Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchsberechtigung auf Rückerstattung eines auf eine fremde Steuerschuld gezahlten Betrags. Entscheidung über Rückerstattungsanspruch durch Abrechnungsbescheid. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 20/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Wurde die Steuerschuld einer anderen Person unter Nennung der Steuernummer, des vollständigen Namens und unter Bezeichnung der Steuerschuld im Verwendungszweck bezahlt, so ist nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO nur die andere Person erstattungsberechtigt, auf deren Rechnung gezahlt wurde, und nicht die Person, die die Zahlung geleistet hat. Es kommt insoweit nicht darauf an, von wem und mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte.
2. Für die Tilgungswirkung einer Zahlung auf eine fremde Steuerschuld nach § 48 Abs. 1 AO ist sowohl das zivilrechtliche Innenverhältnis als Zahlungsgrund irrelevant als auch eine nachträgliche Änderung der Tilgungsbestimmung durch den Zahlenden. Ein ungeregelter Erstattungsanspruch sui generis außerhalb des tatbestandlichen Anwendungsbereichs von § 37 Abs. 2 Satz 1 AO besteht nicht. § 37 Abs. 2 Satz 1 AO kommt insoweit eine abschließende Wirkung zu, als er alle Ansprüche von Nichterstattungsberechtigten im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ausschließt.
3. Bescheide nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO können nicht nur bei Streitigkeiten im unmittelbaren Verhältnis zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen, sondern auch bei Streitigkeiten im Verhältnis zwischen dem Finanzamt und Dritten erlassen werden, sofern es sich um Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis handelt. Auch bei Streitigkeiten über Erstattungsansprüche haben Finanzbehörden durch Erstattungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO zu entscheiden.
Normenkette
AO § 37 Abs. 2 S. 1, §§ 47, 48 Abs. 1, § 218 Abs. 2 S. 1; BGB § 812 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung eines Betrages, den die Klägerin auf eine fremde Steuerschuld gezahlt hat.
Am 24.02.2021 überwies die Klägerin den Betrag in Höhe von 20.211 EUR an den Beklagten. Im Verwendungszweck der Überweisung von ihrem Privatkonto machte sie folgende Angaben: „… EST 2019 B…”. Herr B… besaß die gleichlautende Steuernummer (…). Der Beklagte ordnete die Zahlung dem Steuerschuldverhältnis des Herrn B… zu.
Die Klägerin machte – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – durch Schreiben vom 04.06.2021 gegenüber dem Beklagten die Rückerstattung von 20.211 EUR geltend. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich bei der Zahlung um ein Versehen gehandelt habe und dass die Zahlung rechtsgrundlos erfolgt sei. Aufgrund der ungerechtfertigten Bereicherung des Beklagten habe dieser den Betrag an sie zu erstatten.
Der Beklagte reagierte darauf mit seinem Schreiben vom 14.06.2021 (Blatt 12 der Gerichtsakte). Dort führte er aus, dass die Zahlungen exakt dem Steuerpflichtigen B… zugeordnet werden konnte, sodass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 47 der Abgabenordnung (AO) durch Zahlung erloschen sei. Gemäß § 37 AO sei nur derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung geleistet worden sei, zur Erstattung berechtigt. Es komme nicht darauf an, von wem oder mit wessen Mitteln eine Zahlung geleistet worden sei. Eine Erstattung an sie komme daher nicht in Betracht.
Mit Schreiben vom 18.06.2021 (Blatt 14 der Gerichtsakte) wendete sich die Klägerin erneut – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – an den Beklagten. Sie wies darauf hin, dass der Zahlung in Höhe vom 20.211 EUR weder ein Auftrags- noch ein Anweisungsverhältnis zugrunde gelegen habe. Sie machte die Rückerstattung des Betrags an die Klägerin geltend und stützte den Anspruch auf die bürgerlichrechtliche Nichtleistungskondiktion. Rein vorsorglich erklärte sie die Anfechtung der Zahlung wegen Irrtums gegenüber dem Beklagten.
Das anwaltliche Schreiben vom 18.06.2021 legte der Beklagte als Einspruch aus. Er wies die Klägerin darauf hin, dass er, der Beklagte, den Einspruch für unbegründet halte, da sich die Überweisung aufgrund des Verwendungszwecks eindeutig der Steuerschuld von Herrn B… habe zuordnen lassen. Der Überweisungsbetrag habe vollständig die offene Steuerschuld von Herrn B… abgedeckt. Der Nachzahlungsbetrag des Herrn B… sei am 25.02.2021 fällig gewesen. Die Überweisung durch die Klägerin sei am 24.02.2021, also einen Tag vor Fälligkeit, erfolgt. Zudem sei der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 22.01.2021 des Herrn B… der Klägerin bekannt gewesen, da sie als Angestellte des Steuerbüros „C… GmbH”, das Herrn B… steuerlich vertreten habe, Zugang zu diesem Bescheid gehabt habe. Zwischen dem Zeitpunkt des Zahlungseingangs am 24.02.2021 und der erstmaligen Rückforderung am 06.06.2021 seien mehr als zwöl...