rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von Eigengeschäft und Vermittlung beim Verkauf von Telefonkarten
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn der Unternehmer in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen angibt, er führe lediglich Vermittlungsleistungen beim Verkauf von Telefonkarten durch, hat er mit der Abgabe von Telefonkarten an ausnahmslos im Inland ansässige Abnehmer (Internetshops, Telecafés, Zeitungskioske) sonstige Leistungen i. S. v. § 3 Abs. 9 UStG in Form von Telekommunikationsleistungen an seine Abnehmer als Leistungsempfänger erbracht, deren Bruttoentgelt i. S. v. § 10 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz UStG in den gesamten erhaltenen Zahlungen besteht und die im Inland (§ 3a Abs. 2 UStG) steuerbar und zum Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG steuerpflichtig sind, wenn das Gericht nicht feststellen kann, in wessen Namen der Unternehmer die jeweilige Karte an den betreffenden Abnehmer „verkauft” hat und dass der Unternehmer zur Vertretung des Betreffenden befugt war. Der Vertretene muss zwar dem Kunden nicht unbedingt bekannt sein muss, er muss aber jedenfalls für das Finanzamt und das Finanzgericht bestimmbar sein (Anschluss an BFH, Urteil v. 10.8.2016, V R 4/16, das zur Aufhebung des im ersten Rechtszug zwischen den Beteiligten ergangenen Urteils des FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.1.2015, 5 K 5381/13 und zur Zurückverweisung geführt hat).
2. Es ist für jede Gruppe gleichartiger Umsätze des Unternehmers, also im Grundsatz einzeln für jeden Kartentyp (soweit sich nicht anhand gleicher Beteiligter und gleicher Vertragsbedingungen mehrere Kartentypen zusammenfassen lassen) jeweils zu prüfen, ob sich die Voraussetzungen eines Fremdgeschäfts auf Grundlage der konkret feststellbaren Vertragsgrundlagen zur Überzeugung des Gerichts bejahen lassen. Die Feststellungslast liegt insoweit beim Unternehmer und insoweit genügt es nicht, wenn das Gericht lediglich das Fehlen der Vertretungsmacht für einen anderen Leistenden nicht feststellen kann (Ausführungen zum Nachweis der Vertretungsmacht).
Normenkette
UStG 2010 § 3 Abs. 9, 11, § 10 Abs. 1 S. 2, § 3a Abs. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1; BGB §§ 177, 177
Tenor
Unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2010 vom 21.08.2018 wird die Umsatzsteuer 2010 um 57.439,02 EUR niedriger festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden der Klägerin 94% und dem Beklagten 6% auferlegt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Es geht um die umsatzsteuerliche Behandlung der Tätigkeiten der Klägerin im Rahmen des Vertriebs von Telefonkarten im Streitjahr 2010.
Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 22.09.2009 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung – GmbH – mit Sitz in der B.-straße in C., deren Satzungszweck u. a. die Vermittlung von Dienstleistungen von … aller Art, die Vermittlung von … und den Großhandel mit … aller Art umfasst. Ihr Alleingesellschafter war zunächst D., der seit Gründung der Klägerin bis über das Ende des Streitjahrs hinaus auch ihr alleiniger und vom Selbstkontrahierungsverbot befreiter Geschäftsführer war. Es liegt ein „Darlehensvertrag” vom 30.09.2009 (hinten in der Akte Gesellschaftsverträge) zwischen der Klägerin als „Darlehensgeber” und D. als „Darlehensnehmer” vor. Darin hieß es, D.-bringe sein Einzelunternehmen „H.” einschließlich der Kundenforderungen zum Buchwert ein. Er bleibe aber zum Einzug der eingebrachten Forderungen berechtigt; insoweit gewähre ihm die Klägerin jeweils ein verzinsliches Darlehen bis zum 31.12.2018. Mit Notarvertrag vom 23.02.2010 wurden 20% der Anteile auf E. übertragen, mit notarieller Urkunde vom 30.07.2010 wurde das Stammkapital der Klägerin erhöht, wodurch sich der Anteil von D. auf 80,4% erhöhte und der von E. auf 19,6% verringerte. In derselben notariellen Urkunde wurde erneut festgehalten, dass D. sein bisheriges Einzelunternehmen in die Klägerin einbringe und dass das Einzelunternehmen ab dem 01.01.2010 für Rechnung der Klägerin geführt worden sei. Aus den ergänzenden Angaben zur Schlussbilanz des Einzelunternehmens zum 31.12.2009 (Bestandteil der notariellen Urkunde vom 30.07.2010) geht hervor, dass die Pkw im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens (Buchwert insgesamt 12.454,00 EUR) und vorhandene „div. Telefonkarten, D2-Call und O2, O2Loop”, jeweils „minus Provision”, und „Restbestand Online Portal” (Buchwert insgesamt 295.275,91 EUR) nicht mit eingebracht wurden.
Im Rahmen einer Nachschau bei der Klägerin am 25.01.2010 führte das seinerzeit für die Klägerin zuständige Finanzamt – FA – F. in einer Mitteilung an das für die Besteuerung von D. zuständige FA G. (Bl. 1 der Umsatzsteuerakte – USt –) ...