Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerungsrecht nach Art. 13 Abs. 1 DBA Frankreich bei Entlassung eines bisher nur teilweise in Deutschland tätigen Arbeitnehmers durch einen deutschen Arbeitgeber: Abfindung. geldwerte Vorteile aus Aktienoptionsprogramm. Bezüge bei Freistellung von der Arbeitsleistung für Zeitraum zwischen Kündigung bzw. einvernehmlicher Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und dessen tatsächlicher Beendigung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VI R 33/21)
Leitsatz (redaktionell)
1. War ein Arbeitnehmer mit Hauptwohnsitz in Frankreich in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und bis zu der vom Arbeitgeber veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den in Deutschland ansässigen Arbeitgeber teilweise in Deutschland und teilweise in Frankreich sowie in Drittländern tätig, so unterliegen die dem Arbeitnehmer anlässlich der Freisetzung zugesagte Abfindung sowie geldwerte Vorteile aus der früher zugesagten Teilnahme an einem Aktienoptionsprogramm nach Art. 13 Abs. 1 DBA Frankreich in dem Umfang anteilig dem deutschen Besteuerungsrecht, in dem der Arbeitnehmer bis zu seiner Freistellung in Deutschland tätig war.
2. Wird der Arbeitnehmer nach der Kündigung von der Arbeitsleistung freigestellt und hält er bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter sein laufendes Gehalt, kann für die Bestimmung des Tätigkeitsorts im Sinne des Art. 13 Abs. 1 DBA Frankreich nicht rückblickend darauf abgestellt werden, wo die frühere aktive Tätigkeit, aus der „die Einkünfte herrühren”, ausgeübt wurde. Die geschuldete Arbeitsleistung wird bei Arbeitsfreistellung im Zeitraum zwischen Kündigung bzw. einvernehmlicher Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und dessen tatsächlicher Beendigung im Fall einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur „Passivität” fortlaufend dort erbracht, wo der Arbeitnehmer sich für die Dauer seiner vertraglichen Verpflichtung tatsächlich aufhält (im Streitfall: französisches Besteuerungsrecht bei Aufenthalt des von der Arbeitsleistung freigestellten Arbeitnehmers in Frankreich).
Normenkette
DBA FRA Art. 13 Abs. 1 Sätze 1-2; OECD-MA Art. 15 Abs. 1; EStG § 1 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tenor
Der Bescheid über Einkommensteuer für 2015 vom 27.4.2017 in Form des Änderungsbescheides vom 8.4.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 17.12.2019 wird mit der Maßgabe geändert, dass die in Deutschland steuerpflichtigen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit um 30.802,50 EUR gemindert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahren werden dem Kläger zu 91,5 v. H. und dem Beklagten zu 8,5 v. H. auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss:
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
Der 1954 geborene Kläger und die 1949 geborene Klägerin sind Eheleute. Sie verfügten zwischen 2010 und 2019 über einen inländischen Wohnsitz und wurden vom Beklagten in dieser Zeit als unbeschränkt steuerpflichtig zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihren Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt hatten die Kläger in dieser Zeit in Frankreich.
Die Beteiligten streiten vorliegend darüber, inwieweit bestimmte Einkünfte, die der Kläger im Zusammenhang mit der Beendigung eines in Deutschland eingegangenen Arbeitsverhältnisses im Jahr 2015 (Streitjahr) erzielt hat, nach den Bestimmungen des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik abgeschlossenen „Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern” vom 21. Juli 1959 in der im Streitjahr geltenden Fassung (nachfolgend: „DBA Frankreich”) der inländischen Besteuerung unterliegen.
Der Kläger war seit Mai 2011 bei der in C… (Land Brandenburg) ansässigen D… GmbH im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Seine Tätigkeit übte der Kläger nur zum Teil in Deutschland aus, im Übrigen wurde er in Frankreich oder in Drittländern eingesetzt. Der Beklagte veranlagte die Kläger mit dem Teil der Arbeitseinkünfte des Klägers zur deutschen Einkommensteuer, der der zeitanteiligen Erbringung der Arbeitsleistung in Deutschland entsprach. Den darüber hinausgehenden Teil der Arbeitseinkünfte sah der Beklagte – in Überreinstimmung mit den Klägern – als im Inland steuerfrei an und berücksichtigte ihn lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts.
Zur Ermittlung der auf den Einsatz in Deutschland und im Ausland entfallenden Arbeitszeiten führte der Kläger ein „Travel Diary” (Reisetagebuch). Diese Aufzeichnungen, deren Korrektheit zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, wiesen für das Kalenderjahr 2012 einen auf das Inland entfallenden Zeitanteil von rund 60,6 % (145 zu 94 Tage), für ...