Erziehung in Form von Eingliederungshilfen nach § 54 Sozialgesetzbuch – SGB – XII und Erziehungsbeistand bzw. Familienhilfe nach §§ 29, 30, 31, 35 SGB VIII mit Kindern und Jugendlichen in C. zu übernehmen. Dafür erhielt er einen Stundensatz von 23,50 EUR brutto (einschließlich eventueller Umsatzsteuer). Das Honorar wurde nur für die tatsächlich geleistete Tätigkeit gewährt.
In seinen Einnahme-Überschuss-Rechnungen für die Jahre 2009 und 2010 wies der Antragsteller Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 37.472,48 EUR für 2009 und 45.732,41 EUR für 2010 aus. Ähnliche Umsätze erzielte er auch in den Vorjahren, jedenfalls ab 2000 (in 2008: 48.139,32 EUR).
Die B. GbR hatte mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport am 22.12.2005/24.01.2006 eine Leistungsvereinbarung, Qualitätsentwicklungsvereinbarung und Entgeltvereinbarung gemäß dem C. Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe abgeschlossen. Danach bot sie Leistungen im Bereich der ambulanten sozialpädagogischen Erziehungshilfen an (soziale Gruppenarbeit gemäß § 29 SGB VIII, Erziehungsbeistand/Betreuungshelfer gemäß § 30 SGB VIII, sozialpädagogische Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII und intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung gemäß § 35 SGB VIII). In dem Vertrag war vereinbart, dass im Interesse der Flexibilität des Leistungsempfängers bis zu 20 % nicht fest angestellte Fachkräfte eingesetzt würden. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf den Vertragstext (Bl. 7 ff. der Gerichtsakte) Bezug. Eine förmliche Anerkennung der B. GbR als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 75 Abs. 1 SGB VIII erfolgte nicht.
Im Zuge der Prüfung der Einkommensteuererklärung des Antragstellers gelangte der Antragsgegner zu der Auffassung, dass die streitbefangenen Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Davon ausgehend erließ er am 09.11.2010 einen auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerbescheid 20...